Vor genau 200 Jahren erschien der dritte Teil von Johan Wolfgang von Goethes Autobiografie "Dichtung und Wahrheit", in welcher der 1749 geborene Dichterfürst seine Erlebnisse bis 1775 darstellt. Im zweiten Band über seine Studienzeit in Thüringen findet sich auch ein Bericht über eine Sichtung Goethes, wie sie im heutigen Kontext sicherlich in den Bereich grenzwissenschaftlicher Phänomene fallen würde. Tatsächlich wurde Goethes Sichtung schon früh von Forschern als historische UFO-Sichtung gedeutet.
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© gemeinfreiJohann Wolfgang von Goethe, Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828.
Hanau (Deutschland) - Der junge Goethe war damals, im Herbst 1765, mit der Postkutsche auf dem Weg von Frankfurt nach Leipzig, wo er sein Jurastudium beginnen wollte, als es zu folgendem von Goethe selbst ausführlich beschrieben Vorfall kam:
"Wir waren zur Allerheiligen-Pforte hinausgefahren und hatten bald Hanau hinter uns, da ich denn zu Gegenden gelangte, die durch ihre Neuheit meine Aufmerksamkeit erregten, wenn sie auch in der jetzigen Jahreszeit wenig Erfreuliches darboten. Ein anhaltender Regen hatte die Wege äußerst verdorben, welche überhaupt noch nicht in den guten Stand gesetzt waren, in welchem wir sie nachmals finden; und unsere Reise war daher weder angenehm noch glücklich.
Doch verdankte ich dieser feuchten Witterung den Anblick eines Naturphänomens, das wohl höchst selten sein mag; denn ich habe nichts Ähnliches jemals wieder gesehen, noch auch von Anderen, dass sie es gewahrt hätten, vernommen. Wir fuhren nämlich zwischen Hanau und Gellenhausen bei Nachtzeit eine Anhöhe hinauf, und wollten, ob es gleich finster war, doch lieber zu Fuße gehen, als uns der Gefahr und Beschwerlichkeit dieser Wegstrecke aussetzen.

Auf einmal sah ich an der rechten Seite des Wegs, in einer Tiefe eine Art von wundersam erleuchtetes Amphitheater. Es blinkten nämlich in einem trichterförmigen Raume unzählige Lichtchen stufenweise über einander, und leuchteten so lebhaft, dass das Auge davon geblendet wurde. Was aber den Blick noch mehr verwirrte, war, dass sie nicht etwa still saßen, sondern hin und wieder hüpften, sowohl von oben nach unten, als umgekehrt und nach allen Seiten. Die meisten jedoch blieben ruhig und flimmerten fort. Nur höchst ungern ließ ich mich von diesem Schauspiel abrufen, das ich genauer zu beobachten gewünscht hätte.

Auf Befragen wollte der Postillon zwar von einer solchen Erscheinung nichts wissen, sagte aber, dass in der Nähe sich ein alter Steinbruch befinde, dessen mittlere Vertiefung mit Wasser angefüllt sei. Ob dieſes nun ein Pandämonium von Irrlichtern oder eine Gesellschaft von leuchtenden Geschöpfen gewesen, will ich nicht entscheiden."
Was Goethe damals zwischen Hanau und Gelnhausen beobachtet und später beschrieben hatte, widersetzt sich bis heute und im zeitlichen Kontext einer eindeutigen rationalen Erklärung. Denn selbst, wenn man die trichterförmige Anordnung der Lichter mit der vom Postillion beschriebenen wassergefüllten Vertiefung im Steinbruch zu erklären versucht, erklärt sich daraus nicht das blendendhelle wechselhafte Lichterspiel. Schließlich war elektrisches Licht - und nach einem derartigen Ein- und Ausschalten von Lichtern klingt seine Beschreibung - noch gar nicht erfunden.

Handelt es sich hierbei also um ein Phänomen, das wir heute wohlmöglich als UFO-Sichtung bezeichnen würden? Tatsächlich wurde
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Goethes Schilderung schon früh von UFO-Forschern in einem solchen Kontext interpretiert. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Fallsammlung des französischen UFO-Pioniers Jaques Vallée (s..Abb.r.) "Chronique des apparitions extraterrestres" (Passport to Magonia) von 1969. Später nutzte Vallée die Sichtung Goethes u.a. um mit dieser und anderen historischen und damals noch Naturgeistern zugeschriebenen Beschreibungen exotischer Phänomene, seine Theorie zu stützen, nach der UFO-Erscheinungen nicht zwangsläufig außerirdischer sondern viel mehr interdimensionaler Natur sein könnten.

Jenseits aller Deutungen betrachtet, ist der Bericht des Dichterfürsten zunächst einmal auf keinen Fall einen "UFO-Sichtung" im eigentlichen Sinn, da Goethe eben kein "fliegendes Objekt" beschreibt. Lediglich die Formbeschreibung als amphitheater- und damit am ehesten wohl rund bzw. trichterförmig, sowie die für die damalige Zeit ungewöhnliche und blendend helle "Beleuchtung", suggeriert zunächst eine Verbindung zum modernen UFO-Phänomen. Wenn überhaupt, so schildert Goethe also bestenfalls eine sogenannte Nahebegegnung der ersten Art (Close Encounter, First Kind = CE-1) und damit die Sichtung eines unidentifizierten Flugobjekts - bzw. dessen vermeintliche Landung - aus weniger als 500 Metern Entfernung. Ob es auch zu einer Wechselwirkung der "Erscheinung" mit der Umgebung kommt, geht aus Goethes Bericht nicht hervor.

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© ufologie.patrickgross.orgLeuchtkäfer-Haufen.
Gegen diese Interpretation regte sich erwartungsgemäß auch schon früh Widerstand von Seiten der UFO-Kritiker und UFO-Skeptiker. Sie weisen auf den Umstand hin, dass Goethe mit der Sichtungsumgebung nicht vertraut war und erklären, wie etwa der kritische französische UFO-Forscher Patrick Gross, das Lichterspiel mit dem Paarungsflug von Leuchtkäfer-Haufen (s. Abb.), in denen die (flugunfähigen)Weibchen mehr oder weniger bewegungslos verharren und von Ansammlungen zahlreicher Männchen in sprunghaften Bewegungen umflogen werden.

Ob die beschriebenen Witterungsbedingungen und herbstliche Jahreszeit der Sichtung, sowie die Leuchtkraft der Leuchtkäfer tatsächlich die offenbar selbst für den ausgewiesen naturinteressierten jungen Goethe eine derart rätselhafte Erscheinung hervorbringen konnten, wie sie ihn zu obiger eindrucksvollen Beschreibung veranlasste, bleibt sicherlich auch weiterhin Inhalt kontroverser Diskussionen.