Japans Premierminister Yoshihiko Noda hat am Freitag das Unterhaus des Parlaments aufgelöst. Durch die Freigabe des Weges zu Neuwahlen erreichte er die Verabschiedung wichtiger Gesetze zur Ausgabe von Staatsanleihen und zur Reform des Wahlsystems. Das neue Parlament wird am 16. Dezember gewählt.

Die Aussicht auf Wiederwahl stehen für Yoshihiko Noda und seine Demokratische Partei (DPJ) denkbar schlecht. Gerade einmal 18 Prozent der Japaner vertrauen der amtierenden Regierung, ermittelte eine Umfrage der Tageszeitung »Asahi Shimbun«. Kritiker werfen dem Premier daher »politischen Selbstmord« vor.

Doch boten sich Noda kaum Alternativen. Denn seit Wochen blockierte die Opposition, allen voran die Liberaldemokratische Partei (LDP), das Oberhaus und damit die Ausgabe neuer Staatsanleihen zur Deckung des Haushaltsdefizits. Ein Kompromiss musste her, wollte die Regierung einen Staatsbankrott vermeiden. Bereits im August hatte Noda »baldige« Neuwahlen versprochen und sich damit die Zustimmung der Opposition zu einer wichtigen Steuererhöhung erkauft. Am Mittwoch versprach Noda Neuwahlen für den Fall, dass die Opposition der Ausgabe neuer Staatsanleihen und einer Wahlrechtsreform zustimmt. Beide Gesetze passierten am Freitag das Parlament - und Noda löste sein Versprechen ein.

Es dürfte der Opposition leicht gefallen sein, den politischen Forderungen der Regierung zuzustimmen. Ohne neue Staatsanleihen droht Japan die Zahlungsunfähigkeit. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt leidet unter einer massiven Schuldenkrise. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegt Japans Schuldenquote bei weit über 200 Prozent. Umgerechnet beläuft sich die Staatsverschuldung auf 9,6 Billionen Euro. Auch das Wahlsystem muss geändert werden, nachdem der Oberste Gerichtshof das derzeitige Verfahren für verfassungswidrig erklärt hatte, weil es ländliche Wähler überproportional bevorzugt.

Die DPJ droht derweil im Kampf um zentrale Reformthemen wie Steuererhöhung, Energiewende und Freihandel zu zerfallen. Besonders die beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit 5 auf 10 Prozent bis 2015 ist in der Partei umstritten. Auch Nodas Ziel, einem transpazifischen Freihandelsabkommen (TPP) beizutreten, bringt viele DPJ-Mitglieder auf, nicht zuletzt, weil Japan seinen Agrarmarkt öffnen müsste. Und auf die Unterstützung der japanischen Bauern im Wahlkampf will niemand verzichten. Führende DPJ-Mitglieder verlassen aus Protest gegen Nodas Kurs die Partei, darunter der ehemalige Agrarminister Masahiko Yamada. Bereits im Juli hatten 49 Abgeordnete der DPJ den Rücken gekehrt. Ohnehin drohte der Regierung also der Verlust der eigenen Mehrheit im Parlament. Neuwahlen dürften den Zerfall wohl nur beschleunigen.

Die Parlamentsauflösung trifft allerdings auch Japans Rechtspopulisten. Politikstar Toru Hashimoto, Bürgermeister von Osaka, und der 82-jährige Shintaro Ishihara, ehemals Gouverneur von Tokio, gründeten erst jüngst eigene Parteien. Denen bleibt jedoch kaum Zeit, sich ausreichend auf die Dezemberwahlen vorzubereiten. Dennoch werden dem neuen Parlament wohl mehr Parteien als bisher angehören, was politische Kompromisse noch schwieriger macht.

Als aussichtsreichster Anwärter auf den Posten des Regierungschefs gilt nun Shinzo Abe, der erst im September den Vorsitz der LDP übernahm. Abe war bereits 2006 Premierminister, warf aber nach einem Jahr das Handtuch. Bis 2009 regierte seine LDP das Land 50 Jahre lang fast ununterbrochen, die Regierungsübernahme durch die DPJ galt deshalb seinerzeit als historisch.

Eindeutige Wahlversprechen will die LDP indes nicht machen. Klar ist nur, dass von der industrienahen Partei kaum eine Revolution mit Blick auf die Energiewende und den Atomausstieg Japans zu erwarten ist. Dabei sind die Probleme des Landes gewaltig: Zur Verschuldung kommen der demografische Wandel und die Notwendigkeit des Umbaus der Sozialsysteme. Wirtschaftsprognosen sagen außerdem ein neuerliches Abrutschen Japans in eine Rezession voraus. Die Kosten für den Wiederaufbau der von Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze zerstörten Tohoku-Region werden noch Jahre auf den Haushalt Japans drücken. Angesichts der Zersplitterung der japanischen Politik sind jedoch selbst Japaner skeptisch, ob eine neue Regierung diese Probleme lösen kann. Noda war bereits der sechste Premier in sechs Jahren. Selten schaffen es Kabinettsmitglieder, länger als ein Jahr im Amt zu bleiben. Reformen haben so kaum eine Chance.