weggabelung entscheidung
© unbekanntWir alle treffen täglich bis zu hunderttausend Entscheidungen.
Soll man auf das eigene Bauchgefühl vertrauen oder reine Sachlichkeit walten lassen?
Frage von Marco F.: «Mir hat sich beruflich eine Möglichkeit geöffnet, die mir gefühlsmässig eher unsympathisch ist - aber der Verstand sagt mir, ich müsse zupacken. Ich hasse das, ich kann mich einfach nie entscheiden.»
Diesen Ärger kann ich verstehen und es mag durchaus sein, dass es entscheidungsfreudigere Zeitgenossen als Sie gibt. Aber ich kann Sie beruhigen: Die Aussage, Sie könnten sich nie entscheiden, ist sicher falsch. Sie haben sich zum Beispiel dafür entschieden, mir zu schreiben. Sie entscheiden sich auch täglich dafür, nach dem Klingeln des Weckers aufzustehen, Sie entscheiden sich für Tee oder Kaffee zum Frühstück.

Wir alle treffen täglich bis zu hunderttausend Entscheidungen wie im Schlaf. Wir essen zum Beispiel oder fahren Auto, ohne je nachzugrübeln. Hirnforscher nehmen an, dass nur 0,1 Prozent dessen, was unser Hirn an Arbeit leistet, überhaupt bewusst wird. Die restlichen 99,9 Prozent bewahren uns aber offenbar ganz wirksam vor Pannen und Unfällen.

Reine Sachlichkeit bringt wenig

Aber natürlich besteht das Leben nicht nur aus solchen Alltagssituationen. Während unsere Vorfahren sich öfter an enge Regeln und Konventionen hielten, bietet die moderne Gesellschaft eine verwirrende Zahl von Möglichkeiten. Wir müssen uns immer häufiger entscheiden: Sollen wir zur Altersvorsorge eine Lebensversicherung abschliessen oder an der Börse investieren, sollen wir heiraten oder als Single alle Optionen offenhalten? Wollen wir Kinder? Sollen wir den sichereren Job wählen oder den herausfordernderen, mit besseren Karrierechancen? Wie auch immer wir uns entscheiden, eines Tages spüren wir die Konsequenzen.

Deshalb nehmen wir solche Situationen nicht auf die leichte Schulter, fragen andere um Rat, erstellen eine Liste mit Pros und Kontras und versuchen, uns alle Konsequenzen der Alternativen vorzustellen - meist ohne klares Resultat. Wir tun uns nämlich vor allem schwer mit Entscheidungen, weil wir eine falsche Vorstellung von diesen Prozessen haben. Wir setzen viel zu sehr auf unseren Verstand.

Wir wollen vernünftig entscheiden und glauben, mit sachlichem, leidenschaftslosem Nachdenken zum Ziel zu gelangen. Die moderne Gehirnforschung hat jedoch zusammen mit der Psychologie entdeckt, dass für gute Entscheidungen unbewusste und gefühlsmässige Vorgänge eine grosse Rolle spielen.

Unterhalb der Gehirnrinde, die für das bewusste Nachdenken geeignet ist, sind Bereiche, in denen das emotionale Erfahrungsgedächtnis seinen Sitz hat. Dort sind Gefühle, Sinneseindrücke und Körperempfindungen gespeichert, die mit früheren guten und schlechten Erlebnissen zusammenhängen. Wenn wir auf die Zeichen aus diesem Erfahrungsschatz hören können, signalisieren sie uns sofort «Stop» oder «Go», und intuitiv spüren wir, ob eine Situation gut oder schlecht für uns ist.

Es braucht den Mut, Fehler zu machen

Die Strategie lautet also: Höre auf deine innere Stimme und denk nicht zu lange nach. Die Forschung hat gezeigt, dass sowohl «Helden» in Extremsituationen wie Feuerwehrleute oder Piloten als auch Spitzen-Schachspieler oder Golfer intuitiv entscheiden. Das ist nicht nur erfolgreicher, sondern geht auch viel schneller als differenziertes Nachdenken.

Natürlich können wir auch mal in die Irre gehen, wenn wir uns nur auf den Bauch verlassen. Optimal ist ein Teamwork zwischen Gefühl und Verstand, wenn die Zeit dafür vorhanden ist. Es lässt sich übrigens nie nachweisen, ob eine Entscheidung falsch oder richtig war, denn keiner weiss, wie es herausgekommen wäre, wenn wir uns anders entschieden hätten. Deshalb braucht es im Leben auch den Mut, Fehler zu machen. Bereits dieser erleichtert jede Entscheidung.