Das Kultusministerium lehnt die Förderung mit dem Hinweis ab, man wolle statt dessen die Grenzmuseen im Land profilieren.
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© Grenzmuseum/HNA

Erfurt. Schätzungsweise 600 bis 800 Menschen starben bei Fluchtversuchen an der innerdeutschen Grenze. Sie wurden erschossen, von Minen zerfetzt oder von Hunden zerrissen.

Über die Anzahl derer, die in der Ostsee ertranken oder erfroren oder an den Westgrenzen anderer osteuropäischer Länder zu Tode kamen, ist noch weniger bekannt.

Wie viele waren es genau, wer waren sie und warum wollten sie fliehen? Man weiß es nicht. Historiker wollen das ändern. Um die Namen ermitteln und die Biografien erforschen zu können, wurde auch das Land Thüringen um finanzielle Förderung gebeten. Doch das Kultusministerium sagt Nein.

Unsere Zeitung weiß von zwei Forschungsvorhaben. In Berlin will Professor Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität neben den Grenztoten auch gescheiterte Fluchten und Verletzte untersuchen. Zur Finanzierung wendet er sich an den Bundes-Kulturstaatsminister. Dort verweist man auf die nötige Ko-Finanzierung durch die beteiligten Länder. Einige Länder hätten aber bereits Interesse bekundet, bestätigt Pressereferent Hagen Philipp Wolf .

Thüringen gehört nicht dazu.

Im März 2011 erhält Klaus Schroeder ein Schreiben der Erfurter Staatskanzlei, dass man sein Anliegen zur Prüfung an das Kultusministerium weitergegeben habe. Das hat nun endgültig entschieden: Keine Förderung für ein Forschungsprojekt aus Berlin.

Auf unsere Nachfrage bestätigt Kultus-Staatssekretär Thomas Deufel die per Brief vom 22. Juni erfolgte und am 28. Juli noch einmal bekräftigte Absage. Thüringen konzentriere sich auf seine Grenzmuseen; Landesmittel, die nicht in Thüringer Projekte flössen, seien im Landeshaushalt nicht vorgesehen. Dass Thüringen damit im Gedenkjahr des Mauerbaus als Grenzland ein beschämendes Bild abgeben und allein dastehen könnte, sieht der Politiker nicht. Das Projekt sei Thema der Ministerpräsidentenkonferenz gewesen, wo sich alle Ländern mit dem Hinweis, dass es sich um ein gesamtdeutsches Vorhaben handeln müsse, dagegen ausgesprochen hätten.

Dem widerspricht Klaus Schroeder entschieden. Niedersachsen mache mit, Sachsen-Anhalt habe einen Antrag beim Kulturstaatsminister gestellt, versichert er.

Laut Schroeder geht es um einen Thüringer Anteil von etwa 30 000 Euro. An der Weigerung Thüringens werde sein Projekt nicht scheitern. Die Haltung empfinde er aber als "geschichtspolitisch traurig".

Ähnlich wie dem Schroeder-Projekt erging es zuvor einem zweiten uns bekannten Forschungsvorhaben. Auf den Weg gebracht wurde es 2006 und dann noch einmal 2010 von Professor Detlef Schmiechen-Ackermann vom Historischen Seminar der Uni Hannover. Auch er erhielt bisher keine Zusage aus Thüringen.

Vorbild ist in beiden Fällen ein Biografie-Projekt, das Lebens-, Flucht- und Todesumstände aller 136 Mauertoten recherchierte. Dass die Ausweitung des Projektes auf die gesamte Grenze bislang an der fehlenden Finanzierung scheitere, bezeichnete Maria Nooke, stellvertretende Leiterin der Stiftung Berliner Mauer, als "dramatisch und peinlich".