Es ist eine alarmierende Zahl: 470.000 - so viele Anzeigen auf Kurzarbeit gingen im März ein, 20-mal mehr als der bisherige Rekord in der Finanzkrise. Die Coronakrise trifft den Arbeitsmarkt offenbar mit voller Wucht.
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Was für die Statistiken zur Corona-Pandemie gilt, lässt sich ebenso auf die Zahlen zu den von ihr ausgelösten Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt übertragen: Sie geben den eigentlichen Stand der Misere nur mit Verzögerung wieder. Der Blick auf sie ist einer in die Vergangenheit.

Bei den Daten, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) an diesem Vormittag bekannt gegeben hat, reicht dieser Blick exakt 19 Tage zurück - und zeigt eine heile Welt: sinkende Arbeitslosigkeit, massenhaft offene Stellen und kaum Kurzarbeit. So sah es aus auf dem deutschen Arbeitsmarkt am 12. März - dem Stichtag, bis zu dem Daten aus den Arbeitsagenturen für die März-Zahlen berücksichtigt werden.


Kommentar: Und dank einer erzeugten Panikkrise durch Covid-19, wird die Wirtschaft darunter leider und vor allem die Menschen.


Weniger als drei Wochen sind seitdem vergangen, und die Welt des deutschen Arbeitsmarkts ist nicht mehr heil. Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens seit dem 16. März, der Einbruch von Exportmärkten durch die fast weltweiten Lockdowns, die unterbrochenen Lieferketten in der Industrie - all das hat bereits massive Folgen für Beschäftigte, und es wird noch weitere Folgen haben.


Kommentar: Psychische Erkrankungen, Suizide...


Doch wie schlimm ist es bereits, und wie schlimm wird es noch kommen?

Weil diese Krise so einzigartig ist, gibt es bislang nur wenige, eher vorsichtige Prognosen. Im Grundtenor stimmen sie überein: In den kommenden Wochen und Monaten werden Arbeitslosigkeit und vor allem Kurzarbeit sehr deutlich anwachsen - sobald das Wirtschaftsleben aber wieder auf Touren kommt, fast ebenso deutlich sinken. So könnte es noch immer kommen.


Kommentar: Oder es handelt sich hierbei nur um Wunschdenken.


Doch eins ist jetzt schon sicher: Der Schock auf dem Arbeitsmarkt übertrifft zumindest kurzfristig alles, was die Bundesrepublik während Rezessionen bislang erlebt hat.


Kommentar: Und das alles, für eine geringe Gefahr wie Covid-19. Auch wenn das Bild schon etwas älter ist, zeigt es dennoch immer noch einen wichtigen Zusammenhang. Und zurzeit gibt es insgesamt 500 Tote durch den Corona-Virus in Deutschland.

coronavirus verhältnis

Kaum eine Zahl könnte das deutlicher machen als jene, die Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und BA-Chef Detlef Scheele am Nachmittag verkündeten: 470.000.

So viele Anzeigen auf Kurzarbeit sind im März 2020 bei den Arbeitsagenturen eingegangen - genauer bis zum 27. März. Die endgültigen März-Zahlen könnten über der 500.000-Marke liegen. Das bedeutet: Rund eine halbe Million Betriebe hat der BA gemeldet, Beschäftigte in Kurzarbeit zu schicken - das mag in einem Fall nur eine einzige Person sein, in anderen Fällen Hunderte, vielleicht Tausende. Wie viele Beschäftigte bereits jetzt betroffen sind, darüber machte BA-Chef Scheele keine Aussagen.

Wie gewaltig die Zahl der Anzeigen auf Kurzarbeit ist, wird im Vergleich zur tiefen Finanzkrisen-Rezession im Jahr 2009 deutlich. Damals waren auf dem Höhepunkt der Krise knapp 1,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, im Juli 2019 erreichte die Anzahl der Betriebe mit Kurzarbeit ihren Höchststand mit 61.427. Selbst in diesem Krisenjahr 2009 gab es in einem einzigen Monat maximal 23.000 Anzeigen auf Kurzarbeit.

Und wie viele Menschen werden in Kurzarbeit gehen?

Auch das ist noch unklar. Doch mit der hohen Zahl der Anzeigen scheinen sich Befürchtungen zumindest in der Tendenz zu bewahrheiten, die der Journalist André Kühnlenz auf dem Nachrichtendienst Twitter anstellt - auf Grundlage von aktuellen Suchanfragen bei Google nach den Stichworten "Kurzarbeit" oder "Kurzarbeitergeld". Verglichen mit deren Zahl im Jahr 2009 könnten es schlicht hochgerechnet demnach bis Mai gut zwölf Millionen Kurzarbeiter werden.

Selbst die Wirtschaftsweisen übernahmen die Berechnungen Kühnlenz' in ihrem Sondergutachten zur Coronakrise - weisen aber darauf hin, dass sich anhand der Google-Anfragen nicht so einfach die Zahl der Kurzarbeiter hochrechnen lasse. Etwa weil die Bundesregierung schon vor dem Lockdown Änderungen bei der Kurzarbeit in Aussicht stellte, sodass auch politisch Interessierte nach diesem Begriff gesucht haben. Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Google heute ganz allgemein noch stärker genutzt wird als bereits vor elf Jahren. Die Wirtschaftsweisen selbst sprechen lediglich von der Möglichkeit, dass der bisherige Höchststand aus dem Jahr 2009 übertroffen werden könnte.

Ein weiterer Unterschied zu 2009, der hoffen lässt, dass die Zahl der Kurzarbeiter selbst nicht so dramatisch höher ist wie die Zahl der Anzeigen: Damals waren es vor allem Industriebetriebe, die Kurzarbeit nutzten - andere Wirtschaftszweige waren es deutlich weniger oder gar nicht. Industrieunternehmen haben im Schnitt deutlich mehr Mitarbeiter als etwa kleine Einzelhändler, Restaurants oder Reisebüros. Diesmal trifft die Krisen-Kurzarbeit fast die gesamte Wirtschaft, die Industrie zwar auch in beträchtlichem Ausmaß, wie eine Umfrage des Ifo-Instituts zeigt, aber bislang doch erheblich weniger als 2009. Damals waren es in der Spitze mehr als die Hälfte der Industriefirmen, die Kurzarbeit anmeldeten - derzeit erwarten das für die kommenden drei Monate nur rund ein Viertel.

Dennoch rechnet etwa Peter Weiß, der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, nun mit mehr als vier Millionen Kurzarbeitern. Die Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem wissenschaftlichen Arm der BA, könnte also zu optimistisch gewesen sein. Das IAB rechnete mit durchschnittlich 645.000 Kurzarbeitern für das gesamte Jahr 2020. Sollte sich die Wirtschaft nach dem Shutdown wirklich wieder schnell normalisieren, wäre das sogar noch möglich - aber extrem unwahrscheinlich.

Und die Arbeitslosigkeit selbst? Hier gibt sich Scheele trotz - oder wegen - der alarmierenden Kurzarbeitszahlen weiter relativ optimistisch: Im April könnte die Zahl der Arbeitslosen um rund 150.000 bis 200.000 steigen, sagte der BA-Chef. Kurzarbeit ist schließlich ein Mittel, Mitarbeiter nicht kündigen zu müssen. Und das IAB rechnet nur im Fall eines längeren Shutdowns - also zehn statt sechs Wochen - damit, dass die Arbeitslosigkeit kurzzeitig wieder über drei Millionen steigt.


Kommentar: Wenn alles gut läuft und selbst das ist sehr unwahrscheinlich.


Doch wie stark die Coronakrise tatsächlich nicht nur zu Kurzarbeit, sondern dennoch zu Kündigungen und zu nicht erfolgten Neueinstellungen führt, wird wohl erst in vier Wochen wirklich klar werden: wenn Ende April die neuen Arbeitsmarktdaten veröffentlicht werden.