In der Diskussion um die Corona-Maßnahmen geht es meist - und durchaus zu Recht - um die Verhältnismäßigkeit. Ist die Gefahr durch das Virus wirklich so groß, dass sie die beispiellosen Grundrechtsbeschränkungen rechtfertigt?
Hier sehe ich ein großes Problem: Die Diskussion um die Maßnahmen zeigt, dass wir überhaupt nicht mehr zu verstehen scheinen,
warum es unsere Grundrechte überhaupt gibt, allen voran die Menschenwürde und die Freiheitsrechte. Das hat zur Folge, dass viele Menschen - und darunter wahrscheinlich leider auch viele Juristen - Verweise auf das Grundgesetz als bloße juristische Spitzfindigkeiten abtun. Nach dem Motto: Hier geht es doch um Menschenleben, was wollen Sie eigentlich? Warum kommen Sie mir mit subtilen juristischen oder rechtsphilosophischen Argumenten? Dass Sie sich in Ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen, ist ja wohl egal, wenn dadurch Leben gerettet werden?
Solche Argumente lassen uns oft sprachlos zurück. Aber wir können nicht wirklich den Finger auf das legen, was uns daran stört. Meist bleibt als einzige Verteidigung, darauf zu verweisen, dass das Virus doch recht harmlos sei. Damit implizieren wir aber auch, dass wir die Maßnahmen akzeptieren würden, wäre die Gefahr tatsächlich so groß wie behauptet. Aber ist das so? Nehmen wir einmal an, es wäre zweifellos klar, dass Covid-19 etwa 10% der Bevölkerung dahinraffen wird. Würden Sie
dann akzeptieren, dass Sie Ihre Großeltern oder Enkel nicht mehr in den Arm nehmen dürfen? Dass Sie nicht selbst eine Abwägung treffen dürfen zwischen dem Risiko einer Erkrankung und dem Wunsch, Ihre Eltern oder Enkel zu sehen? Vielleicht, weil Sie oder Ihre Angehörigen keinerlei Symptome haben und Sie nicht aus Angst vor dem Tod das aufgeben möchten, was das Leben überhaupt erst lebenswert macht? Oder würden Sie es sich verbieten lassen, einen Freund zu besuchen, dem es schlecht geht und der Sie dringend braucht? Oder Ihre Eltern auf dem Sterbebett zu begleiten? Würden Sie akzeptieren, dass man Sie, obwohl Sie kerngesund sind, gegen Ihren Willen und ohne Einzelfallabwägung in Quarantäne steckt? Oder dass man Ihnen verbietet, in die Kirche zu gehen, um zu beten - vielleicht ja auch für die Genesung eines Angehörigen?
Wenn Sie auf eine dieser Fragen mit "nein" antworten, haben Sie ein Problem: Wie rechtfertigen Sie diese Einstellung gegenüber dem Totschlag-Argument, es gehe doch um Leben und Tod? In der heutigen Welt scheint uns das Wissen zu fehlen, um unser Bauchgefühl zu begründen, dass manche Dinge einfach niemals verboten, manche Freiheiten niemals beschnitten und manche Dinge niemals vom Staat diktiert werden sollten.
Gehen wir also einen Schritt zurück und klären wir ein paar Dinge über den philosophischen Hintergrund unserer westlichen Verfassungen und was das mit den Corona-Maßnamen zu tun hat.
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