Bevor renommierte Wissenschaftsmagazine Studien veröffentlichen, prüfen Gutachter die Arbeiten. Doch ein aktueller Fachartikel warnt: Der Prozess kann falsche Thesen fördern, weil auch Forscher dem Herdentrieb unterliegen. Doch es soll ein Gegenmittel geben.

Es ist das Gütesiegel für wissenschaftliche Studien - das Peer-Review-Verfahren. Experten prüfen, meist anonym, bei einem Fachjournal eingereichte Artikel. Sie beurteilen, ob die Arbeit der Kollegen wissenschaftlichen Standards entspricht, fordern eventuell zu weiteren Experimenten auf. Erst wenn die Gutachter den Daumen heben, wird die Studie veröffentlicht.

Peer Review werde generell nicht als perfekt angesehen, aber als das beste existierende Modell, um Qualität und Wahrhaftigkeit der veröffentlichten Forschung zu gewährleisten, schreibt ein internationales Wissenschaftlerteam in Nature - ein Journal, das auch auf diese Art der Begutachtung setzt. Doch es gebe zunehmend Zweifel daran, dass der Peer-Review-Prozess diese beiden Ziele wirklich erreiche.

Trotz Begutachtung finden sich auch in renommierten Fachblättern Studien mit fragwürdigen oder schlicht falschen Schlüssen. Manchmal können die Reviewer überhaupt nichts dafür, wenn etwa Forscher bewusst gefälschte oder erfundene Daten präsentieren, wie etwa im Fall des niederländischen Psychologen Diederik Stapel. (Wobei es möglich sein kann, gefälschte Daten durch statistische Analysen zu erkennen.)

Dem Bauchgefühl vertrauen

Doch das ist nicht der einzige Haken. Er glaube einiges nicht, was er in Fachjournalen lese, insbesondere in psychologischen, erklärt Marcus Munafo von der University of Bristol, Großbritannien, in einem Nachrichtenartikel von Nature. Sein Bauchgefühl sage einfach, das könne nicht stimmen.

Doch als Gutachter, der mitentscheidet, ob etwas veröffentlicht wird, solle er dieses Bauchgefühl außer Acht lassen und rein objektiv urteilen. Mit Hilfe eines Modells plädieren Psychologe Munafo und zwei Kollegen nun dafür, dass ein wenig Subjektivität durchaus nützen könnte.

Die drei haben ein sehr vereinfachtes Modell erstellt, an dessen Beginn zwei sich widersprechende Hypothesen stehen - und Forscher, die entweder zur einen oder zur anderen tendieren. Alle Wissenschaftler betätigen sich als Gutachter und reichen Studien zur Veröffentlichung ein. Sie erfahren, was veröffentlicht wird und was abgelehnt - letzteres ist normalerweise nicht der Fall. Gehen die Forscher rein objektiv an die Sache, steigt nach dem Modell tatsächlich die Gefahr, dass sich die falsche Hypothese durchsetzt.

Ein Finanzmarkt-Phänomen greift

Denn die Forscher folgten dann eher dem sogenannten Herdenverhalten: Sie weichen von ihrer eigenen Meinung ab und schließen sich der Mehrheitsmeinung an, veröffentlichen selbst Studien mit gleicher Schlussfolgerung - und stärken so diese Hypothese weiter.

Es sei grundsätzlich nicht verkehrt, wenn Menschen sozusagen der Schwarmintelligenz vertrauen und ihre Meinung im Licht neuer Fakten revidieren. Aber es kann eben negative Folgen haben, wenn die Mehrheit sich auf die falsche Hypothese eingeschossen hat.

Herdenverhalten ist vom Finanzmarkt bekannt, wo Anleger ihre Entscheidungen an denen der Mehrheit ausrichten. Das kann im schlimmsten Fall zu Spekulationsblasen führen und Krisen auslösen. Ließen die drei Wissenschaftler ihren Modell-Forschern dagegen etwas Subjektivität, milderte sich das Herdenverhalten ab.

Trotz Herdenverhalten kann sich die Wissenschaft laut Modell im Prinzip mit der Zeit selbst korrigieren. In der Realität sei das jedoch wohl nicht immer der Fall, fürchten Munafo und Kollegen.

Sie sprechen sich deshalb dafür aus, den Gutachtern ein bestimmtes Maß an Subjektivität zuzusprechen. Allerdings könnten auch andere Prozesse helfen, schreiben sie. Etwa die Begutachtung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft nach der Veröffentlichung ("post publication peer review").

Dessen Wirkung konnte man in der Realität gerade beobachten: Nach zahlreicher Kritik an einer Studie, laut der gentechnisch veränderter Mais das Krebsrisiko von Ratten erhöht, hat das Fachjournal die Studie samt Rohdaten erneut begutachtet - und zurückgezogen.