Im Fürstenzimmer auf Schloss Hohentübingen in Tübingen konnte Mittwochmittag ein gebürtiger Leinefelder eine Sensation verkünden. Dr. Johannes Krause und seinem internationalen Wissenschaftler-Team gelang die vollständige Entschlüsselung des Erbguts des Erregers der mittelalterlichen Pest.

Tübingen/Leinefelde-Worbis. Die Rekonstruktion des Genoms, also sämtlicher vererbbaren Informationen einer Zelle, gelang mit Hilfe neuester Methoden.

Juniorprofessor Krause, Spezialist für Paläogenetik, war bereits im Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie maßgeblich an der Entschlüsselung des Neandertaler-Erbguts sowie an der Entdeckung des bisher unbekannten Denisova-Menschen in Asien beteiligt. Der Durchbruch, den sein Team jetzt erzielte, führe zu einem neuen Verständnis der Evolution menschlicher Infektionskrankheiten, betont Michael Seifert, Sprecher der Uni Tübingen. Mit dem Ergebnis der Forschergruppe, der auch Wissenschaftler der McMaster University in Kanada angehören, könnten nun Veränderungen in der Evolution zurück verfolgt werden. Außerdem sei es möglich, Aussagen über die Infektionskraft des Erregers zu treffen.

Die Studie, die gestern Abend in der Onlineausgabe des Wissenschaftsjournals Nature veröffentlicht wurden, könnte, so Seifert weiter, zu einem besseren Verständnis der Evolution moderner Infektionskrankheiten führen.

Laut dem Sprecher beschrieb das Team in einer weiteren kürzlich publizierten Studie einen neuen methodischen Ansatz, winzige Fragmente der Desoxyribonukleinsäure (DNA) des Krankheitserregers der Pest aus mittelalterlichen Skeletten anzureichern. Die DNA ist die Trägerin der Erbinformation. Die Forscher konnten damit bestätigen, dass Yersinia-pestis-Bakterien für den Schwarzen Tod verantwortlich waren. Die Krankheit raffte allein zwischen 1347 und 1351 die Hälfte aller Europäer dahin.

Neueste Methoden

"Um zu verstehen, warum die mittelalterliche Pest so furchtbar grassierte, entschlüsselten wir das Erbgut des Pest-Erregers mit Hilfe neuester DNA-Sequenziermethoden", erklärt Krause. Die genetischen Informationen würden zeigen, dass der mittelalterliche Peststamm der Vorläufer aller heute noch vorkommenden Pestbakterien ist. Jeder heutige Pestausbruch gehe auf einen direkten Nachfahren der mittelalterlichen Krankheit zurück, fügt Hendrik Poinar hinzu, einer der Hauptautoren der Studie. Mit einem besseren Verständnis des tödlichen Erregers breche eine neue Ära der Erforschung von Infektionskrankheiten an. Poinar: "Die direkten Nachfahren der mittelalterlichen Beulenpest existieren bis heute und töten etwa 2000 Menschen jährlich."

Für die Studie untersuchten die Forscher Überreste von Pestopfern, die einst auf dem Londoner Pestfriedhof "East Smithfield" bestattet wurden. Sie verwendeten Proben aus den Zähnen von fünf Skeletten, die bereits positiv auf die Anwesenheit von Y. pestis getestet worden waren. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich in 660 Jahren Evolution relativ wenige Veränderungen im Genom des Pesterregers ereignet haben. Ob diese Veränderungen zu der höheren Infektionskraft der historischen Pest im Vergleich zu modernen Pesterregern führte, bleibt jedoch ungeklärt.

Der historische Kontext der untersuchten menschlichen Überreste mit genauer Datierung auf das Jahr 1349 erlaubte es den Forschern, das maximale Alter des gemeinsamen Vorfahrens aller Pesterreger zu bestimmen. Den Ursprung der Pest sehen die Forscher in Ostasien im 13. oder 14. Jahrhundert. Die Forscher vermuten, dass frühere Pestausbrüche wie die Justinianische Pest, die im 6. Jahrhundert mehr als 100 Millionen Menschen weltweit tötete, wahrscheinlich von einem anderen, bisher nicht identifiziertem Erreger verursacht wurden.
"Mit unserer neuen Methodik sollte es möglich sein, die Erbinformation der Krankheitserreger unterschiedlicher historischer Epidemien zu untersuchen", betont Krause. So könne man einen Einblick in die Evolution von menschlichen Erregern und deren Einfluss auf historische Ereignisse bekommen. Gleichzeitig würden die Ergebnisse zur Mittelalterpest zeigen, welch katastrophale Auswirkungen ein Erreger haben kann, wenn er erstmalig beim Menschen in Erscheinung tritt.