Elektrosmog hat unterhalb bestimmter Grenzwerte keine Auswirkungen auf biologische Prozesse oder gar auf die menschliche Gesundheit - das galt zumindest bisher als Stand der Wissenschaft. Nun zeigt eine Studie Oldenburger Biologen aber erstmals das Gegenteil: Der Magnetkompass von Rotkehlchen versagt komplett, sobald elektromagnetische Störungen im Mittelwellenbereich auf die Vögel einwirken. Der störende Effekt sei selbst dann messbar, wenn die Signale nur ein Tausendstel des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als unbedenklich eingestuften Grenzwerts betragen.
Bild
© Marek Szczepanek, naturephotos.com.plRotkehlchen.
Oldenburg (Deutschland) - Wie das Team um dem Biologen Prof. Dr. Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg und Prof. Dr. Peter J. Hore von der University of Oxford aktuell im Fachjournal Nature berichtet, konnte man in den Versuchen "einen eindeutigen und reproduzierbaren Effekt menschlich verursachter elektromagnetischer Felder auf ein Wirbeltier dokumentieren".

Diese Störungen, so erläutern die Wissenschaftler weiter, stammen jedoch nicht von Stromleitungen oder Mobilfunknetzen". Das elektromagnetische Rauschen im Frequenzbereich zwei Kilohertz bis fünf Megahertz stamme im Wesentlichen von Elektrogeräten. "Die Auswirkungen der schwachen elektromagnetischen Felder sind bemerkenswert: Sie stören die Funktion eines gesamten sensorischen Systems bei einem gesunden höheren Wirbeltier."

Auf ihre Entdeckung kamen die Forscher zunächst durch Zufall, erläutert die Pressemitteilung der Universität Oldenburg: Seit etwa fünfzig Jahren ist bekannt, dass Zugvögel das Magnetfeld der Erde nutzen, um im Frühjahr und Herbst ihre Zugrichtung zu bestimmen. Biologen konnten dies in zahlreichen Experimenten nachweisen, bei denen sie die Navigationsfähigkeiten der Vögel in so genannten Orientierungskäfigen untersuchten. "Wir waren daher überrascht, als wir bei unseren Versuchen feststellten, dass Rotkehlchen in Holzhütten auf dem Campus der Universität Oldenburg nicht ihren Magnetkompass nutzen konnten", erklärt Mouritsen.

Dr. Nils-Lasse Schneider, Elektrophysiologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Mouritsens Arbeitsgruppe, hatte die zündende Idee: Er schlug vor, die Versuchshütten und damit auch die Orientierungskäfige mit geerdeten Aluminiumplatten abzuschirmen. Die Abschirmung ließ das für die Navigation der Vögel entscheidende statische Magnetfeld der Erde unberührt, dämpfte aber das zeitabhängige elektromagnetische Rauschen - den Elektrosmog - innerhalb der Hütten.

Die Wirkung war verblüffend: Die Vögel hatten plötzlich keine Probleme mehr, sich zu orientierten, und fanden ihre Zugrichtung. "Unsere Messungen der Störungen deuteten darauf hin, dass wir per Zufall ein biologisches System entdeckt hatten, das empfindlich auf vom Menschen verursachten Elektrosmog im Frequenzbereich bis zu fünf Megahertz reagiert", sagt Mouritsen. Überraschend dabei sei gewesen: Die Intensität der Störungen lag weit unter den Grenzwerten der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) und der WHO, so der Biologe.

In der Folge haben die Forscher um Mouritsen dann sieben Jahre intensiver Forschung auf sich genommen, zahlreiche Experimente durchgeführt und belastbare Beweise gesammelt, um vollkommen sicher zu gehen, dass es den Effekt tatsächlich gibt.

Hinzu konnten die Biologen nun nachweisen, dass die Störeffekte durch elektromagnetische Felder hervorgerufen werden, die einen viel breiteren Frequenzbereich in einer weit geringeren Intensität abdecken, als frühere Untersuchungen dies vermuten ließen. "Dieses elektromagnetische Breitband-Rauschen ist im urbanen Umfeld allgegenwärtig. Es entsteht überall dort, wo Menschen elektrische Geräte benutzen. Erwartungsgemäß ist es in ländlicher Umgebung deutlich schwächer".

Zwar seien die Auswirkungen des Elektrosmogs auf den Vogelzug somit lokal begrenzt, "dennoch sollten diese Ergebnisse zu denken geben, sowohl was die Überlebenschancen der Zugvögel als auch was mögliche Effekte für den Menschen angeht, die es noch zu untersuchen gilt", mahnt Mouritsen abschließend.

Prof. Dr. Henrik Mouritsen erläutert das Studienergebnis


Quelle: uni-oldenburg.de