Mädchen und Frauen mit Behinderungen und intellektuellen Beeinträchtigungen sollen in österreichischen Heimen noch bis 2001 zwangssterilisiert worden sein. Die Eingriffe seien demnach als Blinddarmoperationen getarnt worden, erklärte der bekannte Wiener Kinderpsychiater Ernst Berger am Montag. Er bestätigte damit einen Bericht des Ö1- "Mittagsjournals". Die Betroffenen hätten gar nicht gewusst, dass sie danach keine Kinder mehr bekommen konnten.
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© dpa/Frank May(Symbolbild)
Mit der Operation mussten laut Bergers Angaben nur die Eltern einverstanden sein, auf die vonseiten der Ärzte und der Behindertenheime Druck ausgeübt worden sei. So sei die Sterilisation zur Bedingung für die Aufnahme in eine Behinderteneinrichtung gemacht worden. "Das war ein offenes Geheimnis, aber es hat niemanden interessiert", sagte der Mediziner.

Zwangssterilisation ab IQ unter 85?

Neben Berger berichtete auch der Tiroler Behindertenrechtsexperte Volker Schönwiese, dass der frühere Wiener Psychiater im Behindertenbereich, Andreas Rett, ein ehemaliges NSDAP- Mitglied, die Zwangssterilisationen generell unter einem Intelligenzquotienten von 85 befürwortet habe.

"Rett war mein Vorgänger. Ich kannte seine Position", sagte Berger. Die generelle Sterilisation unter einem Intelligenzquotienten von 85 sei sogar ein publiziertes Zitat bei einer Tagung im Jahr 1975 gewesen. "Das ist nachzulesen." Somit sei nicht auszuschließen, dass Mädchen sterilisiert wurden, die aus heutiger Sicht gar nicht als behindert gelten würden, betonten Berger und Schönwiese.

Um wie viele Betroffene es sich handelt, konnte Berger nicht sagen. Zum Großteil seien es junge Frauen gewesen, die in den 1980er- und 1990er- Jahren gerade großjährig geworden seien.

Weggefährte von Rett zurückhaltend

Der Weggefährte und Stellvertreter des 1997 verstorbenen Andreas Rett, Heinz Krisper, hatte vor den Erklärungen von Berger und Schönwiese erklärt, er wisse nicht, ob Rett bei einem IQ unter 85 generell für Sterilisationen gewesen sei - glauben würde er es jedenfalls nicht. Es sei immer im Einzelfall entschieden worden - mit Blick auf die Behinderung und die Gesundheit der Nachkommenschaft, sagte Krisper im Ö1- "Mittagsjournal".

AG/red