Zum Ende der letzten Eiszeit verschwand ein Großteil der frühen Bewohner des europäischen Festlands. Sie wurden damals durch eine neue Bevölkerung ersetzt. Dies geschah nicht nur einmal. Zu diesem Ergebnis gelangt eine aktuelle Studie, die auf genetischen Analysen fossiler Knochen basiert. Was ist damals geschehen?
Eiszeit symbolfoto
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Forscher haben Knochen prähistorischer Menschen mit modernen genetischen Methoden untersucht und sind dabei zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangt. Die uralten Überreste stammen aus verschiedensten Regionen Europas: aus Italien, Deutschland, Belgien, Frankreich, Tschechien und Rumänien. All diese weit über den Kontinent verteilten Fundstücke liefern repräsentative Daten zu genetischen Veränderungen in der Bevölkerung Europas.

Jene menschlichen Fossilien haben sich damit nun als stumme Zeugen dramatischer Umwälzungen entpuppt, deren Ursachen nach wie vor rätselhaft bleiben. Die bereits vor rund einem Monat veröffentlichte Studie beginnt nun immer größere Kreise zu ziehen.

Über die Jahrtausende hinweg hat Europa wiederholt sehr wesentliche Einschnitte und Veränderungen erlebt, die sich auch genetisch ausgewirkt haben und schließlich zum modernen Europäer führten.

Als die ersten »modernen Menschen« in der Zeitspanne vor etwa 40 000 bis 70 000 Jahren aus Afrika nach Europa strömten, vermischten sie sich sehr zügig mit den Neandertalern, die sie dort antrafen und schließlich ablösten.

Nach vielen tausend Jahren rückten Ackerbauern aus dem Mittleren Osten nach, die den Kontinent zum Ende der letzten Eiszeit zu bevölkern begannen. Das geschah in der Spanne vor etwa 10 000 bis 12 000 Jahren und läutete den Beginn der jungsteinzeitlichen landwirtschaftlichen Revolution ein. Wieder vergingen einige Jahrtausende.

Während in Ägypten die großen Dynastien zu blühen begannen und die Pyramiden in den Himmel wuchsen, tauchte in Europa ein nomadisches Reitervolk aus den Steppen der Ukraine auf, bekannt als die Jamnaja-Kultur. Korrekter als Jama-Kultur bezeichnet, wurde diese Volksgruppe auch als Grubengrabkultur bekannt. Sie vermischte sich bald mit der heimischen Bevölkerung. Das war in der Zeit vor etwa 5000 Jahren.

Wie aus einer Studie von 2013 hervorgeht, muss allerdings vor 4500 Jahren ein Bevölkerungsschwund stattgefunden haben. Zumindest schrumpfte eine große Gruppe früher Europäer überraschend schnell ins Nichts. Insgesamt gab es immer wieder einschneidende Ereignisse und Veränderungen, die den gesamten Kontinent und seine Bevölkerung erfassten. Nur ist ziemlich wenig bekannt über jene Europäer, die während der langen Epoche zwischen der ersten afrikanischen Einwanderungswelle und dem Ende der letzten Eiszeit lebten.

In der Weichsel-Kaltzeit war ein großer Teil Nordeuropas von einem riesigen Eisschild bedeckt, Gletscher in den Pyrenäen und den Alpen schnitten die Ost-West-Passage über den Kontinent ab.

Forscher der Universität Tübingen wollten durch Analyse von insgesamt 55 prähistorischen Knochenproben endlich tiefere Einblicke in jene frühe Epoche gewinnen. Sie stießen damit das Tor in eine überraschend bewegte Vergangenheit auf.

Um Neues über genetische Veränderungen in der Urbevölkerung zu erfahren, untersuchten der junge Archäogenetiker Cosimo Posth und seine Kollegen die mitochondriale DNA (mtDNA) in den fossilen Knochen. Sie analysierten also lediglich jene DNA, die ausschließlich von Mutter zu Kind weitergegeben wird, somit auch in den nächsten Generationen wieder von der Tochter an deren Kinder.

Diese maternale Linie liefert selbst über lange Zeiträume zuverlässigere Aussagen zu den verwandtschaftlichen Beziehungen von Bevölkerungsgruppen und lässt erstaunliche Schlüsse zu.

Auf Grundlage von Mutationen dieser besonderen DNA konnten Genetiker große genetische Populationen bestimmen - »Super-Haplo-Gruppen« - , die auf gemeinsame frühe Vorfahren zurückgehen. Posth beschreibt seine Überraschung, als er die Messresultate zu drei Individuen vorliegen hatte.

Diese menschlichen Relikte stammten aus der Zeit vor dem Maximum der letzten Eiszeit und wurden im heutigen Belgien und Frankreich ausgegraben. Alle gehörten der als »M« bezeichneten Haplo-Gruppe an. »Ich konnte es nicht glauben«, so kommentiert Posth diesen Fund. »Das erste Mal, als ich zu diesem Ergebnis gelangte, war ich überzeugt, dass ein Fehler vorliegen musste, denn in heutigen Europäern ist diese Haplo-Gruppe nicht zu finden. Dagegen ist sie in Asien und in den ursprünglichen australischen und amerikanischen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet.«

Alle heutigen Nichtafrikaner tragen entweder mtDNA der M-Haplo-Gruppe in sich oder aber welche der N-Haplo-Gruppe. Allerdings zählen alle heute lebenden Europäer zum N-Typ. Die Gendatierung aller Nichtafrikaner, die noch beide Linien in sich trugen, verweist ihren letzten gemeinsamen Vorfahren in die Zeit vor etwa 50 000 Jahren.

Professor Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, hat an der Studie mitgewirkt. Er stellt fest: »Diese Datierung stützt die Vermutung einer späten und schnellen Ausbreitung aller nichtafrikanischen Bevölkerungsgruppen nicht nur nach Asien, sondern auch nach Europa.«

Was geschah aber dann? Zum Höhepunkt der Eiszeit sei die Bevölkerung Europas radikal geschrumpft. Die Jäger und Sammler hätten sich an eine Reihe von Zufluchtsorten in Südeuropa zurückgezogen, so vermuten die Forscher. Als sich das Klima dann wieder erwärmte, seien sie zurückgekehrt, um sich über ganz Europa auszubreiten. Doch die M-Gruppe sei dem drastischen Bevölkerungsrückgang offenbar fast vollständig zum Opfer gefallen.

Nun scheint diese Interpretation noch nicht allzu überzeugend. Und so könnten noch manche Überraschungen folgen. Überraschend kam auch eine weitere Entdeckung der internationalen Forschergruppe: Die Wissenschaftler stießen nämlich auf einen zusätzlichen dramatischen Umbruch in der europäischen Bevölkerung. Und zwar zur ausgehenden Eiszeit vor rund 14 500 Jahren.

»Es sieht so aus, als ob die europäischen Jäger und Sammler in dieser Periode starker Erwärmung weitgehend durch eine Bevölkerungsgruppe aus einer anderen mütterlichen Abstammung ersetzt wurden«, so stellt Adam Powell fest, gleichfalls führender Autor der Studie und Forschungsgruppenleiter am Jenaer Institut.

Wie Posth ergänzt, verschwanden damals nicht nur die Wollmammuts und Säbelzahnkatzen aus Eurasien. Auch die sowieso schon kleinen Überreste der M-Gruppe waren damals nicht mehr in der Lage, die klimatischen Veränderungen zu überleben. An ihre Stelle rückte eine neue Gesellschaft, die den N-Typus in Europa etablierte. Was ihre Herkunft betrifft, existieren bestenfalls nur Annahmen. Jene Epoche liegt großenteils immer noch im Dunkel der Zeit.

Doch alles in allem scheint die Situation in Europa seinerzeit weit komplexer gewesen zu sein, als die Fachleute bislang annahmen. Was derzeit in Europa geschieht, basiert auf völlig anderen Ursachen. Doch wieder steht ein radikaler Wandel bevor. Und auch jetzt dürfte die Situation weit komplexer und folgenreicher sein, als die Fachleute bisher annehmen oder eingestehen wollen.