In einer neuen Studie, in der Bewegungsdaten von Tieren ausgewertet wurden, wurde jetzt bestätigt, was viele Menschen rund um den Globus schon seit langem festgestellt haben: Tiere können Erdbeben, noch bevor sie auftreten, wahrnehmen und reagieren darauf.
Cow Kuh
© Copyright: MPI f. Verhaltensbiologie / MacCineMit Bewegungssensoren ausgerüstete Tiere in einem Bauernhof in einer norditalienischen Erdbebenregion.
Berichte über die Fähigkeit von Tieren, Erdbeben vorweg spüren zu können und diese durch ungewöhnliches Verhalten vorab anzuzeigen, gehen bis in die Antike zurück. In einem internationalen Kooperationsprojekt haben Verhaltensbiologn untersucht, ob Kühe, Schafe und Hunde tatsächlich frühe Anzeichen von Erdbeben wahrnehmen könnten.

~ Grenzwissenschaft Aktuell
Die Ergebnisse könnten zur Implementierung von Frühwarnsystemen eingesetzt werden und bestätigen bereits zuvor durchgeführte Experimente. Die Studie wurde über Monate hinweg an Tieren in einer Erdbebenregion in Italien durchgeführt.
Wie das Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell/Konstanz und des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz aktuell im Fachjournal "Ethology" (DOI: 10.1111/eth.13078) berichtet, haben sie in einer Erdbebenregion in Norditalien Tiere mit Sensoren ausgestattet und so deren Bewegungen über Monate hinweg aufgezeichnet.

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Interessanterweise verhielten sich die Tiere umso früher unruhiger, je näher sie sich am Epizentrum befanden. Die Daten verschiedener Tierarten könnten sogar die genaue Lokalisierung und den Zeitpunkt des bevorstehenden Erdbebens ermöglichen.
"Die Bewegungsdaten zeigen, dass sich die Tiere in den Stunden vor Erdstößen außergewöhnlich unruhig verhielten. Je näher die Tiere dem Epizentrum des bevorstehenden Bebens waren, desto früher verhielten sie sich auffällig." Die Bewegungsprofile verschiedener Tierarten in unterschiedlichen Regionen könnten also möglicherweise Hinweise auf Ort und Zeitpunkt eines bevorstehenden Erdbebens liefern, vermuteten die Forscher.

Ob auf diese Weise allerdings auch exakte Vorhersagen von Erdbeben möglich sind, ist unter Experten umstritten. Dennoch zeichne sich immer deutlicher ab: "Tiere scheinen die drohende Gefahr schon Stunden zuvor zu spüren. So gibt es Berichte, dass Wildtiere unmittelbar vor starken Beben ihre Schlaf- und Nistplätze verlassen und Haustiere unruhig werden." Diese anekdotenhaften Erzählungen halten einer wissenschaftlichen Überprüfung aber häufig nicht stand, denn oft sei die Definition von auffälligem Verhalten zu unklar und der Beobachtungszeitraum zu kurz. Zudem könnten auch andere Einflussfaktoren das Verhalten der Tiere erklären.

Um tierische Aktivitätsmuster wirklich als eine Art Frühwarnsystem für Erdbeben nutzen zu können, müssten die Tiere messbare Verhaltensänderungen zeigen. Sollten sie außerdem tatsächlich auf schwache physikalische Veränderungen unmittelbar vor Erdbeben reagieren, wäre zu erwarten, dass sie besonders stark reagieren, je näher sie am Epizentrum des Bebens sind.

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Die Studie umfasste relativ wenige Tiere, die sich bereits zuvor bei Erdbeben auffällig verhalten hatten.
Um zu untersuchen, ob Tiere dies wirklich tun, haben die Wissenschaftler sechs Kühe, fünf Schafe und zwei Hunde, die sich bereits früher vor Erdbeben auffällig verhalten hatten, auf einem italienischen Bauernhof inmitten einer Erdbebenregion mit Beschleunigungssensoren am Halsband ausgestattet und auf diese Weise die Bewegungen der Tiere über mehrere Monate hinweg kontinuierlich aufgezeichnet. Während dieser Zeit meldeten offizielle Behörden etwa 18.000 Beben in der Region. Neben vielen kleinen und kaum spürbaren Beben waren darunter auch zwölf Erdbeben mit einer Stärke von vier oder höher auf der Richterskala.

Anschließend wählten die Forscher die Beben aus, die statistisch relevante Erdbewegungen am Bauernhof auslösten. Darunter waren starke Beben in bis zu 28 Kilometern Entfernung sowie schwächere Beben, deren Epizentrum sehr nah am Hof lag. Anstatt jedoch explizit nach Verhaltensauffälligkeiten im Zeitraum vor diesen Ereignissen zu suchen, wählten die Forscher einen umsichtigeren Ansatz: Sie markierten zunächst alle Verhaltensänderungen der Tiere, die nach objektiven, statistischen Kriterien auffällig waren. "So stellen wir sicher, dass wir nicht nur im Nachhinein Zusammenhänge feststellen, sondern wirklich ein Modell haben, das auch zukünftig für Vorhersagen verwendet werden kann", sagt der Leiter der Studie, Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Principal Investigator am Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour.

Zur Auswertung der Daten - gemessen wurde die Körperbeschleunigung der Tiere, was ihren Aktivitätsgrad widerspiegelt - wurden zeitreihenanalytische Methoden aus der Ökonometrie herangezogen, die unter anderem im Finanzbereich zum Einsatz kommen. "Da jedes Tier je nach seiner Größe, Geschwindigkeit und Tierart unterschiedlich reagiert, weisen sie eine Heterogenität auf, die vergleichbar mit dem Verhalten von Investoren auf dem Finanzmarkt ist", erläutert Ko-Autor Winfried Pohlmeier, Professor für Ökonometrie an der Universität Konstanz und Principal Investigator am Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour. Zudem berücksichtigten die Wissenschaftler auch andere Störfaktoren, wie etwa die natürlichen Veränderungen der tierischen Aktivitätsmuster über den Tag hinweg.

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