Die Paleoliten essen ausschliesslich Fleisch, Gemüse und Früchte und verzichten auf Getreide, Milch und Zucker. Macht die Steinzeit-Kost in der heutigen Zeit Sinn?

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"Deine Nahrung soll deine Medizin sein"
Romy Dollé zum Essen einzuladen, könnte so manchen zur Verzweiflung bringen. Nicht weil die Zürcherin eine unangenehme Person wäre. Sie ist sogenannte Paleolitin und ernährt sich strikt wie unsere Vorfahren aus der Altsteinzeit. Auf ihrem Speiseplan dominieren frisches Gemüse und Obst, Nüsse und Eier - und Fleisch. Dafür verzichtet sie auf Milch- und Getreideprodukte.

Das hat nicht allein damit zu tun, dass sie 20 Jahre lang mit ihrer Figur unzufrieden war. Sie litt auch regelmässig unter starkem Schnupfen und chronischer Verstopfung. Die Frau des Ex-Leichtathleten Dave Dollé stiess vor rund drei Jahren auf die Paleo-Ernährung. «Nach knapp einer Woche war mein Bauch flach. Hurra!» schreibt sie in ihrem Buch Pure Food. Pure Training. Und auch ihre gesundheitlichen Beschwerden sind verschwunden. Paleo sei aber keine Diät, sondern eine Ernährungsphilosophie, betont Dollé

Hoher Fleischkonsum

Sie ist längst nicht die Einzige, die dieser Ernährungslehre folgt. Gerade in den USA findet man viele Paleo-Anhänger. Doch lässt sich die Steinzeiternährung, die auf einen hohen Konsum von Fleisch ausgerichtet und fett- und eiweissbetont ist, auf unser modernes Leben übertragen?

Was vor zehn Jahren noch als absurde Idee angesehen wurde, findet inzwischen auch bei einigen Wissenschaftern Zuspruch. Laut Loren Cordain, Professor an der Colorado State University, hat die Forschung die Vorzüge dieser Ernährungsweise bestätigt. Er beruft sich auf eine Studie in der Fachzeitschrift Journal of Diabetes Science and Technology, in der aufgezeigt wurde, dass Steinzeit-Speisen die Blutzuckerwerte verbessern und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermindern. Eine schwedische Studie sagt zudem aus, dass die Ur-Kost noch besser sei als die als besonders gesund geltende Mittelmeer-Diät. Langzeitstudien fehlen indes.

Die Verfechter der Paleo-Ernährung wissen freilich mit weiteren Pluspunkten aufzuwarten. So soll die Paleo-Kost aus vorwiegend unverarbeiteten Nahrungsmitteln zu mehr Energie über den ganzen Tag hinweg verhelfen, zu reinerer Haut, stärkerem Immunsystem und erst noch gesteigerterem Sexualtrieb.

Abwechslungsreiche Ernährung

Der deutsche Ernährungswissenschafter Nicolai Worm war einer der Ersten in Europa, der vor über 10 Jahren die Steinzeitkost propagierte. Inzwischen ist er aber wieder teilweise davon abgerückt. «Aus evolutionärer Sicht können wir nicht beweisen, dass Steinzeitmenschen tatsächlich so gegessen haben, wie wir es vermuten», erklärt Worm, von dem kürzlich das Buch «Menschenstopfleber» erschienen ist. «Das wird immer eine These bleiben.»

Das bestätigt auch der Ernährungsforscher Diego Moretti von der ETH Zürich. «Man geht immerhin davon aus, dass die Ernährung in der Altsteinzeit relativ abwechslungsreich war, die Menschen waren in kleinerer Anzahl und noch nicht sesshaft und haben sich davon ernährt, was sie sammeln, jagen und fischen konnten.»

Die Epi-Genetik widerspricht allerdings der Aussage, dass sich unsere Gene seither nicht verändert haben. «Es ist sehr wohl möglich, dass sich die Menschen innerhalb von wenigen Generationen weiterentwickeln», betont Worm. Aus Stoffwechselsicht jedoch spreche einiges für die Paleo-Kost: Studien belegen nämlich, dass übergewichtige Menschen, die sich nicht bewegen, durch eine Reduktion von Kohlehydraten nicht nur besser abnehmen, sondern vor allem ihre gestörte Stoffwechselsituation verbessern konnten. Nur, dass man deshalb auch auf Milch und Hülsenfrüchte verzichten soll, leuchtet Worm nicht ein. «Wieso so streng leben? Es gibt zu viele gute Aspekte, die für diese Nahrungsmittel sprechen.»

Erste Restaurants

Bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE steht man der Paleo-Kost eher kritisch gegenüber: «Die Ansprüche unsererseits an die Ernährung, aber auch die Ansprüche des Alltags an uns haben sich in den vergangenen Tausenden von Jahren deutlich geändert», betont die diplomierte Ernährungsberaterin Stéphanie Hochstrasser. Besonders der Verzicht auf Milch und Milchprodukte, aber auch auf Vollkornprodukte und Kartoffeln sind ihr ein Dorn im Auge. «Es braucht ein gutes Ernährungswissen, um die fehlenden Vitamine und Mineralstoffe - insbesondere Kalzium - in ausreichendem Mass zu sich zu nehmen.» Positiv sei hingegen, dass die Ernährung stark auf Gemüse und Früchte setze und den Zucker einschränke.

Aller Kritik zum Trotz dürfte sich die Paleo-Kost weiter ausbreiten. Nicht zuletzt dank den Büchern von Romy Dollé oder von Jennifer C. Althoff («Knochenbraut 2.0», Books on demand), die mit vielen Rezepten ergänzt sind und aufzeigen, wie man Paleo in den Alltag integriert. Wer es sich noch einfacher machen will, hat die Möglichkeit, seine Paleo-Nahrung direkt nach Hause liefern zu lassen. Das Zürcher Catering-Unternehmen «Freunde am Kochen» bietet spezielle Menus an. Bereits gibt es das erste Paleo-Restaurant. Im Berliner «Sauvage» isst man statt Pasta oder Reis Wurzelgemüse und Zwiebelcracker, geröstete Fasanenbrust oder Lammlebermousse.