Vor dem Hintergrund einer großen Untersuchung mit niedergelassenen Medizinern, hat das Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten/Herdecke die Ergebnisse einer kleinen Vorabstudie veröffentlicht und damit darauf hingewiesen, dass rund ein Drittel aller Medikamente ohne wissenschaftliche Begründung, also ohne "Evidenzbasis" und somit ohne einen wissenschaftlichen Nachweis für den Nutzen, verschrieben werden.
Medikamente, Pillen
© grewi.de
Witten/Herdecke (Deutschland) - Für die "kleine Vorabstudie" wurden 169 aus 22 allgemeinmedizinischen Praxen von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Andreas Sönnichsen, Leiter des Instituts untersucht, denen im Durchschnitt etwa neun verschiedene Medikamente pro Tag verordnet worden waren.

"Im Mittel fand sich bei 2,7 Medikamenten/Patient keine wissenschaftliche Begründung für die Verordnung. Über 90% der Patienten wiesen mindestens eine unbegründete Arzneimittelverschreibung auf. Darüber hinaus fanden sich Dosierungsfehler (in 56 % der Patienten), relevante Interaktionen zwischen den Medikamenten (in 59% der Patienten) und Verordnungen von Medikamenten, die bei alten Menschen nicht verordnet werden sollten (37% der über 65jährigen)."

Als Erklärung resümieren die Studienleiter: "Die Hausärzte der betroffenen Patienten fühlen sich überfordert", und fragen anhand des Ergebnisses: "Wie sollen sie die langen Medikationslisten, mit denen Patienten aus der Klinik entlassen werden oder von verschiedenen Fachärzten zurückkommen, kritisch durchforsten? Wie sollen sie entscheiden, welches Medikament wirklich erforderlich ist?"


Zum Hintergrund erläutert die Pressemitteilung der Universität: "Medikamente sollen helfen, Krankheiten zu heilen und Leiden zu lindern, doch nicht selten wird das Gegenteil erreicht. Und viel zu häufig werden Medikamente unnötigerweise gegeben, und viel zu viele. Das Ergebnis ist "Polypharmazie" - ein Pillencocktail mit negativen Folgen für den Patienten, im günstigsten Fall nur reversible Nebenwirkungen, aber nicht selten gerade bei älteren Patienten unnötige Krankenhausaufnahmen oder gar Todesfälle. Nach Studien aus den Niederlanden, Österreich und vielen anderen Ländern sind 5-10% aller internistischen Krankenhausaufnahmen von älteren Patienten auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen. "

Mit der neuen europaweiten Studie soll den Hausärzten nun geholfen werden. Unter Berücksichtigung von Diagnosen, Laborwerten und Begleiterkrankungen wird eine elektronische Entscheidungshilfe Vorschläge machen, welche Medikamente am ehesten entbehrlich oder gar schädlich sind. Diese Studie läuft in den nächsten Wochen an und interessierte Ärzte und Patienten können sich beteiligen.

Quelle: uni-wh.de