Wissenschaftler entwickeln ein neues Modell, das erklären soll, weshalb heißes Wasser schneller als kaltes gefriert.
hydrogen seawater
© University of Central Florida Creative Energy
Angeblich wusste es bereits Aristoteles: Heißes Wasser gefriert rascher als kaltes. Zumindest unter gewissen Umständen. Die Beobachtung geriet aber wieder in Vergessenheit, bis der 13-jährige Schüler Erasto Mpemba in den frühen 1960er Jahren beschloss, Speiseeis herzustellen. Überraschenderweise gefror die warme Milch schneller als die kalte. Als Student ging Mpemba diesem Phänomen auf den Grund und veröffentlichte eine Abhandlung darüber. Seitdem haben etliche Wissenschaftler versucht, die Ursache für den »Mpemba-Effekt« zu finden - ohne abschließenden Erfolg. Wieso sollte heißes Wasser schneller seine Energie verlieren als kaltes? Es muss ja erst mal die gleiche Temperatur erreichen wie die kühlere Version - und das braucht Zeit, es müsste gewissermaßen das kalte Wasser »überholen«.

Eine Mehrzahl der Experten glaubt, dass es an der schnelleren Bewegung der Wassermoleküle liegt. Die würde temperaturausgleichende Strömungen in der Flüssigkeit beschleunigen, wodurch Energie schneller aus dem System entweicht. Anfang 2017 präsentierten Forscher eine andere Lösung: Die Eigenschaften der Wasserstoffbindungen im Wasser seien schuld. Durch die Simulation von Clustern von Wassermolekülen, also kleinen Molekülhaufen, offenbarten die Wissenschaftler scheinbar einen Zusammenhang zwischen der Anfangstemperatur des Wassers und der späteren Eiskristallbildung. Doch bis heute existiert kein Modell, das von der Wissenschaftscommunity geschlossen akzeptiert wird. Die Sache ist also verzwickt. Selbst die bloße Existenz des Mpemba-Effekts bestreiten manche: Eine neuere Studie konnte etwa nicht genügend Beweise dafür finden, dass es ihn wirklich gibt.

Neuer Anlauf

Nun widmeten sich Forscher aus Spanien erneut dieser Thematik. Im Fachblatt Physical Review Letters berichten sie über Simulationen des Mpemba-Effekts in granularen Flüssigkeiten - also solchen, die aus körnigen Partikeln bestehen. So reduzierten sie die komplexe Fluiddynamik auf einzelne abgegrenzte Einheiten. Sowohl die Startbedingungen des Systems als auch seine Entwicklung ließen sich dadurch leichter simulieren. Mit Hilfe des Modells konnten die Wissenschaftler demonstrieren, dass der Effekt in diesen Materialien ebenfalls auftritt. Außerdem veranschaulichten sie, wie die Bewegungen und Stöße der winzigen Partikel in das Einfrieren mit einer bestimmten Kühlrate resultierten. In ihrem System entschieden die Anfangsbedingungen darüber, ob der Mpemba-Effekt auftrat oder nicht. Laut den Forschern könnte das erklären, weshalb es überhaupt eine Kontroverse über das Bestehen des Phänomens gibt.

Für das schnelle Gefrieren war maßgeblich ein Zustand nötig, der sehr weit vom Gleichgewicht entfernt war - also gewissermaßen eine möglichst ungleichmäßige Temperaturverteilung im System. Dies kann etwa durch eine plötzliche, kurze Erwärmung direkt vor dem Abkühlen herbeigeführt werden. Die Forscher glauben, dass der Mpemba-Effekt ein Merkmal praktisch jeder Flüssigkeit sein kann. Ferner unterstützt ihr Modell das Vorhandensein eines inversen Mpemba-Effekts: Beim Erwärmen kann eine kältere Probe schneller eine höhere Zieltemperatur erreichen als eine wärmere Probe.

Letztlich lieferte das Team zwar keine abschließende Erklärung, aber immerhin Indizien dafür, dass die Wärmeverteilung im System zu Beginn des Abkühlens maßgeblich beeinflusst, wie schnell das System im weiteren Verlauf Energie verliert. Doch auch weiterhin schließen die Forscher andere Erklärungsmodelle nicht aus - das Rätsel bleibt also immer noch ungelöst.