Die Empörung über das Ausmaß der westdeutschen Medikamententests in der DDR ist enorm. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, fordert eine vollständige Aufklärung des Skandals. Andere Politiker fordern Entschädigungen und strafrechtliche Verfolgung.
Charité in Berlin
© KießlingCharité in Berlin: In mehr als 50 DDR-Kliniken wurden Medikamente getestet
Berlin - Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), fordert eine vollständige Aufklärung gefährlicher Medikamententests westlicher Firmen in der DDR. "Die vorliegenden Fakten müssen rückhaltlos untersucht und die Hintergründe aufgeklärt werden", sagte Bergner der Mitteldeutschen Zeitung. "Es wäre ein schwerer Skandal, wenn Tausende DDR-Bürger - vermutlich sogar unter Verletzung von Rechtsvorschriften der DDR - zu billigen und wohlfeilen Versuchskaninchen gemacht worden wären."

Nach Informationen des SPIEGEL wurden bis zum Mauerfall in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet - oft ohne Wissen der Betroffenen. Das geht aus bislang unbekannten Akten des DDR-Gesundheitsministeriums, der Stasi und des Instituts für Arzneimittelwesen der DDR hervor. West-Pharmahersteller gaben demnach bei DDR-Kliniken mehr als 600 Arzneimittelversuche in Auftrag. Dabei kam es zu zahlreichen Todesfällen, auch wurden Tests wegen Nebenwirkungen abgebrochen.

Bergner sagte der Mitteldeutschen Zeitung, ihn erschütterten insbesondere die Hinweise auf offenbar konspirative Verhandlungen zwischen DDR-Funktionären und Konzernmanagern. Das klinge sehr nach vorsätzlicher Missachtung medizinethischer Grundsätze unter Umgehung der zuständigen Kontrollbehörden. Derartige Vergehen "verlangen eigentlich nach strafrechtlicher Aufarbeitung", sagte der CDU-Politiker. Mögliche Entschädigungen müssten aus seiner Sicht "vor allem durch die Profiteure der Aktionen" gezahlt werden.

Entschädigungen und strafrechtliche Konsequenzen forderte auch Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz (CDU). "Wenn es zu körperlichen Schäden bis hin zur Todesfolge gekommen ist, dann stellt sich die Frage nach Schadensersatz und Ausgleichszahlungen. Und dann ist auch die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung zu beantworten", sagte Vaatz der Berliner Zeitung. Es handele sich um ein Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden müsse. Wenn die Fälle aber in kein rechtliches Schema passten, müsse sich der Gesetzgeber damit befassen.

Hildigund Neubert, thüringische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, zeigt sich empört. "Was bisher über die Tests bekannt ist, erschreckt mich: Um das eigene System zu stabilisieren, war die SED sogar bereit, mit der Gesundheit ihrer Bürger zu handeln", sagte sie SPIEGEL ONLINE. Die Devisenerwirtschaftung und ihre genauen Umstände zu decken, sei die Funktion der Staatssicherheit bei diesem Deal gewesen. Die Forschungen müssten nun zeigen, ob und wie Kliniken und Ärzte sich dafür hätten instrumentalisieren lassen. "Vor allem muss geklärt werden, welche Bedeutung die Tests für die Patienten hatten. Das sind wir ihnen und ihren Angehörigen schuldig." Ähnlich äußerte sich die DDR-Opfer-Hilfe. Es sei ein Skandal, dass ethische Grundsätze gegen Westgeld offenbar planmäßig über Bord geworfen wurden, kritisierte der Opferverband. Die westlichen Pharmakonzerne und die ostdeutschen Krankenhäuser müssten zur Verantwortung gezogen werden.

ler/AFP