Drohne
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Eine britische Studie enthüllt die wahre Dimension des US-Drohnenkriegs im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan: Bei Angriffen sind seit 2004 mehr Menschen getötet worden, als Washington bislang einräumt. Unter den Opfern sind demnach Hunderte Zivilisten - und mehr als 160 Kinder.

Die US-Offiziellen sprechen nicht gern über Drohnenangriffe. Es ist ein Krieg, von dem jeder weiß, aber auf dem Papier ist er immer noch geheim. Seit 2004 lässt Washington den Geheimdienst CIA Drohnen über Gebiete entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze fliegen und Raketen auf Häuser, Autos und Stellungen abfeuern, in denen sich angeblich Islamisten befinden. Es ist ein Krieg, den die pakistanische Regierung öffentlich als Verletzung der staatlichen Souveränität verurteilt, insgeheim aber billigt.

Amtliche Angaben über die Zahl der Angriffe und der Opfer gibt es deshalb nicht, sie basieren auf Recherchen von Instituten und Medien. Eine am Donnerstag veröffentlichte Studie des Londoner Bureau of Investigative Journalism kommt zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Getöteten 40 Prozent höher liegt als bislang angenommen.

Demnach wurden seit Beginn des Drohnenkrieges zwischen 2292 und 2863 Menschen durch Drohnenangriffe getötet. Zuletzt starben am Mittwoch 21 Menschen in der Krisenregion Nord-Waziristan, angeblich Militante. Unter den Toten insgesamt, so das Ergebnis der Recherche, seien mindestens 385 Zivilisten, darunter 168 Kinder.

Das Ergebnis wird gestützt durch Aufnahmen des Journalisten Noor Behram, der SPIEGEL ONLINE kürzlich von seinen Besuchen der Angriffsorte in den vergangenen Jahren berichtete. Auch Behram geht davon aus, dass es sich bei den Getöteten oft um Zivilisten handelt.

Das Bureau of Investigative Journalism, eine vor einem Jahr gegründete Stiftung, wertete rund 2000 Zeitungsartikel, Augenzeugenberichte, US-Botschaftsdepeschen, Geheimdienstberichte und Aussagen von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen und Anwälten aus. Es habe seit 2004 mindestens 291 US-Drohnenangriffe auf pakistanischem Gebiet gegeben. Bislang war man von 262 Vorfällen ausgegangen. Bei diesen Angriffen wurden demnach insgesamt 1114 Menschen verletzt.

Die meisten Drohnenattacken wurden in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama angeordnet, nämlich der Zählung der Studie nach 236. Damit habe es im Durchschnitt alle vier Tage einen Angriff gegeben. Obama setzte den von seinem Vorgänger George W. Bush begonnenen Drohnenkrieg mit größerer Härte fort - mit fragwürdigem Erfolg. Zwar wurden auch ranghohe Militante getötet wie zum Beispiel der pakistanische Taliban-Chef Baitullah Mehsud. Doch namentlich belegen ließen sich nur 126 getötete Militante, was darauf hindeutet, dass die Zivilbevölkerung einen hohen Preis zahlt. Einige Angehörige von Getöteten verlangen von den USA deshalb auf dem Rechtsweg eine Entschädigung.

CIA-Vertreter kritisieren die Studie - vor der Veröffentlichung

CIA-Vertreter kritisierten nach Angaben des Bureau of Investigative Journalism die Methoden und das Ergebnis der Recherche. Iain Overton, Chef des Bureaus, sagte, ihn wundere die Kritik nicht. Es spreche für sich, dass der US-Geheimdienst die Untersuchung kritisiere, noch bevor sie veröffentlicht worden sei. Die CIA würde "Nicht-Kombattanten", wie es im Militärjargon heißt, nicht einmal beim Namen nennen: nämlich dass es sich um Zivilisten und, allzu oft, um Kinder handele.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte nach Bekanntwerden der Studie "mehr Transparenz" von der CIA. Die Regierung Obama müsse erklären, auf welcher rechtlichen Basis sie die Drohnenangriffe durchführe, sagte Sam Zarifi von Amnesty International. Zudem müsse die pakistanische Regierung für das "wahllose Töten" innerhalb Pakistans mehr Verantwortung übernehmen.

Die Stammesgebiete in Pakistan entlang der Grenze zu Afghanistan gelten als Rückzugsgebiet für Militante, die in Afghanistan kämpfen und den US-Streitkräften schwere Schäden zufügen.

Washington wirft der Regierung in Islamabad regelmäßig vor, nicht energisch genug gegen Terroristen vorzugehen, sie womöglich gar zu unterstützen und ihnen Unterschlupf zu bieten. Seit der Tötung Osama Bin Ladens in der nordpakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad haben diese Vorwürfe zugenommen. Mit ihren Drohnenangriffen nehmen die USA den Kampf gegen Extremisten selbst in die Hand.