Während die Bemühungen sogenannter PSI-Spione während des Kalten Krieges in den USA gerade in den letzten Jahren zusehends bekannt wurden, und Vorlage für zahlreiche Bücher, TV-Dokumentationen und sogar Kinofilme lieferten, war über die sowjetische und russische Erforschung parapsychologischer Gebiete wie Telepathie, Psycho- bzw. Telekinese, Fernwirkung und Fernwahrnehmung für die unkonventionelle Kriegsführung und Spionage, bislang nur wenig bekannt. Ein aktueller Fachartikel präsentiert nun ein Dossier der PSI-Forschung in Russland. Gegenüber "grenzwissenschaft-aktuell.de" hat der Autor des Artikel zudem noch einige offene Fragen weiterführend erläutert.

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© gemeinfrei / S. KernbachRussischer Fachartikel über Gedankenübertragung aus dem Jahr 1911.
Stuttgart (Deutschland) - Unter Berufung auf Veröffentlichung in russischen Fachzeitschriften und kürzlich freigegebenen Geheimakten veröffentlichte Serge Kernbach vom Research Center of Advanced Robotics and Environmental Science in Stuttgart nun vorab auf "arXiv.org" einen Überblick über das PSI-Forschungsprogramm in Russland von 1917 bis 2003.

Wie der "The Physics arXiv Blog" über Kernbachs Artikel berichtet, zeigt dieser, wie sich die Arbeiten der Sowjets mehr oder weniger unabhängig von den geheimen Forschungsprojekten der USA entwickelt hat. Zugleich zeigt er auch, dass beide Seiten das Wenige, das sie voneinander wussten, dennoch gezielt dazu nutzen, um Gelder für die jeweils eigenen Programme zu generieren. Auf diese Weise beziffert Kernbach alleine die Kosten des russischen PSI-Wettlaufs auf eine Milliarde US-Dollar und damit auf mit im Westen dafür aufgewandte vergleichbare Summen. Erst mit dem Versiegen der Fördergelder zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die "unkonventionelle Forschung" "eingestellt."

Während es im Westen unabhängig von den geheimen staatlichen Forschungsprogrammen auch unabhängige Forschung auf den besagten Gebieten gab und gibt, streicht Kernbach in seiner Arbeit heraus, dass diese Form der Forschung in der UDSSR nur mit staatlicher Unterstützung möglich war.

Tatsächlich gingen die Forschungsbemühungen der Sowjets in ähnliche Richtung wie jene der USA - und umgekehrt: So erforschte beispielsweise der US-Auslandsgeheimdienst CIA im Rahmen des immerhin 20 Jahre andauernden Projekts "MK ULTRA" Wege der Gedankenmanipulation und der Veränderungen von Gehirnfunktionen aus der Ferne. In der Sowjetunion wurden nahezu gleiche Bemühungen durchgeführt und beruhten auf in der sowjetischen Wissenschaft lange gehegten Vorstellung, dass das menschliche Gehirn bestimmte Arten hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung sowohl senden als auch empfangen kann und dass mit Hilfe dieser Fähigkeit auch andere Objekte beeinflusst werden können.

Während im West derartige Forschung unter dem Begriff "Parapsychologie" versammelt wurden, verwendeten sowjetischen Forscher die Bezeichnung "Psychotronik" als Gegenbegriff. Parapsychologie, so führt Kernbach aus wurde von den sowjetischen Forschern geradezu als beleidigend empfunden, da er die Arbeit mit den "Unerklärbaren und mystischen Phänomenen" gleichsetzte, die dem materiellen Welt- und Wissenschaftsbild der UDSSR widersprachen.

Die Grundlage dieser psychotronischen Vorstellungen liefern zahlreiche Forscher und ihre Arbeiten, wonach dieses menschliche Potential beispielsweise den Magnetismus von Wasserstoff-Kernen verändern und etwa das Immunsystem von Weizen, Reis und selbst das von Menschen stimulieren könne. Das Ergebnis derartiger Forschungen war sogar die Entwicklung einer als "Cerpan" bezeichneten Maschine mit der diese "menschliche Energie" sowohl generiert als auch gespeichert werden sollte.

Wie "MK ULTRA", so beinhalteten die Sowjet-Studien auch die Untersuchung der Effekte elektromagnetischer Wellen auf den Menschen im Allgemeinen, was auch zur Entwicklung psychotronischer Waffen führte, mit denen das Bewusstsein von Menschen beeinflusst und verändert werden sollte.
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© S. KernbachModell eines sogenannten Akimov-Generators.
In seiner Arbeit beschreibt Kernbach auch die bedeutenden Forschungsarbeiten der Sowjets über non-lokale Signalübertragungen, basierend auf dem sogenannten Aharonov-Bohm-Effekt. Dieser beschreibt ein quantenmechanisches Phänomen, bei dem ein Magnetfeld die Interferenz von Elektronenstrahlen beeinflusst, obwohl diese sich nicht im klassisch zu erwartenden Einflussbereich des Magnetfeldes befinden, seine Feldstärke also eigentlich gleich Null ist.

Unter der Bezeichnung "Spin-Torsion" haben sie Sowjets eine Reihe von Geräten konstruiert, um diesen Effekt zu untersuchen und auch zu nutzen. Wie erfolgreich diese Anstrengungen tatsächlich waren, diese Frage kann Kernbach anhand seiner Nachforschung hingegen nicht beantworten. Allerdings sei das Projekt 2003 offiziell "eingestellt" worden.

An diesem Punkt setzt zugleich auch die Kritik der Autoren des arXiv-Blogs an Kernbachs Analyse an, lasse diese doch jegliche detaillierte Diskussion der Ergebnisse der beschriebenen Programme vermissen und somit schnell einen pseudowissenschaftlichen Eindruck entstehen.

Auf Anfrage von "grenzwissenschaft-aktuell.de" nimmt Serge Kernbach zu diesem Vorwurf wie folgt Stellung:
"Laut Lexikon ist Pseudowissenschaft eine Behauptung, ein Glaube oder eine Praktik, die zwar als wissenschaftlich präsentiert wird, obwohl sie keiner gültigen wissenschaftlichen Methodik folgt, kaum unterstützende Beweise oder Plausibilität vorzuweisen hat und auch nicht glaubhaft wissenschaftlich überprüft werden kann.
Vor diesem Hintergrund, sollten drei Faktoren, die sich anhand der durchgeführten 'unkonventionellen Forschung' ergeben, beachtet werden. Erstens existieren - wie in anderen wissenschaftlichen Gebieten auch - natürlich auch hier unüberprüfte und methodisch schwache Arbeiten. Der (in Russland verfolgte) Peer-Review-Ansatz hatte jedoch zum Ziel, genau diese Arbeiten und Mängel auszuräumen und den Autoren das notwendige Feedback an die Hand zu geben, anhand dessen sie ihre Arbeiten überdenken und überarbeiten konnten. Zum Zweiten scheint es so, dass die bei diesen Untersuchungen im Fokus stehenden Phänomene ganz spezieller Natur sind - etwa wenn sie nicht immer zu 100 Prozent reproduziert werden können, wie dies der naturwissenschaftliche Ansatz eigentlich erfordert. Es wurde und wird angenommen, dass diese Phänomene auf unterschiedlichen Faktoren basieren, deren Auswirkungen bislang noch nicht vollständig verstanden wurden. Drittens gibt es aber auch den Effekt der sogenannten 'organisierten pathologischen Skeptiker' - die immer wieder und selbst angesichts guter Gegenargumente den wissenschaftlichen Status unkonventioneller Forschung grundsätzlich als 'pseudowissenschaftlich' abstempeln.

Was die Forschung in der UDSSR und Russland anbetrifft, so spielen alle drei Faktoren eine wichtige Rolle. Grundsätzlich kann aber unter Berufung auf die Literatur über diese unkonventionelle Forschung festgestellt werden, dass im Verlauf der vergangenen 40 Jahre mehrere hundert Fachartikel erschienen sind. Teile der zugrundeliegenden Arbeiten wurden von Regierungsbehörden finanziert, was wiederum die Berichterstattung an die entsprechenden Stellen über die Fortschritte besagter Projekte beinhaltete. Ohne Ergebnisse wären diese Programme sehr schnell geschlossen worden. Es ist zudem nicht plausibel anzunehmen, dass hunderte qualifizierter Wissenschaftler und Forscher über mehrere Jahrzehnte hinweg unwissenschaftliche Methoden angewandt haben sollen, keine glaubhaften Beweise für ihre Theorien vorlegen konnten oder gänzlich ohne Tests gearbeitet haben.

Zudem hat der auf arXiv veröffentlichte Artikel auch noch einen zweiten Teil (Titel: 'On metrology of systems operating with 'high-penetrating' emission'). Dieser wird, so er von den arXiv-Moderatoren freigegeben wird, schon bald veröffentlicht werden. Darin geht es dann um einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung in Russland zum instrumentalen Nachweis von Emissionen jenseits des bekannten Emissionsspektrums. Diese Arbeit verweist auf 145 Quellen und sollte einen noch detaillierteren Einblick auf einige Ergebnisse geben."
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© Plínio Ganzer Moreira, Public DomainAuch die bekannte Kirlianfotografie (hier die Aufnahme einer Fingerkuppe), war für die "unkonventionelle Forschung" in der Sowjetunion von Interesse.
In ihrer Review von Kernbachs Artikel fahren die Autoren des ArXiv-Blogs mit der Anmerkung fort, dass obwohl der Forscher berichtet, dass die russische Psychotronik-Forschung 2003 eingestellt wurde, nicht bekannt sei, ob sowohl die USA als auch in Russland nicht auch heute noch entsprechende Projekte - auch von staatlicher Seite gefördert - betrieben werden. Allerdings nennt Kernbach selbst die Zahl von rund 500 heute noch in Russland privat aktiven Psychotronik-Forschern und beruft sich bei dieser Angabe auf Teilnehmerzahlen entsprechender Konferenzen zum Thema.

Aus Kernbachs Recherchen geht zugleich jedoch hervor, dass ein Großteil der Informationen über die unkonventionellen Forschungsprojekte in Russland bis heute noch als geheim klassifiziert sind. So gebe es beispielsweise Dokumente über Experimente der sowjetischen Geheimpolizei GPU und des NKVD von 1922-1934 die selbst heute - also 80 Jahre später - noch immer klassifiziert seien, so Kernbach.

Aus diesem Grund kratze Kernbachs Analyse denn auch lediglich an der Oberfläche all dieser Projekte, kommentiert der arXiv-Blog abschließend. "Ganz offensichtlich gibt es noch bedeutend mehr über die unkonventionelle Forschung der Sowjetunion zu berichten als dies Kernbach (in seinem Artikel) vermag." Bislang müsse man sich also wohl noch gedulden und abwarten, ob die Ergebnisse dieser Forschungen überhaupt jemals veröffentlicht werden. Erst dann könne man auch genau sagen, ob und wie sie den vergleichbaren Anstrengungen im Westen gleichen.

Diesem abschließenden Kritikpunkt stimmt Kernbach gegenüber "grenzwissenschaft-aktuell.de" teilweise zu und führt weiter aus:
"Es gibt beispielsweise unklassifizierte staatliche Forschungen, die zwischen 1989 und 1995 unter anderem an der Militärakademie der Luftstreitkräfte 'J. A. Gagarin' in Monino und an der staatlichen medizinischen Akademie St. Petersburg durchgeführt wurden. Mit einigen der damals beteiligten Wissenschaftler stehe ich in Kontakt. Doch obwohl diese Forschungen sehr umfangreich waren, konnten wir bis heute über die Arbeiten keinerlei Unterlagen und Dokumente ausfindig machen. Auch hoffen wir, dass zukünftig weitere Dokumente deklassifiziert werden und rufen zumindest in der russisch-sprachigen Version unserer Artikel (die der russischen Fachzeitschrift International Journal of Unconventional Science" zur Verfügung gestellt wurden) die Leser dazu auf, existierende Informationen über jegliche Form der unkonventionellen Forschungsaktivitäten mit uns zu teilen."
- Serge Kernbachs vollständigen Originalartikel finden Sie HIER

Quellen: arxiv.org, medium.com/the-physics-arxiv-blog