Sie fiel aus dem Nest, ein Kanadier päppelte sie auf. Seitdem folgt die Krähe ihm auf Schritt und Tritt. Auf Facebook ist Canuck ein Star. Sogar Geschenke bringt sie. Nur eine Eigenart nervt.
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© Shawn BergmanInnige Freundschaft: Shawn Bergman und die Krähe Canuck aus Vancouver
Eine Krähe feiert am 9. Mai Geburtstag, und auf Facebook feiern Tausende Fans mit. Canuck aus der kanadischen Stadt Vancouver ist ein Social-Media-Star. Ihr Alltag wird von Shawn Bergman dokumentiert, der zum besten Freund der Krähe geworden ist.

Die Welt: Wie beginnt Ihr Tag?

Shawn Bergman: Canuck taucht auf, wenn ich das Haus verlasse und folgt mir bis zum Coffeeshop. Er wartet draußen, bis ich meinen Kaffee geholt habe, und dann gehen wir "Gassi". Er fliegt, ich laufe. Dann muss ich zur Arbeit, und er bringt mich zum Bus. Danach macht er sein Krähending und nimmt meinen leeren Pappbecher mit.

Die Welt: Wie reagieren die Leute, wenn Sie mit Canuck umherspazieren?


Bergman: Wir werden ständig komisch angestarrt und auch bewundert. Manche kriegen gar nichts mit oder denken, es ist normal, dass mich eine Krähe verfolgt. Sehr komisch war es aber, als Canuck mit der U-Bahn mitfuhr.

Die Welt: Was ist passiert?

Bergman: Er hat jemandem den Platz streitig gemacht und an dessen Rucksack herumgepickt. Derjenige stieg dann aus, er wirkte verängstigt.

Die Welt: Sie pflegen eine offene Beziehung, in der jeder seiner Wege geht. Gibt es Momente, in denen Sie Canuck vermissen?

Bergman: Wir haben eine sehr tiefe Bindung, und ich vertraue ihm vollkommen. Ich kann seinem scharfen Schnabel mit meinen Augen ganz nahe kommen, er würde nie nach mir hacken oder so etwas. Er würde eher versuchen, meine Wimpern zu pflegen, kein Witz, das hat er mal gemacht! Ich weiß nicht, ob das schon "vermissen" ist, aber ich denke im Laufe des Tages ständig an ihn. Er ist fester Teil meines Lebens geworden.
cancuck, Shawn Bergman
© Shawn BergmanCanuck fährt auf dem Außenspiegel mit spazieren
Die Welt: Man schämt sich ja auch manchmal für gute Freunde ... Gab es solche Momente?

Bergman: Er hat mal einen Schlüssel geklaut und versteckt. Ich habe ihn dabei erwischt, die Besitzerin ausfindig gemacht und ihn zurückgebracht. Canuck kam mitgeflogen. Die Frau war sehr nett und lud mich zum Essen ein. Wir drei sind jetzt Freunde. Er hat auch mal Polizisten im Coffeeshop einen Stift stibitzt. Die fanden das lustig und haben eine Fahndungsmeldung im Radio rausgegeben, der Kollege sei von einem fliegenden Dieb überfallen worden.

Die Welt: Canuck ist inzwischen eine echte Berühmtheit.

Bergman: Ja, und er treibt nicht nur mit mir Scherze. Ich freu mich immer über neue Geschichten, die mir erzählt werden. Leute posten Schnappschüsse auf Facebook, die ich dann veröffentliche.


Die Welt: Trotzdem ist Ihre Beziehung die Innigste?

Bergman: Ich fühle mich echt privilegiert, sein Freund zu sein. Als Fünfjähriger fand ich schon Krähen toll und habe davon geträumt, eine näher kennenzulernen.

Die Welt: Machen Sie sich nicht auch Sorgen bei all der Popularität? Immerhin wollte jemand Canuck schon einmal einfangen.

Bergman: Ich will darüber eigentlich nicht reden - aus Angst, dass manche dann erst recht auf dumme Ideen kommen. Zum Glück passen unheimlich viele Leute auf ihn auf. Seine Fans sagen: "Wer sich mit Canuck anlegt, bekommt es mit mir zu tun!" Jeder will, dass er ein freier Vogel bleibt. Ein Fahrradkurier hatte sich sogar angeboten, nach Canuck in der ganzen Stadt zu suchen, als ich ihn eine Weile nicht gesehen hatte.

Die Welt: Es gibt aber auch Leute, die Krähen nicht mögen. Was sagen Sie als Krähenexperte dazu?

Bergman: Ach was. Ich sehe mich nicht als Experte für Krähenverhalten. Ich bin lediglich in einer besonderen Lage und kann eine Krähe aus nächster Nähe beobachten, ohne sie zu stören. Leute, die Krähen nicht mögen, wissen einfach nichts über sie. Krähen gehören zu den intelligentesten Lebewesen auf unserem Planeten. Die Leute sollten sich meine Facebook-Seite ansehen, da sind so viele lustige Geschichten und Abenteuer über Canuck zu lesen. Wer negativ denkt, hat entweder schlechte Erfahrungen gemacht oder es gibt Missverständnisse, meist von Menschenseite aus. Manche halten auch einfach an altem Aberglauben oder Vorurteilen fest.


Die Welt: Weil Canuck so berühmt ist, sehen ihn manche als ideale Filmkrähe. Was denken Sie über eine solche Karriere?

Bergman: Bloß nicht. Ich will nicht, dass er Schauspieler wird. Dafür ist er auch gar nicht der Typ! Er ist in keinster Weise dressiert. Da hätte man vom ersten Tag an trainieren müssen. Ich will, dass er frei bleibt und nicht an einem Drehort seine Zeit eingesperrt verplempert. Er hätte dazu auch gar keine Lust. Dafür kenne ich ihn zu gut. Er hat zu viele "Krähensachen" zu tun.

Die Welt: Was ist Canuck denn so für ein Typ?

Bergman: Ich würde ihn als neugierig, sturköpfig, zäh und freundlich beschreiben. Er ist wirklich sehr lustig, spielt gern und ist lebensfroh. Das Beste an ihm ist seine Loyalität. Seine "schlechteste" Eigenschaft ist seine unendliche Neugier.

Die Welt: Was frisst er eigentlich?

Bergman: Ich will, dass er sich gesund ernährt, aber er frisst natürlich alles, was er in der Stadt so findet. Viel Junkfood. Er geht oft zu McDonald's, und manchmal bringt er mir auch Geschenke. Neulich etwas Hühnerhaut und eine Wiener. Es ist schwer, ein Geschenk abzuweisen, also trag ich es ins Haus.

Die Welt: Hat er Hobbys?

Bergman: Er geht am liebsten zur Pferderennbahn um die Ecke und amüsiert sich mit den Pferden und Jockeys. Ich hab ihn schon auf einem Reithelm sitzen sehen. Er ist auch gern mit der Verkehrspolizei unterwegs und spielt mit dem Blitzer.

Die Welt: Canuck wird heute ein Jahr alt. Was machen Sie, wenn er einen Partner findet?

Bergman: Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, ob Canuck männlich oder weiblich ist. Ein Fan aus England hat mir angeboten, einen DNA-Test zu machen, wenn ich ihm drei Federn schicke. Ich glaube, dass Canuck männlich ist. Aber ich hoffe einfach, dass er oder sie ein normales Krähenleben führt. Später kann er ja mal mit den Kindern zu Besuch vorbeikommen.

Die Welt: Und was unternehmen Sie zur Feier des Tages?

Bergman: Ich habe mir freigenommen und verbringe den Tag mit Canuck. Vielleicht kriegt er ein Geschenk. Etwas Fleisch. Ich füttere ihn ja sonst nie. Proteine sind das Beste für ihn. Aber es wird keine Party bei uns im Haus geben, und seine Freunde sollen auch besser fernbleiben. Die ruinieren mir hier alles.