Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Tage fürchten die Ukrainer nichts so sehr wie die drastisch steigenden Strom- und Wasserpreise. Die Schuld geben sie der Weltbank und dem IWF.

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© IMAGO/ITAR-TASSTeures Leben in Kiew: Nach Berechnungen der ukrainischen Tageszeitung „Segodna“ muss ein Zwei-Personenhaushalt von April an 88 Prozent mehr für Wasser, Gas und Strom zahlen. Die Bevölkerung gibt den internationalen Geldgebern die Schuld, die auf scharfe Wirtschaftsreformen drängen.
In der Ukraine gibt es neben den kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Tage kaum ein anderes Thema, das so stark diskutiert wird wie die anstehenden Preiserhöhungen für Wasser und Strom. Vom 1. April an werden die Tarife dafür um bis zu 75 Prozent steigen.

Obwohl die Preise für Gas, Mieten und Lebensmittel in den vergangenen zwölf Monaten schon extrem gestiegen sind, wird nun auf Druck der internationalen Geldgeber wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) erneut an der Preisschraube gedreht. Nach Berechnungen der ukrainischen Tageszeitung Segodna muss ein Zwei-Personenhaushalt von April an 88 Prozent mehr für Wasser, Gas und Strom zahlen.

Das seien „astronomische Summen“, schreibt die Segodna.

In der Ukraine liegt das Durchschnittseinkommen bei gerade einmal 250 Euro. Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2014 um 7,8 Prozent, für dieses Jahr prognostizieren Experten ein Minus von drei Prozent.

Der Unmut in der Bevölkerung wächst

Für viele Ukrainer brechen noch härtere Zeiten an. Zum Beispiel für Maria und Oleg, ein Ehepaar aus Kiew. Sie sitzen in der Küche und rechnen. „Wir werden wohl ohne heißes Wasser auskommen müssen“, sagt Oleg. Im Sommer gehe das ganz gut, findet das Paar, dessen einzige Tochter aus der Wohnung ausgezogen ist. „Bei uns im Block wird das Warmwasser jeden Sommer abgestellt, dann duschen wir jedes Mal kalt“, sagt Oleg. Doch auch der Tarif für kaltes Wasser steigt um stolze 57 Prozent. Strom wird für das Ehepaar um 73 Prozent teurer.

Angesichts solcher Zahlen wächst in der Bevölkerung der Unmut nicht nur auf die eigene Regierung, sondern auch auf die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds, der auf scharfe Wirtschaftsreformen im Land drängt. „Wir sollen immer mehr zahlen, aber die Löhne steigen nicht, im Gegenteil“, schimpft Oleg. Er hat mittlerweile zwei Jobs. Unter der Woche ist er Busfahrer bei den Kiewer Verkehrsbetrieben, am Wochenende verdient er sich ein paar Griwna als Taxifahrer dazu. Nun sucht auch Maria nach einem weiteren Job. Sie arbeitet im Büro einer Lohnabrechnungsfirma. Das Geld aus dem Nebenverdienst gehe voll und ganz für die Gas-, Wasser- und Stromabgaben drauf.

Schlechte Zahlmoral privater Verbraucher und der Unternehmen

Tatsächlich haben die Vertreter des IWF die weiteren Auszahlungen von zwei Krediten über mehr als 20 Milliarden Dollar davon abhängig gemacht, dass die Preise weiter steigen. Die Schulden der ukrainischen Versorgungsunternehmen sind im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte immer stärker gestiegen und haben nach Auskunft des Ministeriums für Regionalentwicklung und Wohnungsbau nun 13 Milliarden US-Dollar erreicht. Vor allem die schlechte Zahlungsmoral der privaten Verbraucher, aber auch der Unternehmen hat zu dem gewaltigen Schuldenberg geführt.

Die Regierung von Präsident Petro Poroschenko und Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat zwar bereits im vergangenen Jahr ein umfassendes Reformprogramm zu Sanierung und Modernisierung vorgelegt, doch es hapert an der Umsetzung. Ein Parlamentarier der Regierungskoalition, der seinen Namen nicht nennen möchte, zieht Parallelen zu Griechenland. „Der Zwang, hochverschuldete Staatskonzerne zu privatisieren, wird in der Ukraine auf genauso viel Widerstand stoßen wie in Griechenland“, sagt der Abgeordnete. Auch in der Ukraine arbeiteten Millionen Menschen im öffentlichen Dienst oder in staatseigenen Unternehmen. Ministerpräsident Jazenjuks Ankündigung, jeden fünften Angestellten entlassen zu wollen, ist bisher nicht umgesetzt worden.