Putin-Kritiker Boris Nemzow stirbt direkt neben dem Kreml. In den Augen von US-Präsident Obama ein »bösartiger Mord«. Kanzlerin Merkel fordert restlose Aufklärung. Die Medien betreiben Vorverurteilung. Geschwiegen wird an anderer Stelle: In den USA sterben drei Journalisten. Einer kurz nach dem Gespräch mit Edward Snowden. Niemand fragt nach, keiner klagt an.

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Vier Kugeln aus einer Makarow-Pistole treffen Boris Nemzow. Am Rücken und am Hinterkopf verletzt, bricht der russische Oppositionspolitiker am 27. Februar gegen 23.30 Uhr tot zusammen. Keine 200 Meter entfernt vom Kreml, auf einer steinernen Brücke. Das ist das Einzige, das wir sicher wissen. Der Rest - also so ziemlich alles - sind Spekulationen: Warum überlebt Nemzows Begleiterin und Freundin? Das ukrainische Model Anna Durizkaja sieht die Täter und könnte sie schwer belasten.

Auftragsmörder sind Profis und lassen keine Zeugen zurück. In einer von vielen Versionen schießen sie aus einem weißen Fahrzeug nur auf Nemzow. Ermittler finden das Auto angeblich. Es stammt aus der islamischen Kaukasusrepublik Inguschetien.

Ein Überwachungsvideo zeigt aber einen ganz anderen Mord. Der Schütze feuert aus einem Schneeräumfahrzeug. Erst danach springt er in ein heraneilendes, schwarzes Fluchtauto. Überhaupt die Überwachungskameras: Die sind zur Tatzeit entweder im Wartungsmodus oder liefern angeblich nichts Brauchbares.

Zu viele falsche Spuren führen nicht zu den Mördern

Der Kreml gehört zu den bestüberwachten Plätzen der Welt. Ein denkbar ungeeigneter Platz für einen diskreten Auftragsmord. Dass es keine scharfen Aufnahmen geben soll, grenzt da an ein Wunder. Nemzows Freundin, das Model Durizkaja, glaubt außerdem an einen ganz anderen Mord: Der Schütze kommt von einer Treppe hinter der Brücke und feuert auf Nemzow. Im Überwachungsvideo läuft Durizkaja nach den Schüssen aber auf das Schneeräumfahrzeug zu. Hier passt eins nicht zum anderen.

Zu viele Tatversionen, zu viele Motive, zu viele Drahtzieher. Die russischen Behörden verdächtigen gleich in vier Richtungen: ukrainische Extremisten oder islamistische Terroristen. Womöglich aber auch westliche Geheimdienste, die Russland mit dem Mord destabilisieren wollen. Im Kreis der Verdächtigen befindet sich auch die russische Mafia.

Alle glauben: Nur Putin kann einen Putin-Kritiker ermorden lassen

Nur ein Motiv schließen sie aus: Dass Nemzow sterben musste, weil er Putins Kritiker war. Darauf schießt sich der Westen aber sofort ein. Ohne Wenn und Aber. Auch wenn es keine Fakten gibt. Alle glauben zu gern, dass nur Putin einen Putin-Kritiker ermorden lässt. Russische Zustände eben. Obama heizt sofort das Bild des bitterbösen Kreml-Autokraten an und trauert um den toten Nemzow: Er nennt ihn einen Freund, der Opfer in einem »brutalen und bösartigen Mord« wurde.

Die Ermittlung müsse »rasch, transparent« und »überparteilich« sein. So kann ein US-Präsident indirekt drohen.

Putin, der Auftraggeber. Das steht schon fest. In den Chor stimmen Merkel und auch Steinmeier ein: »Nun wurde dem Wirken einer furchtlosen Stimme ein jähes und feiges Ende gesetzt.« Frankreichs Premier Hollande spricht von einem »abscheulichen Mord« und stilisiert ihn zum »unermüdlichen Verteidiger der Demokratie«. Der tote Nemzow wird für den Westen wichtiger, als es der Lebendige je war. Ein Märtyrer eben, wie von Putin in einer Prophezeiung angedeutet.

Der tote Nemzow wird für den Westen wichtiger, als es der Lebendige je war

In Wahrheit ist Nemzow politisch schon lange am Ende, ohne Perspektive. Zuletzt 1997 Vize-Ministerpräsident unter Jelzin, kann er schon lange nicht mehr auf Wahlerfolge hoffen. 2008 zieht er sogar seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen zurück und verlässt seine Partei »Union der rechten Kräfte«. Nur Stunden vor dem Mord droht er im Radio Putin. Er habe neue Enthüllungen über den Krieg in der Ost-Ukraine. Wenn ihn der Kreml jetzt wirklich beseitigt, dann zu einem Un-Zeitpunkt. Alles deutet auf Putin hin.

Der ist ein kühl rechnender Machtpolitiker ohne Skrupel und wird im KGB groß. Dieser Mord scheint zu unüberlegt für Putin und bringt ihm nur Nachteile. Schließlich richtet Obama sofort und ohne Zögern den Zeigefinger auf Putin. Wie auf einen Rabauken auf dem Schulhof, von dem man nichts Besseres erwartet.

Was wäre, wenn Putin und Obama die Rollen tauschen?

Wäre die Vorverurteilung ebenso eindeutig, wenn Putin und Obama die Rollen tauschen? Ein Gedankenspiel: In den USA wird ein Kritiker der Regierung unter mysteriösen Umständen ermordet. Macht Europa dann Obama zum neuen Putin? Nein, nichts passiert. Alle schweigen. Kein westlicher Regierungschef stellt die USA derart bloß. Die Fallhöhe ist eine ganz andere als bei Russland, dessen Ruf international ruiniert ist.

Solche Schlagzeilen werden Sie im Geltungsbereich des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO nie lesen: »Auftragsmord - wie Geheimdienste die USA unterwandern.«

Dabei gibt es durchaus Anhaltspunkte. Dafür müsste man noch nicht einmal den ermordeten US-Präsidenten Kennedy aus der Versenkung holen. Auch jetzt sterben Menschen in den USA, die unbequem sind. Allein drei renommierte US-Journalisten zwischen dem 12. und 13. Februar 2015.

Nach dem Interview mit Edward Snowden stirbt der US-Journalist

Nur Stunden vor seinem Tod spricht Reporter David Carr mit dem Whistleblower Edward Snowden, der über Satellit aus Russland zugeschaltet wird. Das Interview findet in New York statt - es geht natürlich um das Abhören, Überwachen und Spionieren made by NSA. Sein Arbeitgeber, die New York Times, stellt Carrs letztes Interview als Livestream ins Internet. Die Zeitung ist Snowdens Enthüllungs-Partner, seit der Guardian immer stärker durch die britische Regierung schikaniert wird.

Carr ist bekannt als medienkritischer Kolumnist und bricht am Abend in den Redaktionsräumen derTimes zusammen. Ärzte des St. Luke’s-Roosevelt Hospital erklären ihn nach 21 Uhr für tot. Er stirbt am 12. Februar 2015 mit 58 Jahren. Offizielle Todesursachen laut Autopsie: Lungenkrebs und eine Herzkrankheit.

Die Fahrerlaubnis bereits neun Mal seit 2011 verloren

Er ist nicht der einzige US-Journalist, der unerwartet im St. Luke’s-Roosevelt Hospital aus dem Leben scheidet. Am Vortag stirbt hier CBS-Reporter Bob Simon. Nach einem Verkehrsunfall gegen 19 Uhr hat man ihn hier eingeliefert. Mit gebrochenem Genick und einigen tödlichen Verletzungenmehr. Der Unfall selbst ist kurios: Simons Miet-Chauffeur, Abdul Reshad Fedahi, ist ein obdachloser, afghanischer Immigrant, dem man die Fahrerlaubnis bereits neun Mal seit 2011 entzogen hat.

Die Fahrt des Afghanen endet nach einem Aufprall in einer Straßenabsperrung, Simons fliegt dabei durch den Innenraum des Wagens. Die New Yorker Polizei glaubt, Fedahi habe das Gaspedal mit der Bremse verwechselt. Fedahis Bruder glaubt, der Verkehrsunfall war ein neuer Selbstmordversuch Abduls. Er soll schon aus Fenstern oder vom Dach gesprungen sein. Was Simons Tod noch abstruser macht: Fedahi erinnert sich an nichts mehr. Er hat überlebt und wird jetzt offenbar für geisteskrank erklärt. Der aufsehenerregende Unfall findet in Manhattan statt. Dort gibt es vermutlich noch mehr Kameras als rund um den Kreml. Doch nach Angaben der Polizei zeichnet nicht eine einzige Kamera den Unfall auf.

Der tote Nemzow wird zum Märtyrer für den Westen

Der letzte Journalist in diesem Trio ist NBC-Reporter Ned Colt. Er erleidet am 12. Februar 2015 einen Schlaganfall. Drei Tote in nur 24 Stunden. Das verleitet Russia Today zu einer Verschwörungstheorie: Die drei Journalisten, die an einer Enthüllungs-Doku über 9/11 arbeiten. Sie müssen sterben, weil sich die US-Regierung bedroht gefühlt hat. Beweisen lässt sich das nicht. Die drei Journalisten arbeiten nachweislich nicht zusammen. Das Ganze ist aber dennoch irgendwie seltsam. Dafür ist Carrs Todeszeitpunkt direkt nach einem Snowden-Interview zu ungewöhnlich. Und Simons Tod im Auto ist - und es existiert dafür kein besseres Wort - einfach zu abgefahren.

Diese merkwürdigen Tode in den USA passieren einfach. Gedanken darüber macht sich niemand. Der mysteriöse Mord an Boris Nemzow wird jetzt aber zum Politikum hochgespielt und instrumentalisiert. Wem nützt dieser Mord am Ende? Gewiss nicht Putin. Nemzows angebliche Enthüllungen über Russlands Krieg in der Ost-Ukraine kursieren bereits durch die Nowaja Gaseta in der Öffentlichkeit. Sie sind viel heiße Luft.

Die USA profitieren von Nemzows Ableben

Auf der anderen Seite hilft Nemzows Ableben den USA und ihrer unversöhnlichen Haltung zu Russland. Sie spielen ständig mit dem Abzug an der Waffe, ohne sichtbar zu schießen. Das sindständige Nadelstiche und verbale Provokationen gegenüber Putin. Gerade haben amerikanische Panzer direkt vor de rrussischen Grenze eine Parade abgehalten.

Jetzt brüskiert Obama den russischen Präsidenten. Nach dem Motto: »Seht, wir haben es schon immer gewusst«, denunziert er ihn als Wahnsinnigen, der seine Kritiker direkt vor dem Kreml hinrichten lässt.

Dahinter verbirgt sich das Muster einer ständigen Eskalation, bei dem die wahren Drahtzieher unsichtbar bleiben. Die Weste der USA ist rein. Eine Strategie, die US-Geheimdienste mit diesen so genannten False-Flag-Operationen perfektioniert haben. Im Ukraine-Krieg sind sie offenbar schon lange Teil des Geschehens. Jetzt wiederholt sich das mit dem Mord an Nemzow auf russischem Boden. Er war politisch isoliert und für Putin keine Gefahr mehr: Die Russen stehen in den Umfragen weiter hinter seiner Politik. Warum also gerade jetzt?

Warum er gerade jetzt ermordet wird

Putin denkt und handelt durchaus paranoid. Als ein Mann der Geheimdienste weiß er aber, zu was die USA imstande sind. Einen Auftragsmord unter falscher Flagge fürchtet er bereits 2012. Der tote Nemzow ist jetzt dieser Märtyrer, der die russische Opposition wieder beflügelt. Immerhin haben ihn die tränenreichen Worte von Obama, Merkel, Hollande posthum geadelt - weit über seine wirkliche Bedeutung hinaus.

Ein Märtyrer, der das russische Volk spalten kann, das bisher gleichmütig hinter Putin steht. Und das zu einer Zeit, in der Russland international als Kriegstreiber isoliert ist und unter den Sanktionen des Westens leidet.