Eisscholle
© AKU RIIHELÄ, FMIEisscholle in der Arktis
In der Umweltszene schlagen die Wellen hoch: Nach der Veröffentlichung eines internen Berichts sieht sich Kanadas Regierung Manipulationsvorwürfen ausgesetzt. Werden Informationsinitiativen des nationalen Eisdienstes blockiert?

Die kanadische Regierung muss sich gegen massive Manipulationsvorwürfe von Klimaschützern wehren. Im Netz kurisert ein 449 Seiten starker Bericht, der die seit Jahren anschwellende Kritik über eine wissenschafts- und umweltfeindliche Haltung der konservativen Regierung von Premierminister Stephen Harper mit brisantem Material füttert. Es geht um einen der wichtigen Umweltdienste der kanadischen Regierung, dem Canadian Ice Sercive (CIS). Er überwacht die Arktis und hat in seinen Reihen eine Reihe von Wissenschaftlern, die rund um die Uhr Satellitendaten und Messungen aus dem Polarmeer auswerten.

Als sich im Sommer 2012 ein neues Rekordtief der Meereisbedeckung im Arktischen Ozean ankündigte, waren die CIS mit an der wissenschaftlichen Front und wollten die Mittelung veröffentlichen. Leah Braithwaite, die Chefin des Dienstes, spricht dazu mit einem der Kommunikationsfachleute im kanadischen Umweltministerium. „Weniger Eis bedeutet nicht weniger Gefahren. Im Gegenteil, und deshalb brauchen die Menschen mehr Informationen über die Entwicklung der Eisbedeckung“, so steht es in einer Notiz, die in dem Bericht zitiert wird. Das CIS wollte im August angeblich ein technisches, “streng faktisches“ Briefing für die Presse anbieten. Die Anfrage lief ins Leere. Wie jetzt in dem Bericht zu lesen ist, war die Informationsveranstaltung auf der sechsten von neun Genehmigungsebenen - der „ministeriellen Ebene“, ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden.


Kommentar: Hier sehen wir, wie viele "Genehmigungs-Ebenen" überwunden werden müssen, bis die Menschen an Information kommen. Ist das wahre Wissenschaft? Warum die Heimlichtuerei "ohne Angabe von Gründen"? In Zeiten des Klimawandels sind Informationen über die Eisschmelze äußerst wichtig und sollten breit bekannt gemacht werden. Handelt es sich hier vielleicht um Informationen, die zu 'brisant' sind?


Postmedia News, eine der großen Nachrichtenagenturen Kanadas, die neben Tageszeitungen und Online-Portalen von einem der größten Medienhäuser des Landes betrieben wird, hat den Bericht aufgrund des kanadischen Informationsfreiheitsgesetz angefordert. Die Hinweise über die Vorgänge vor zwei Jahren kamen offenbar aus dem CIS selbst, wo sich seit Jahren eine Unzufriedenheit aufgestaut hat. Ohne offizielle Genehmigung dürfen die Wissenschaftler dort auch nichts faktisches twittern, auch die Meteorologen dürfen prinzipiell nichts auf eigene Faust über den Klimawandel veröffentlichen.

Proteste auf der Straße und im Netz

Obwohl die in Ottawa angesiedelte Nichtregierungsorganisation „Evidence for Democracy“ (E4D) das Ministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert hat und der Regierung „Unterdrückung durch Bürokratie“ vorwirft, gibt es bislang kein offizielles Statement. Statt dessen lancierte das zuständige Umweltministerium eine mehr oder weniger anlasslose Pressemeldung über die Millionen-Investionen der Regierung in den Umweltschutz und in die meteorologische Forschung. Sie beginnt mit einem Hinweis auf vier Milliarden Dollar, die die Regierung seit 2006 insgesamt in Forschung und Technologien investiert habe. Harper wehrt sich.

Die Nachricht über die vermeintliche Zensur von wissenschaftlichen Fakten macht indes weiter die Runde. Während in diesen Tagen die arktische Meereisfläche wieder ihrem Minimum zustrebt und die klimainteressierte Öffentlichkeit auf regelmäßige Neuigkeiten und Prognosen von twitternden Arktisforschern aus Amerika und Europa erhält, ist vom kanadischen Eisdienst weit und breit nichts auf dem schnellen Nachrichtendienst zu erfahren. Stattdessen wird man auf den Twitterdienst des Umweltministeriums verwiesen, das in kurzen Abständen über die Hurrikan-Expertise im Land informiert.

Die Arktisforscher Kanadas fühlen sich international in den Schatten gestellt. Nicht nur der Öffentlichkeitsarbeit wegen: Vor drei Jahren hatte Harper das Kyoto-Protokoll aufgekündigt und damit die Abkehr der kanadischen Klimapolitik von der Linie der meisten westlichen Länder besiegelt. Der jüngste Bericht passt für die Gegner der Regierung Harper zu gut in das Bild, das der Regierungschef seit sechs Jahren abgibt.

Unabhängige Forscher klagen über Gelder, die gestrichen, Institute, die geschlossen werden und unerwünschte Nachrichten, die von der Regierung absichtlich ignoriert werden. John Dupuis, ein Wissenschaftler aus der Riege der „ScienceBlogs“-Autoren, hat schon mehrfach Listen mit „Abschusslisten“ der Regierung Harper veröffentlicht. „Kanadas Kriegserklärung gegen die Wissenschaft“, nennt er seinen Blog. Im vergangenen Jahr waren in mehreren Städten Kandas tausende Demonstranten auf die Straße gegangen, um gegen einen Kahlschlag bei unabhängigen Forschungsinstitutionen zu protestieren.