Die Wissenschaft des GeistesS


People

Ansteckendes Gähnen: In der Familie ist es am schlimmsten

Ob wir jemand dabei beobachten oder nur davon lesen: Gähnen steckt an. Forscher finden zunehmend Hinweise dafür, dass weniger Müdigkeit, sondern vielmehr das eigene Mitgefühl den Atemreflex auslöst. Aber nicht jede Person, die müde Luft einzieht, animiert gleichsam andere zum Mitgähnen.
Gähnen
© ReutersAufgesperrte Münder: Gähnen steckt vor allem an, wenn jemand aus der Familie vorgähnt.

Wer gähnt, der ist müde oder gelangweilt. Falsch, sagen Forscher. Gähnen ist ein sozialer Akt, der eine emotionale Verbindung zwischen Vorgähner und Mitgähner herstellt. Das bestätigt auch ein Forscher-Duo aus Italien. Sie zeigen zudem, dass Menschen nicht jedes gähnende Gegenüber gleichsam nachahmen. Vielmehr entscheidet die emotionale Nähe zwischen zwei Menschen, ob sie gemeinsam den Mund aufreißen, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal PLoS ONE.

Das Team aus Pisa und Rom beobachtete 109 Erwachsene in ihrem üblichen Umfeld an mehreren Tagen über ein Jahr hinweg. Immer, wenn eine Person gähnte, notierten die Wissenschaftler, wer in der Nähe mit welcher Verzögerung mit einem eigenen Gähner reagierte. Die Forscher hofften, auf diese Weise ein Gähnmuster zu finden, das Ergebnisse aus der Empathieforschung bestätigen würde: Demnach haben Menschen intuitiv eine Rangreihe, mit wem sie am meisten mitfühlen. An erster Stelle stehen Familienmitglieder, dann kommen Freunde und Bekannte, schließlich Fremde. Möglicherweise, so die Theorie, könnte sich das auch in dem sozialen Gähnverhalten niederschlagen.

Butterfly

Lebenslanges Lernen möglich: Büffeln vermehrt graue Zellen

Zehntausende Straßen, Plätze und Sehenswürdigkeiten: Londons Taxifahrer haben sich viel zu merken. Das machen sich Wissenschaftler zunutze und belegen, dass Lernen auch im Erwachsenenalter Hirnstrukturen verändern kann.
Taxi London
© picture alliance/dpaNur wenige schaffen die Taxi-Prüfung in London.
"Das Wissen" ist ein beinahe mythischer Begriff unter Londons Taxifahrern. Nur wer es hat, bekommt die Zulassung für die bauchigen schwarzen Taxi-Limousinen, die ebenso zum Straßenbild gehören wie die knallroten Doppeldecker. "Das Wissen" gilt allerdings erst als erbracht, wenn sich ein Taxifahrer nachweislich 25.000 Straßen und 20.000 Sehenswürdigkeiten merken kann. Londoner Wissenschaftler haben sich dieses harte Gedächtnistraining für ihre Hirnforschung zunutze gemacht. Sie untersuchten, ob das Büffeln von Straßenmustern das Gehirn verändert. Das Ergebnis: Taxifahrer, die sich "das Wissen" aneignen, haben mehr graue Zellen im Hirnareal Hippocampus. Präsentiert werden die Resultate im Journal Current Biology.

Heart - Black

Studie: Kindesmisshandlung hinterlässt auch "Narben" im Gehirn

Überaktives Angstzentrum, verkleinerte Gehirnareale: Kindesmisshandlungen verändern das Gehirn der Opfer - und zwar über Jahrzehnte.

Wer als Kind misshandelt wurde, hat nicht nur psychische Narben. Forscher der Universität Münster haben in einer Studie jetzt auch biologische Veränderungen im Gehirn belegt. Noch Jahrzehnte nach dem Missbrauch zeigten die Opfer eine erhöhte Aktivität des Angstzentrums und mehrere verkleinerte Gehirnareale, berichten die Forscher im Journal Biological Psychiatry (derzeit im Druck). Die Ergebnisse seien ein wichtiger Schritt, um den Zusammenhang zwischen Kindesmisshandlung und späteren psychischen Erkrankungen zu erklären.

In einem zweiten Versuchsteil untersuchten die Münsteraner Forscher die Größe bestimmter Bereiche im Gehirn. Bei Missbrauchsopfern waren bestimmte Gebiete signifikant kleiner als bei anderen Menschen. Zu demselben Schluss kommt eine Studie amerikanischer Forscher, die ebenfalls in dieser Woche veröffentlicht wurde (in den "Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine"). Betroffen waren unter anderem der sogenannte Hippocampus, der für das Lernen zuständig ist, aber auch der Stirnlappen, der eigentlich das Angstzentrum kontrollieren soll. "Kleinere Gehirnareale bedeuten weniger Zellen und das führt tendenziell zu einer schlechteren Funktion des betroffenen Gebietes", sagt Udo Dannlowski.

Sherlock

Forscher tricksen visuelle Neuronen aus: Neues Puzzleteil in Rekonstruktion dritter Dimension aufgedeckt

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Giessen (pte) - Unser Bild einer dreidimensionalen Welt ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Forscher des Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik in Tübingen http://kyb.mpg.de , der Justus-Liebig-Universität (JLU) Giessen http://uni-giessen.de und an der Yale University http://yale.edu haben nachgewiesen, wie Zellen der Sehrinde dazu beitragen können, dieses Geheimnis zu lüften. Die Beobachtungen weisen darauf hin, dass diese Zellen helfen, eine dreidimensionale Welt zu rekontruieren.

Dreidimensionale Welt

"Selbstverständlich ist die Welt selbst dreidimensional, aber was auf unsere Augen projeziert wird, hat nur zwei Dimensionen", sagt Roland W. Fleming, ehemals Projektleiter am MPI für biologische Kybernetik und jetzt Professor der Psychologie an der JLU Giessen, gegenüber pressetext. Die Forscher können nun erklären, welcher Mechanismus im Gehirn die Datenverarbeitung so durchführt, dass wir schließlich dreidimensional sehen.

Heart

Mütterliche Fürsorge beeinflusst die Chemie im Gehirn bis ins Erwachsenenalter

Die Wirkung des Botenstoffs Neuropeptid Y hängt vom Verhalten der Mutter während der Säuglingsphase ab

Neuropeptid Y (NPY) ist das häufigste Peptidhormon des zentralen Nervensystems. Es ist unter anderem an der Stressbewältigung, der Entwicklung von Angstverhalten und an der Regulation des Körpergewichts beteiligt. Eine Forschergruppe unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg hat nun an Mäusen gezeigt, dass intensive mütterliche Fürsorge im Säuglingsalter die Wirkung von NPY im Gehirn fördert. Als Folge davon sind die Jungtiere auch im Erwachsenenalter weniger ängstlich und bringen ein höheres Gewicht auf die Waage als ihre Artgenossen, die weniger Zuwendung bekommen haben. Der Effekt kommt dadurch zustande, dass mütterliche Fürsorge die Bildung bestimmter NPY-Rezeptoren im Vorderhirn anregt.

In den komplizierten Regelkreisen des Gehirns nimmt das Neuropeptid Y (NPY) gleich mehrere Schlüsselpositionen ein. Der Botenstoff beeinflusst nicht nur das Körpergewicht, sondern steuert unter anderem auch die Entwicklung von Angst und Stressreaktionen. So spielt NPY etwa bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Störungen oder Angststörungen eine wichtige Rolle. Seine Wirkung im Gehirn entfaltet NPY, indem es an verschiedene Andockstellen auf den Nervenzellen - die NPY-Rezeptoren - bindet. Dadurch setzt das Hormon Signalkaskaden in Gang, die unterschiedliche Körperfunktionen steuern.
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2 + 2 = 4

Lernen wie im Schlaf

Der Hamburger Neurowissenschaftler Christian Büchel hat mit Kollegen erforscht, welche Leistungen unser Gehirn während der Nacht vollbringt

Leg dir abends das Buch unters Kopfkissen, riet meine Tante. Es half nichts. Die Mathematik und ich wurden keine Freunde. Bei den Lateinvokabeln ging das schon besser. Sie haben sich über Nacht prächtig in meinem Gedächtnis etabliert. Lernen im Schlaf - geht das überhaupt? Wissenschaftler haben sich mit dem Thema befasst und herausgefunden: Es geht. Ohne Mühe allerdings funktioniert es nicht.

"Es prägt sich im Schlaf nichts ein, was man nicht vorher gelernt hat", sagt Professor Christian Büchel, Direktor des Instituts für systemische Neurowissenschaften des UKE. "Dann allerdings kann sich das Wissen tatsächlich im Schlaf konsolidieren." Es sei offenbar so, dass im Schlaf abgespeicherte Gedächtnisinhalte gleichsam wie nach der Methode "Replay" noch einmal wiedergegeben und damit gefestigt werden. Das haben die Eppendorfer Wissenschaftler in Kooperation mit Forschern aus Lübeck untersucht. Eine Studie zu diesem Thema wurde mit Kindern im Alter zwischen acht und elf Jahren gerade erst abgeschlossen. Die Ergebnisse werden demnächst veröffentlicht.

Magnify

Neue Erkenntnisse zu Einfluss emotionaler Bilder aufs Gehirn

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Wissenschaftler der Universität Leipzig haben in einer Studie neue Erkenntnisse über den Einfluss emotionaler Ereignisse und Bilder auf das menschliche Gehirn gewonnen. Eine Arbeitsgruppe von Psychologen um Prof. Dr. Matthias Müller fand in ihren mehrjährigen Forschungen heraus, dass emotionale Bilder oder Ereignisse in unserer Umwelt vom Gehirn immer wahrgenommen werden - egal, was man zum entsprechenden Zeitpunkt gerade tut. Ihre Forschungsergebnisse wurden vor kurzem in der renommierten Fachzeitschrift "The Journal of Neuroscience" veröffentlicht.

Die Wissenschaftler konnten mit Hilfe von Gehirnstrommessungen (EEG) zeigen, dass selbst die sehr kurze Präsentation von emotionalen Bildern die Aufmerksamkeit von einer Aufgabe, die die Probanden im Experiment lösen mussten, ablenkt. Die Folge waren deutliche Leistungseinbrüche bei der Lösung dieser Aufgabe. "Dieser Leistungseinbruch dauert bis zu einer Sekunde nach Darbietung eines emotionalen Stimulus, was unter gewissen Umständen - wie etwa beim Autofahren - eine gefährliche lange Zeit ist", sagt Prof. Müller. Wurden den Probanden neutrale Bilder gezeigt, sei dieser Effekt der Ablenkung nicht eingetreten.

Die Ergebnisse liefern eine Antwort auf eine seit Jahren in den Neurowissenschaften kontrovers diskutierte Frage, ob emotionale Stimuli in der Umwelt automatisch wahrgenommen werden oder dies nur unter ganz bestimmten Umständen der Fall ist. Besonders spektakulär ist die neue Erkenntnis, dass die Ablenkung von der zu lösenden Aufgabe eigentlich erst dann erfolgt, wenn das emotionale Bild nicht mehr zu sehen ist. Dies konnte bisher so noch nie nachgewiesen werden. Daraus kann geschlossen werden, dass ein emotionaler Stimulus in unserer Umwelt dazu führt, dass das Gehirn die Aufmerksamkeit darauf lenkt.

2 + 2 = 4

FOXP2: Sprachgen hilft auch beim Lernen

Über die genaue Funktion des oft als Sprachgen bezeichneten FOXP2 rätseln Forscher noch immer - als sicher gilt lediglich, dass es sich als einziger bislang bekannter Erbfaktor in direkter Beziehung zur Sprachbeherrschung setzen lässt. Nun zeigten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dass das Gen in seiner menschlichen Variante das Lernen zu fördern scheint. Möglicherweise spielte diese Funktion eine Rolle bei der Evolution der Sprache.

Christiane Schreiweis und Kollegen verwendeten für ihre Versuche Mäuse, denen die menschliche Variante des Gens eingepflanzt wurde. Dabei zeigte sich, dass die humanisierten Mäuse in puncto Lernfähigkeit ihren Artgenossen stark überlegen waren: Die Tiere lernten in nur acht statt zwölf Tagen, sich anhand eines Schlüsselreizes ausreichend gut in einem Labyrinth zu orientieren. Außerdem schienen sie auf andere Lernstrategien zu setzen - sie zeigten eine stärkere Tendenz zu prozeduralen Strategien als zu deklarativen.

Sherlock

Musizieren verändert die Verarbeitung mehrfacher Sinnesreize im Gehirn

Durch Fingerübungen am Klavier werden Schaltkreise neu verknüpft

Klavierspieler entwickeln über die Jahre ein besonders präzises Gespür dafür, wie die Tastenbewegungen und Töne zeitlich zusammenhängen. Ob aber Lippenbewegungen und Sprache synchron zueinander sind, können sie nicht besser beurteilen als Nichtmusiker. Das haben Forscherinnen vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen bei einer Vergleichsstudie mit Musikern und Nichtmusikern zur gleichzeitigen Reizverarbeitung aus mehreren Sinnen im Gehirn festgestellt. Sie setzten bei ihren Experimenten auch die funktionelle Magnetresonanztomografie zur Darstellung der jeweils aktiven Gehirnbereiche ein. Danach ruft bei Pianisten die Wahrnehmung asynchroner Musik und Handbewegungen verstärkte Fehlersignale in einem Schaltkreis zwischen Kleinhirn, prämotorischen und assoziativen Hirnarealen aus, der sich durch das eigene Spiel besonders ausbildet. Die Studie zeigt, dass unsere sensomotorische Erfahrung prägt, wie das Gehirn Signale von unterschiedlichen Sinnen in der Wahrnehmung zeitlich verknüpft.

Binoculars

Einblicke in das Gehirn von Föten

Mit Hilfe speziell angepasster Geräte der funktionellen Bildgebung können Forscher heute die neuronale Aktivität von Föten im Mutterleib präzise beobachten. Solche Messungen belegen, dass Ungeborene spätestens im letzten Drittel der Schwangerschaft externe Reize verarbeiten, wie das Magazin Gehirn&Geist in seiner aktuellen Ausgabe (12/2011) berichtet.

Laut Tübinger Hirnforschern um Hubert Preißl nehmen ungeborene Kinder früher als lange Zeit vermutet verschiedene Reize aus der Umwelt wahr - nämlich schon in der 28. Schwangerschaftswoche. Die sensorischen Hirnrindenareale der Föten reagieren offenbar nicht nur allgemein auf Geräusche außerhalb des Bauchs, sie unterscheiden auch verschiedene Töne voneinander, wie die Aktivitätsmuster im MEG belegen. Mehr noch: Das Kind lernt bereits im Mutterleib, Reize auszublenden. Experten sprechen hierbei von Habituation (Gewöhnung). Das ist wichtig, denn während das gleichförmige Dröhnen des Staubsaugers keine für das Baby relevante Informationen enthält, ist dies bei den Stimmen der Eltern sehr wohl der Fall.