Die drastische Sparpolitik, die die griechische Regierung durchgesetzt hat, wirkt sich höchst schädigend auf die Gesundheit der griechischen Bevölkerung aus: Fast eine Million der sozial schwächsten und anfälligsten Menschen haben gegenwärtig keinen Zugang zum Gesundheitssystem mehr.
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Aufgrund der Forderung der so genannten Troika aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu deckeln (zuvor lag der Anteil bei 9,8 Prozent), wurden die griechischen Haushaltsmittel für öffentliche Krankenhäuser zwischen 2009 und 2011 um 25 Prozent gekürzt, heißt es in einem Bericht verschiedener Wissenschaftler und Ärzte aus Oxford, Cambridge und der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), der in der renommierten Fachzeitschrift Lancet veröffentlicht wurde.

Die Troika hat Griechenland als Gegenleistung für zwei Rettungspakete im Umfang von insgesamt 240 Mrd. Euro zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen. Als Folge der schweren Wirtschaftskrise hat sich die Arbeitslosenquote in Griechenland von 7,7 Prozent im Jahr 2008 auf 24,3 Prozent im Jahr 2012 mehr als verdreifacht. Die Langzeitarbeitslosigkeit liegt bei 14,4 Prozent. Da die Krankenversicherung in Griechenland an eine Erwerbstätigkeit geknüpft ist, verfügen schätzungsweise allein 800 000 Menschen aus diesem Grund über keinen Krankenversicherungsschutz mehr.

Diese Situation hat internationale Hilfsorganisationen wie Médecins du Mondeund Kliniken auf lokaler Ebene, die von Freiwilligen betrieben werden, veranlasst, zu versuchen, diese Lücke zu schließen. Vor Ausbruch der Krise leisteten diese Einrichtungen vor allem medizinische Hilfe für Einwanderer. Eine solche Klinik ist das Hauptstadt-Gemeindekrankenhaus auf dem früheren amerikanischen Militärstutzpunkt im Viertel Helliniko (»Metropolitikó Koinonikó Iatreío Ellenikoú«) METROPOLITIKO KOINONIKO IATREIO ELLHNIKOY im Süden Athens, das im Dezember 2011 eingerichtet wurde. Es wird von freiwillig tätigen Ärzten betrieben und völlig aus Spendengeldern finanziert; das gilt auch für Medikamente und medizinische Gebrauchsgüter wie Handschuhe usw. Hier werden Menschen ohne Krankenversicherung kostenlos medizinisch versorgt. »Die Lage des Gesundheitswesens in Griechenland ist leider dramatisch. Wir haben in 26 Monaten mehr als 4400 Patienten versorgt. Wir behandeln mehr als 300 Kinder im Alter von unter drei Jahren«, sagte einer der Mitbegründer, Christos Sideris, gegenüber der britischen Tageszeitung The Independent.

In ländlichen Regionen wirken sich die Kürzungen im Gesundheitswesen noch verheerender aus. Dort herrscht noch größerer Mangel an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung. Einige Regionen sind zudem stärker betroffen als andere. Vorsorge- und Behandlungsprogramme für fixende Drogenabhängige wurden massiv zusammengestrichen. Etwa ein Drittel aller Maßnahmen vor Ort wurde zwischen 2009 und 2010 eingestellt.

Dies führte zu einem dramatischen Rückgang der Verteilung von Spritzen und Kondomen an Drogenabhängige und damit direkt zu einem Anstieg der HIV-Infektionen von 15 Fällen im Jahr 2009 auf 484 Fälle im Jahr 2012, heißt es in dem Bericht. Auch Programme zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten mussten Kürzungen hinnehmen. Als Folge stieg die Zahl der Erkrankten bei einigen selten gewordenen Krankheiten wie etwa Malaria wieder. Nach 40 Jahren ist die Malaria nun wieder in Griechenland aufgetreten, weil sich die Regierung die Programme zur Bekämpfung der Mücken, die die Erreger weiterverbreiten, nicht mehr leisten kann.

Die griechische Landeslehranstalt für das öffentliche Gesundheitswesen berichtete von einem Anstieg der Totgeburten zwischen 2008 und 2011 um 21 Prozent. Die Kindersterblichkeit stieg im Zeitraum 2008 bis 2010 um 43 Prozent, weil immer weniger Menschen Zugang zu vorgeburtlichen Betreuungs- und Versorgungsleistungen hatten.

Auch bei der Behandlung und Betreuung seelisch erkrankter Menschen wurde gespart. Öffentliche und gemeinnützige Einrichtungen für psychisch Kranke mussten ihre Aktivitäten zurückfahren, und medizinische Dienstleistungen im Bereich Kinderpsychiatrie wurden völlig gestrichen. Die staatliche Finanzierung im Bereich psychischer Krankheiten wurde zwischen 2010 und 2011 um 20 Prozent gekürzt. Insgesamt wurden zwischen 2007 und 2011 in diesem Bereich 55 Prozent der Ausgaben gestrichen. Die Zahl der Selbstmorde nahm zwischen 2007 und 2011 um 45 Prozent zu, und auch die Zahl schwererer Depressionen wuchs im gleichen Zeitraum um das Zweieinhalbfache. Nach Ansicht der Verfasser fördert zunehmende wirtschaftliche Not die Zunahme psychischer Erkrankungen.

Zu diesen offensichtlichen schweren Problemen im Gesundheitswesen kommen noch zahlreiche versteckte Hindernisse und nichterfüllte gesundheitliche Bedürfnisse hinzu, die zu einer allgemeinen Verschlechterung der Gesundheit der Bevölkerung führen. So wurden bspw. Rezeptgebühren eingeführt und die Gebühren für Besuche einer Krankenhausambulanz von bisher drei auf fünf Euro erhöht. Als Folge der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen ist der Anteil der Kinder, die von Armut bedroht sind, von 28,2 Prozent im Jahr 2008 auf 30,4 Prozent im Jahr 2011 gestiegen. Zudem leidet ein zunehmender Teil der Kinder und Heranwachsenden an Mangelernährung.

Realitätsverleugnung

Die Verfasser der Studie berichten, Vertreter der griechischen Regierung sowie »verständnisvolle« Kommentatoren behaupteten, die drastischen Kürzungen und tiefgreifenden Veränderungen hätten die allgemeine Gesundheit der griechischen Bevölkerung nicht negativ beeinflusst. Aber mit dieser Einstellung, so die Verfasser weiter, machten sich diese Kreise der Realitätsverweigerung schuldig. »Die wissenschaftliche Literatur liefert ein völlig anderes Bild. Angesichts dieser detaillierten Ansammlung von Beweisen für die schädlichen Folgen der Sparpolitik im Gesundheitswesen ist das Versagen der verschiedenen aufeinander folgenden griechischen Regierungen und internationaler Einrichtungen, dieses Problem öffentlich anzuerkennen, bemerkenswert«, schreiben die Verfasser.

Am Ende der Studie verweisen sie auf die positiveren Beispiele Finnlands und Islands. Auch diese beiden Länder wurden von der Finanzkrise schwer in Mitleidenschaft gezogen und mussten eine drastische Sparpolitik einführen. Aber sie verzichteten auf Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen und sparten lieber an anderer Stelle. Einer der Autoren der Studie, David Stuckler, hatte bereits 2013 zusammen mit Sanjay Basu in dem Buch The Body Economy - Why Austerity Kills auf das positive Beispiel Islands (S. 57 ff.) hingewiesen. So stieg dort die Zahl der Selbstmorde und der Depression statistisch nicht signifikant an (37 Selbstmorde 2007, 38 Selbstmorde 2008 und 36 Selbstmorde 2009). Auch die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen (als Indikator für Stress) nahm nicht zu. Die Krise hatte sogar positive Auswirkungen. Weil die Preise für Alkohol und Zigaretten deutlich stiegen, sank deren Konsum, und als u.a. McDonald‘s das Land verließ, kehrten viele Isländer zu einer gesünderen Ernährungsweise zurück.

Der Soziologe Alexander Kentikelenis von der Universität Cambridge und führender Verfasser der Studie, warnte vor den langfristigen Schäden für die Gesundheit der griechischen Bevölkerung: »Das, was gegenwärtig den anfälligen Gruppen in Griechenland widerfährt, ist ziemlich schockierend. Es ist ziemlich unkompliziert, zu erfassen, was gerade geschieht, aber weitaus schwieriger, die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit von Langzeitarbeitslosen und Nichtversicherten quantitativ zu bestimmen. Denn wenn Gesundheitsprobleme unbehandelt bleiben und dann aus dem Ruder laufen, verursacht dies auf lange Sicht gesehen sehr viel höhere Kosten.«

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