Vier Monate nach Beginn der Katastrophe ist die Lage im Unglücks-AKW weiter kritisch. Global 2000 warnt vor Unmengen radioaktiven Wassers im Keller des Atom-Wracks.
AKW Fukushima
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Die Umweltschutzorganisation Global 2000 warnt vor einer "Zeitbombe" im Japanischen Unglücks-AKW Fukushima: 99 Millionen Liter hoch radioaktives Wasser im Keller des Nuklear-Wracks drohen trotz der Bemühungen der Betreiber auszulaufen.

Am 11. März, also vor genau vier Monaten, haben ein Erdbeben und eine Tsunamiwelle den Nordosten Japans in eine verheerende Katastrophe gestürzt. Mehr als 23.000 Menschen starben oder gelten immer noch als vermisst. Am Atomkraftwerk Fukushima wurde zudem der größte Nuklearunfall seit Tschernobyl vor 25 Jahren ausgelöst.

Bis heute hat sich die Lage längst nicht entspannt. Erst vergangene Woche räumte die japanische Regierung ein, dass es wohl noch bis zu zehn Jahre dauern würde, um die Situation in Fukushima unter Kontrolle zu bringen.

AKW wieder voll mit radioaktivem Wasser

Die Warnungen der Umweltschützer von Global 2000 klingen besorgniserregend: "Vier Monate lang setzen nun die zerstörten Atomreaktoren in Fukushima unkontrolliert Radioaktivität frei: in Form von Wasserdampf, der beim Verdampfen des Kühlwassers entsteht, und in Form von Wasser, das nach Kontakt mit den geschmolzenen Kernbrennstoffen in die Keller unter den Nuklearkomplex läuft", so Reinhard Uhrig, Atomexperte der Organisation. Dieses hoch radioaktive Wasser sammle sich unter dem AKW an und drohe auszulaufen.

Schon Anfang April wurden als Notmaßnahme zehn Millionen Liter radioaktives Wasser aus der zentralen Aufbereitungsanlage direkt ins Meer abgelassen, kritisiert Global 2000. Die Radioaktivität im Pazifik stieg damals lokal stark an. Bereits jetzt seien Radioisotope in Fischen wie Sandaalen und in Walen deutlich messbar.

Nun sei die zentrale Aufbereitungsanlage schon wieder voll - auch eine schwimmende Plattform und Zusatztanks wurden mit 22 Millionen Liter befüllt, sodass bereits insgesamt 121 Millionen Liter hoch radioaktive Brühe auf eine Lösung warten.

Aufbereitungsanlage mit "Systemfehlern"

Im Juni hat die Betreiberfirma Tepco im Unglücks-AKW eine neue Dekontaminierungsanlage installiert. Statt immer neues Wasser in das AKW zu pumpen, soll das verseuchte Wasser recycelt und zur weiteren Kühlung verwendet werden. Bis zu 1,2 Millionen Liter radioaktives Wasser sollte sie pro Tag dekontaminieren.

Doch die Anlage stellte die Reparaturtrupps immer wieder vor Probleme. So hielten etwa die Schläuche dem Druck nicht Stand und kontaminiertes Wasser trat aus. Global 2000 sagt, dass man fast einen Monat nach Inbetriebnahme nicht mehr von "Kinderkrankheiten" des Aufbereitungssystems sprechen könne. Es handle sich um Systemfehler, die immer wieder die Aufbereitung stoppten.

"Gleichzeitig steigt das Wasser", sagt Experte Uhrig. Um die immer noch glühend heißen Kernschmelzen zu kühlen, werden seinen Angaben zufolge 400.000 Liter Frischwasser pro Tag in die Reaktoren gepumpt - die wieder kontaminiert werden und wieder in die Keller laufen.

"Extrem gefährlichen Brühe"

Das Wasser im Keller hat durch den Kontakt mit dem Kernbrennstoff große Mengen an Radionukliden aufgenommen. "Wenn ein Mensch sich in der Nähe dieser radioaktiven Flüssigkeit aufhält, also noch nicht einmal Wasserdampf einatmet oder gar radioaktives Wasser trinkt, tritt nach einer Stunde Strahlenkrankheit auf und die Person erhält nach spätestens fünf Stunden eine garantiert tödliche Dosis. Es ist klar, was passieren würde, wenn Millionen von Litern dieser extrem gefährlichen Brühe austreten", so Uhrig von Global 2000.

Expedition untersucht Langzeitfolgen

Eine Expedition der Universität von South Carolina soll die Auswirkungen der Atomkatastrophe auf die Lebewesen und das Ökosystem rund um Fukushima untersuchen. Bisher wisse man trotz der intensiven öffentlichen Debatte über die Risiken der Atomkraft nur sehr wenig darüber, welche langfristigen Effekte Unfälle dieser Art auf Umwelt und Gesundheit haben, sagte Expeditionsleiter Timothy Mousseau.

Die Forscher wollen bei der am Montag gestarteten Expedition Proben von Insekten, Pflanzen und Vögeln sammeln und ihre DNA analysieren. Erste Ergebnisse sollen noch im Laufe des Jahres vorliegen. Anschließend wollen die Wissenschafter in regelmäßigen Abständen in die Region um Fukushima reisen und überprüfen, welche Langzeitfolgen die Strahlung auf nachfolgende Tiergenerationen und das Ökosystem hat. Die Arbeiten bauen auf Ergebnissen früherer Studien nach der Atom-Katastrophe von Tschernobyl in der heutigen Ukraine im Jahr 1986 auf.

"Im Gegensatz zu der Ukraine, in der die radioaktiv verseuchten Gebiete lange Zeit über unzugänglich waren, bietet sich den Wissenschaftlern in Japan erstmalig die Möglichkeit, sowohl die unmittelbar von dem nuklearen Unfall betroffene Elterngeneration als auch ihre ersten Nachkommen zu untersuchen", erklärten die Forscher. Deutschlands größte Biotechunternehmen Qiagen stellt den Forschern Geräte zur Sicherung, Stabilisierung und Analyse des genetischen Materials von Tieren und Pflanzen zur Verfügung.

(APA/Red.)