Die amerikanische Bundesrichterin Colleen McMahon veröffentlichte am Mittwoch ein 75-seitiges Urteil, demzufolge das amerikanische Verteidigungsministerium rechtlich nicht verpflichtet ist, die Hintergründe und Begründungen der Tötungen von Amerikanern durch gezielte Drohnenangriffe offenzulegen.
Drohne
Richterin McMahon schrieb zur Begründung in ihrem Urteil, die Regierung Obama habe weitgehend zu Recht die Forderung zur Offenlegung von Dokumenten und anderem im Zusammenhang mit dem Einsatz von Drohnen zur gezielten Tötung dreier amerikanischer Staatsbürger im Ausland Ende 2011 abgelehnt. Im Rahmen des Gesetzes zur Informationsfreiheit (Freedom of Information Act, FOIA) hatten die amerikanische Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union (ACLU) und die New York Times entsprechende Freigabeanträge gestellt.

Anwar al-Awlaki und Samir Khan, beide amerikanische Staatsbürger mit angeblichen Verbindungen zu al-Qaida, wurden am 30. September 2011 unter Einsatz einer Drohne getötet. Wenige Tage später fiel auch al-Awlakis Sohn im Teenageralter, Abdulrahman al-Awlaki, einem Drohnenangriff zum Opfer. Die Regierung Obama war mit Äußerungen zu den Tötungen im vergangenen Jahr sehr zurückhaltend, aber aus einigen wenigen Stellungnahmen von Regierungsvertretern, darunter auch Präsident Obama selbst, lässt sich ablesen, dass die Regierung weiterhin der Ansicht ist, alle Tötungen seien gerechtfertigt und verfassungsgemäß. Versuche der ACLU und der New York Times, auch über FOIA-Anträge mehr herauszufinden, blieben erfolglos. Und nun war auch die deshalb bei einem Bundesgericht eingereichte Klage abschlägig beschieden worden.

Richterin McMahon macht sich den Standpunkt der Beklagten zu eigen, dass das Weiße Haus zu Recht die Erfüllung der von den Klägern erhobenen Forderung nach Freigabe gemäß des FOIAverweigerte, auch wenn sie dies mit einem sehr skeptischen Unterton begleitet. So schreibt sie in der Urteilsbegründung: »Es gibt in der Tat legitime historische und rechtliche Gründe, die Legalität von Tötungen, die einseitig von der Exekutive angeordnet werden und nicht in einer realen Gefechtssituation erfolgen, anzuzweifeln.« Aber da es in diesem konkreten Fall nur um die Frage ging, ob diese spezifische Ablehnung der FOIA-Forderung einer rechtlichen Prüfung standhält, konnte ihr Urteil nicht berücksichtigen, welche Probleme - seien sie nun historischer, rechtlicher oder moralischer Natur - durch die derzeit gängige Praxis aufgeworfen werden, Drohnen zur Tötung Aufständischer, und in diesem Fall handelte es sich ja sogar um amerikanische Staatsbürger, einzusetzen.
»Es ist mir nicht entgangen, dass diese Behauptung der Regierung ihrem Wesen nach an Alice im Wunderland erinnert; aber nach sorgfältiger Überlegung befinde ich mich in einer paradoxen Situation, in der ich ein Problem aufgrund sich einander widersprechender Zwänge und Regeln nicht lösen kann - eine regelrechte Zwickmühle«, heißt es weiter. »Ich sehe keine Möglichkeit, das Dickicht aus Gesetzen und Präzedenzfällen zu umgehen, das es der Exekutive unserer Regierung tatsächlich gestattet, die vollkommene Rechtmäßigkeit bestimmter Handlungen zu behaupten, die, wie es aussieht, nicht im Einklang mit unserer Verfassung und den Gesetzen stehen, während die Regierung gleichzeitig die Gründe für ihre Schlussfolgerung als geheim einstuft.«
In ihrer Begründung zitiert Richterin McMahon aus Reden von Präsident Obama und Justizminister Eric Holder, in denen zwar vage auf die Tötungen der al-Awlakis Bezug genommen, im Kern aber das Verhalten der Regierung mit ihren eigenen verschwommenen und als geheim eingestuften Erklärungen begründet wird.

McMahon zitiert aus einer Rede Holders an der Northwestern-Universität in Chicago vom März 2012:
»Die Garantie auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren ist in der Verfassung felsenfest verankert und bildet einen zentralen Grundwert - aber wie aus einem kürzlich ergangenen Urteil hervorgeht, bedarf es keiner vorausgehenden richterlichen Genehmigung, wenn der Präsident entscheidet, Gewalt im Ausland gegen einen führenden operativen Vertreter einer ausländischen Terrororganisation einzusetzen, mit der sich die USA im Krieg befinden - selbst wenn es sich bei dieser Person um einen amerikanischen Staatsbürger handelt.«
McMahon wendet dagegen ein:
»Holder erläutert an keiner Stelle, auf welches konkrete Urteil er sich bezieht, noch legt er genau dar, welche verfahrensrechtlichen Möglichkeiten dem Opfer dieser gezielten Tötung außerhalb einer realen Gefechtssituation eingeräumt wurden...«
Bolder und Präsident Obama waren zwar auf diese Tötungen öffentlich eingegangen - einmal hatte der Präsident sogar bei einem Gespräch mit Jay Leno in der Fernsehshow Tonight darauf Bezug genommen - , andererseits beharrte das Justizministerium aber auf der Behauptung, jede weitere Freigabe oder Offenlegung von Beweisen, die die Hinrichtungen begründeten, schade der nationalen Sicherheit.

Auch wenn Richterin McMahon die Haltung des Weißen Hauses letztlich nicht beanstandet, lässt sie an ihrem Überdruss gegenüber dem Vorgehen der Regierung Obama, das sie zwang, sich auf die Behauptung der Regierung zu verlassen, die Informationen, die zu den Tötungen führten, dürften einfach nicht diskutiert werden, keinen Zweifel.
»Als sich die Gründerväter - noch unter dem frischen Eindruck eines Unabhängigkeitskrieges gegen die Herrschaft eines Königs, den sie als Tyrannen bezeichneten - zusammensetzten, um eine Verfassung für ihr gerade befreites Land zu entwerfen, scheuten sie davor zurück, die gesamte Macht in der Hand einer einzelnen Person oder Institution und insbesondere der Regierung zu konzentrieren«,
schreibt McMahon.

Als Reaktion auf das Urteil vom Mittwoch kritisierte der Leiter der Rechtsabteilung der ACLU, Jameel Jaffer, scharf, dass die Regierung nun praktisch freie Hand habe, sich selbst von der Verpflichtung zu einer fairen und ehrlichen Begründung und von ihrer Rechtfertigungspflicht gegenüber der amerikanischen Bevölkerung zu befreien:
»Dieses Urteil verweigert der Öffentlichkeit Zugang zu entscheidenden Informationen zur außergerichtlichen Tötung amerikanischer Staatsbürger durch die Regierung und gibt damit dem gängigen Vorgehen der Regierung grünes Licht, Informationen nach eigenem Gutdünken und ihrem eigenen Interesse entsprechend freizugeben... Die Richterin stellt fest, dass die Praxis gezielter Tötungen grundlegende Fragen hinsichtlich der angemessenen Beschränkung der Regierungsgewalt in unserer konstitutionellen Demokratie aufwirft. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, mehr über die Umstände zu erfahren, die die Regierung zu der Auffassung führten, sie könne auf legale Weise Menschen, einschließlich amerikanischer Staatsbürger, töten, die sich nicht in einer Kampfsituation befinden und die zu keiner Zeit einer Straftat beschuldigt wurden.«
Die ACLU will gegen das Urteil Richterin McMahons Berufung einlegen, aber noch die Entscheidung zu einer anderen Klage abwarten, die sie zusammen mit dem Zentrum für verfassungsmäßige Rechte eingereicht hatte und in der es direkt um die Verfassungsmäßigkeit der gezielten Tötungen geht. »Die Regierung hat auch in diesem Fall eine Klageabweisung beantragt«, bemerkte die ACLU.

In einer Stellungnahme ebenfalls vom Mittwoch erklärte der stellvertretende Leiter der Rechtsabteilung der New York Times, David McCraw, auch seine Zeitung werde in Berufung gehen.
»Wir haben diese Klage eingereicht, weil unsere Leser unserer Ansicht nach ein Recht darauf haben, mehr über die rechtliche Argumentation der Regierung hinsichtlich der gezielten Tötungen von Personen, darunter auch amerikanische Staatsbürger, zu erfahren, denen Verbindungen zum Terrorismus vorgeworfen werden«,
erklärt er.

Auch wenn sie letzten Endes die Klage abwies, so McCraw weiter, habe Richterin McMahon »eloquent« begründet, »warum eine Regierung in einer Demokratie diese Fragen offen und vollständig beantworten sollte«.