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© dpaArmut breitet sich in Frankreich aus. Suppenküchen werden stärker frequentiert und die Schlangen vor den Ausgabestellen sozialer Hilfswerke länger.
Seit er seinen Job verloren hat, lebt Alexy Lambert auf der Straße. Das Schicksal des 28-Jährigen teilen immer mehr Franzosen. Seit 2011 stieg die Zahl der Menschen ohne Wohnsitz um 50 Prozent.

Der 28-jährige Alexy Lambert bettelt vor dem Monoprix-Supermarkt im Zentrum der südfranzösischen Stadt Béziers. "Danke und einen schönen Tag noch", sagt er jedes Mal, wenn ein Passant ihm etwas Geld zusteckt. Höflichkeit ist ihm wichtig. Seit er vor zwei Jahren seinen Führerschein und seine Stelle als Automechaniker verloren hat, lebt der gepflegte Mann in einem Zelt am Kanalufer. Wie Lambert leiden in Zeiten von Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit immer mehr Franzosen unter Wohnungsnot und Armut.

Nach Informationen der Stiftung gegen Obdachlosigkeit "Fondation Abbé Pierre" haben im Nachbarland 3,5 Millionen Menschen keinen festen Wohnsitz, eine Zahl, die seit 2011 um 50 Prozent gestiegen ist. Viele können sich horrende Mieten und Nebenkosten nicht mehr leisten. Rund 14 Prozent der Franzosen, das sind etwa neun Millionen Menschen, lebten 2011 unter dem Existenzminimum, so viele wie noch nie seit 1997, schrieb die Regierung in einem offiziellen Bericht vom Januar. Die Situation verschlechtere sich weiter.
"Ich hatte eine Wohnung in der Stadt", erzählt Lambert. "Aber ich hätte mir die Miete nicht mehr leisten können und wollte keine Schulden anhäufen, deshalb bin ich ausgezogen."

Der Anteil der von Armut bedrohten Bürger ist in Deutschland trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung mit 16 Prozent ähnlich hoch wie in Frankreich. Die Zahl der Hartz-IV-Bezieher geht aber tendenziell zurück, während die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Frankreich zwischen 2012 und 2013 um rund sieben Prozent auf mehr als zwei Millionen geklettert ist.

Die Schlangen vor Suppenküchen werden deshalb länger. Soziale Hilfswerke wie zum Beispiel Secours Populaire oder Secours Catholique haben Hochkonjunktur. Um 14 Uhr öffnet die Ausgabestelle des Secours Populaire in Béziers, schon eine Stunde vorher stehen die Leute mit ihren Tüten und Rollkoffern vor dem Eisentor Schlange. Hier bekommen sie Lebensmittel, Kleidung, aber auch Möbel und Spielsachen. Die freiwilligen Helfer haben viel zu tun: Nahrungsmittel auspacken und verteilen, Verwaltungsaufgaben erledigen, Trost spenden. Auch die 30-jährige Sid Guagnano und ihr Freund Jean Defontaine warten darauf, dass man sie aufruft. Sie leben mit Sids siebenjährigem Sohn zu dritt von etwa 700 Euro Sozialhilfe. Ihre Drei-Zimmer-Wohnung ist heruntergekommen, doch die Besitzer wollen die nötigen Reparaturen nicht bezahlen. Beide sind arbeitslos und finden keinen Job.

Verbitterung macht sich breit und kam bei den Kommunalwahlen in Frankreich zum Ausdruck: In der südfranzösischen Stadt Béziers eroberte der Kandidat des rechtsextremen Front National, Robert Ménard, das Bürgermeisteramt.

Beim Secours Populaire in Béziers kleiden sich auch der Obdachlose Alexy Lambert und sein Freund ein. Der Regionalpräsident der Wohltätigkeitsorganisation, Jean-Louis Gral, sagt: "Die Not breitet sich in Frankreich in allen Bevölkerungsschichten aus. In den 90er Jahren kamen an jedem Öffnungstag vielleicht sechs Familien, heute sind es 70."

Die Armut trifft immer öfter jüngere Menschen wie Alexy Lambert und Familien mit Kindern. Das Hilfswerk Secours Catholique stellt diese Tendenz in seiner Studie vom letzten Jahr fest. 2012 hat es rund eineinhalb Millionen Menschen unterstützt, 9000 mehr als im Vorjahr. Die Hälfte von ihnen waren jünger als 40 Jahre und ein Viertel waren Paare mit Kindern.