lager,höhle
© Cédric PuisneySankt-Kinga-Kapelle: Der Legende nach brachte die Königstochter Kinga das Salz aus Ungarn nach Polen. Wahr ist, dass in der Saline nahe Krakau Salz abgebaut wurde. Mehr als 2.000 Kammern entsanden, manche so groß wie Festsäle.
Was Menschen aufheben wollen, verstauen sie im Keller - oder sogar noch tiefer: In Höhlen und Stollen liegen wahre Schätze verborgen.

Klamotten aus, Deckel zu, endlich Ruhe. In eiförmigen Floating-Tanks wird bei konstanten 34,5 Grad wahr, wovon Zivilisationsgeplagte träumen: Nackt geben sie sich dem maximalen Reizentzug hin, treiben befreit von Bildschirmflimmern, Fahrstuhlmusik und Kantinengerüchen in dunklen, stillen Kapseln mit Salzwasser.

Erfunden hat der US-Amerikaner John Lilly das Floating schon in den fünfziger Jahren allerdings nicht als Wellnessmethode. Der Neurophysiologe wollte herausfinden, was sich im Gehirn tut, wenn der Input von außen fehlt. Lilly erkannte die wohltuende Wirkung der Leere. Die gleichsam schwerelosen Aufenthalte in den Tanks ermöglichen Tiefenentspannung und kreative Höhenflüge.

Werden Menschen allerdings zwangsweise und auf unbestimmte Dauer ins große sensorische Nichts gestoßen, hat die Abschirmung dramatische Folgen. Längere Studien sind aus ethischen Gründen nicht erlaubt, doch schon wenige kurze Isolationsexperimente zeigten, wie abhängig unser Denken und Fühlen von ständiger Stimulation ist. Ein Leben in Höhlen und Bunkern - ohne Licht, Gerüche, Geräusche oder soziale Interaktion - wird schnell zur Qual.

Nicht nur das Zeitgefühl schwindet, wenn äußere Taktgeber fehlen, auch Urteilsfähigkeit, Konzentration und Gedächtnis sind rasch beeinträchtigt. Als Notlösung halluziniert sich das reizhungrige Gehirn allerlei Wahrnehmungen herbei; es simuliert Bilder, Stimmen und Empfindungen.

Leben kann der Mensch in der Unterwelt also nicht, aber er kann sie nutzen. Denn sie eignet sich perfekt für das Aufbewahren von allem, was dem Menschen lieb und teuer ist. Und so wird unter Tage gebracht, was konserviert werden soll, meist in ausgediente Bergwerke. Deren Kavernen halten das anvertraute Gut bei geringen Betriebskosten trocken, kühl, staubfrei und zuweilen auch geheim.

Im Iron Mountain in der Nähe von Pittsburgh - die genaue Adresse dürfen weder Besucher noch die über 2.000 Mitarbeiter verraten - bewahren nicht nur Corbis und Warner Brothers einzigartige Foto- und Filmsammlungen auf. Auch die US-Regierung hortet Personalakten und Patente im einbruchs- und katastrophensicheren Kalksteintresor mit Schutzräumen und eigener Feuerwache. Die Luftverteidigungszentrale Norad (North American Aerospace Defense Command) versteckte sich offiziell bis 2006 in einer Höhle in den Rocky Mountains - im Cheyenne Mountain wähnte man sich vor Erdbeben und Atomangriffen sicher und war dank Kraftwerk, Vorratslagern und Wasseraufbereitung autark.

Auch in Europa wird unter Tage weit mehr gelagert als die gigantischen Weinsammlungen Moldawiens oder die Emmentaler-Vorräte der Schweiz. Gerade dort gibt es viele Depots für Kulturgüter, etwa in den Stollen des stillgelegten Atomkraftwerks Lucens. Auf die Daten verschiedener Unternehmen passt das Rechenzentrum Mount10 in einem früheren Armeebunker in der Nähe von Gstaad auf.

Ein unterirdisches Nutzpflanzen-Backup entsteht seit drei Jahren auf der norwegischen Insel Spitzbergen. Der Saatguttresor Svalbard Global Seed Vault mit Platz für bis zu 4,5 Millionen Samenproben von Reis, Tomate, Maniok und mehr ist als Versicherung der genetischen Vielfalt unserer Grundnahrungsmittel gedacht. Die Saatgutbank liegt tief in einem ehemaligen Kohlebergwerk, dem nicht einmal Flugzeugabstürze oder ein klimabedingt steigender Meeresspiegel etwas anhaben können.

Auch ausgewähltes deutsches Kulturgut soll im Fall des Falles unter Granit und Gneis sicher sein: Der Barbarastollen im Schwarzwald ist seit 1975 der »zentrale Bergungsort der Bundesrepublik« und durch die Haager Konvention geschützt. In diesem gigantischen Archiv lagern - verstaut in luftdicht versiegelten Spezialbehältern aus Edelstahl - Mikrofilme mit Bauplänen des Kölner Doms, Goethes Briefen und den Verträgen zum Westfälischen Frieden.

Werden diese Mikrofilme künftige Generationen zum Staunen, Rätseln und Träumen bringen wie die Felsenbilder aus der Höhle von Lascaux? Die Darstellungen von wilden Tieren, Symbolen und Jägern haben mindestens 15.000 Jahre überdauert. Warum die Jungsteinzeit-Menschen in den Pyrenäen an Höhlenwände malten, ist unklar. Zum Zeitvertreib oder aus kultischen Motiven? Vielleicht aber lebten sie einfach den Drang aus, ihre Geschichten an einem sicheren Ort für die Nachwelt festzuhalten.