Ständig neue Lebensmittelskandale, Gen-Getreide, milliardenschwere Subventionen, dazu Politiker und Behördenvertreter, die nur noch als Abnicker fungieren: Für den Enthüllungsjournalisten Richard Rickelmann ist das Agrar- und Lebensmittelkartell längst außer Kontrolle. In seinem neuesten Buch warnt er: »Die Branche setzt leichtfertig unser aller Gesundheit aufs Spiel.«
Kühe, Massentierhaltung
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Es macht in aller Regel keinen Unterschied, ob man in einem Restaurant in Berlin, Paris oder New York eine Entenbrust bestellt. Was auf den Teller kommt, stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Zuchtlinien der thailändischen Bangkok Ranch Group. Nur ein Beispiel für die Gigantomanie des weltumspannenden Agrar- und Lebensmittelkartells. Richard Rickelmann nennt weitere Auswüchse: Ob bei Geflügel, Schweinen oder Rindern - nur wenige Zuchtlinien beherrschten noch den Markt. Die Genetik für Masthähnchen und Legehennen sei im Besitz von lediglich sechs Konzernen.

Unglaublich, aber wahr: Die milliardenschwere Agrar-, Gentechnik- und Lebensmittelbranche ist außer Kontrolle geraten. Die Macht ihrer Lobby ist so unvorstellbar stark, dass sie Regierungen und EU-Behörden zu Abnickern degradiert. Nicht wenige Experten halten dieses Kartell, das von der Europäischen Union Jahr für Jahr mit rund 60 Milliarden Euro subventioniert wird, für gefährlicher als die maroden Banken. Denn letztlich geht es nicht ums Geld - es geht um unser aller Gesundheit. Der Titel des brisanten Enthüllungsbuches bringt es auf den Punkt: »Tödliche Ernte«. Richard Rickelmann, der vor einigen Jahren den López-Skandal bei VW aufdeckte, ist überzeugt, dass uns das kranke Agrar- und Lebensmittelkartell über kurz oder lang vergiftet.

Gen-Getreide, antibiotikaverseuchtes Geflügel und Milliarden an Steuergeldern, mit denen die Produktion von Lebensmitteln subventioniert wird, die später im Müll landen - das sind nur einige der Symptome dieses kranken Systems. Von den Subventionen profitierten vor allem jene Agrarfabriken und Großbetriebe, die den Trend zur Industrialisierung der Landwirtschaft wesentlich geprägt haben, weiß Rickelmann. Ohne diese Milliardentransfers wären viele dieser Betriebe gar nicht überlebensfähig. Rickelmanns Buch ist daher nicht zuletzt ein engagiertes Plädoyer für eine Abkehr von der Gigantomanie und die Rückkehr zu einem schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen und Lebensmitteln.

Denn die Gier ist offenbar nicht nur in den Finanzkonzernen ausgeprägt. »Ackerland und Tiermast sind zu Spekulationszielen von Großinvestoren geworden. In dieser Branche hat sich eine Wachstumsgier ausgeprägt, die jedes Augenmaß vermissen lässt«, schreibt der Autor. Das Schwein und das Geflügel seien zu einem Synonym für Tierleid geworden - gemästet für den schnellen Gewinn, geschunden für die Sonderangebote beim Discounter. Rickelmann schreibt in diesem Zusammenhang von der »Frankenstein-Industrie«, die diese Barbarei zu verantworten habe.

Der Journalist nennt die Namen besonders rücksichtsloser Konzerne. Dazu zählt aus seiner Sicht unter anderem Monsanto. Der börsennotierte US-Konzern produziert nicht nur Saatgut und Herbizide, sondern bedient sich seit den 1990er Jahren auch der Biotechnologien zur Erzeugung gentechnisch veränderter Früchte. Der Name »Monsanto« stehe für Skrupellosigkeit und Korruption, für globale Umweltvergiftung und Betrug, schreibt Rickelmann. Die »Chemiemanager sind berüchtigt für ihr zynisches und menschenverachtendes Denken. Sie ignorieren gesetzliche Vorschriften, vertuschen Umweltkatastrophen, mauscheln mit Aufsichtsbehörden und Regierungen, nehmen Studien über dramatische gesundheitliche Folgen ihrer hochgiftigen Chemikalien unter Verschluss und verlangen von Wissenschaftlern geschönte Gutachten«, heißt es in dem brisanten Sachbuch.

Probleme seitens der Behörden brauchen die Konzerne nicht zu befürchten, denn die Manager von Monsanto wissen ihre Macht gezielt einzusetzen. Die Abnickerbehörden der EU plapperten unkritisch die Monsanto-Aussagen nach, beschreibt Rickelmann das »Amigo-System« in der Agrar- und Lebensmittelbranche. »Es ist schon erschreckend, wie leicht es Konzerne haben, sich in der EU die Verwertung ihrer gentechnisch veränderten Pflanzen genehmigen zu lassen. Einwände von Experten in den Mitgliedsländern Österreich, Belgien und Deutschland wurden schlichtweg ignoriert«, schreibt der Autor. Arrogant hätten die EU-Prüfer ihre österreichischen Kritiker abblitzen lassen.

Von all dem soll der Verbraucher natürlich wenig, am besten gar nichts mitbekommen. Ihm spielt man in offenkundiger Verblödungsabsicht die heile Welt vor. Deshalb leisteten sich die Landwirtschaftsverbände mit dem Deutschen Landwirtschaftsverlag in Münster eine eigene Propagandamaschine, die zum einen für die Mitgliederbindung an den Verband sorgen und zum anderen den Menschen eine Welt vorgaukeln soll, die es tatsächlich gar nicht gebe, kritisiert Rickelmann.

Immerhin ist der Verlag dabei sehr erfolgreich. Das Magazin Landlust verzeichnete im ersten Quartal 2013 eine Auflage von rund 1,1 Millionen Exemplaren. Das Blatt sei für konfliktscheue Leser konzipiert. Es blende die Probleme der Landwirtschaft einfach aus und berichte stattdessen über höhensichere Bergschafe und »Die Wiege der Gartenzwerge«.


Richard Rickelmann; Tödliche Ernte; Taschenbuch, 319 Seiten