»Der Mörder ist immer der Tote«, habe ich bereits bei anderer Gelegenheit geschrieben − so auch bei dem Absturz von Flug 4U 9525 der Germanwings am 24. März 2015 in den französischen Alpen. Der Co-Pilot soll die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht haben. Befragen kann man ihn nicht mehr, verteidigen kann er sich auch nicht, und ein Gerichtsverfahren wird es gegen einen Toten natürlich auch nicht geben. Sprich: Trotz der vollmundigen Behauptungen der französischen Staatsanwaltschaft über den Inhalt des Cockpit-Voicerecorders (CVR) der Maschine sind Beweise für den angeblichen Hergang der Flugzeugkatastrophe bis jetzt nicht vorhanden.

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Die französische Staatsanwaltschaft wartete bei ihrer Pressekonferenz vom 26. März 2015 mit einer kühnen Darstellung auf: Der deutsche Co-Pilot habe den Kapitän der Germanwings-Maschine nach kurzer Abwesenheit nicht mehr ins Cockpit gelassen − wahrscheinlich nach einem Gang zur Toilette. Gleichzeitig habe er einen achtminütigen Sinkflug bis zum Aufschlag in den französischen Bergen eingeleitet. Klopft man diese mit großem Rummel verkaufte Version ab, stellt man jedoch fest, dass dafür nicht die geringsten Beweise vorliegen. Dafür gibt es einiges, was dagegenspricht. Doch der Reihe nach: Am 24. März 2015 soll um zehn Uhr morgens in Barcelona eine Germanwings-Maschine vom Typ Airbus A320 nach Düsseldorf gestartet sein. An Bord sollen sich 144 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder befunden haben. Die Flugnummer habe 4U 9525 gelautet.

Um etwa 10:30 Uhr soll der Airbus seine Reiseflughöhe von 11 600 Metern erreicht haben. Um 10:32 Uhr soll die Maschine ohne Rückfrage bei der Flugsicherung und ohne jeden Notruf plötzlich einen schnellen Sinkflug eingeleitet haben und nach etwa acht Minuten in den französischen Alpen zerschellt sein, wobei alle 150 Insassen ums Leben gekommen sein sollen.

Spekulationen vom Staatsanwalt

Bereits nach zwei Tagen will die französische Staatsanwaltschaft diesen rätselhaften Absturz nun gelöst haben und beförderte den Co-Piloten zum Sündenbock für diese rätselhafte Katastrophe. Ging es die Tage zuvor hauptsächlich um technische Fragen, rissen die französischen Behörden nun das Ruder herum und bauten den Co-Piloten zum Schuldigen auf. Bei einer Pressekonferenz am 26. März erklärte der französische Staatsanwalt Brice Robin, aus der Auswertung des Cockpit-Voicerecorders (CVR) habe sich ergeben, dass sich Co-Pilot und Kapitän zunächst ganz normal unterhalten und auf den Anflug auf Düsseldorf vorbereitet hätten.

Anschließend habe der Kapitän das Cockpit verlassen, sei bei seiner Rückkehr aber nicht mehr hineingelassen worden. Stattdessen habe der Co-Pilot bewusst den tödlichen Sinkflug begonnen. Also eine Selbstmord- und Mordmission. Das Problem ist nur, dass es dafür bis jetzt keine Beweise gibt.

Er sagte kein Sterbenswort

Der Co-Pilot habe kein Sterbenswörtchen gesagt, hat also selbst keinen Beweis für ein bewusstes Handeln geliefert. Er habe lediglich die ganze Zeit »normal und regelmäßig« geatmet. Der Staatsanwalt traut sich zu, den Atemgeräuschen zu entnehmen, dass der Co-Pilot bei Bewusstsein war: »Die These, dass der Co-Pilot bewusstlos gewesen sein könnte, schloss er im Grunde aus«,hieß es am 26. März auf heute.de. »Das ist nicht die Atmung von jemandem, der gerade einen Infarkt erleidet«, diagnostizierte Robin anhand der Atemgeräusche auf dem Voicerecorder. In Wirklichkeit könnte gerade die ruhige Atmung dafür sprechen, dass der Flieger eben nichts von der ganzen Dramatik mitbekommen hat.

Dafür, dass der Sinkflug durch ein bewusstes Drücken des »entsprechenden Knopfes« eingeleitet worden sei, hat der Staatsanwalt nicht die geringsten Beweise. Seine ganzen Behauptungen beruhen bestenfalls auf dem »Hörspiel« des Cockpit-Voicerecorders, denn nach seinen Angaben fehlt das eigentlich handfeste Beweismittel: Der Flugdatenschreiber (FDR). Nur durch ihn könnte festgestellt werden, was im Cockpit wirklich passierte, und welche »Knöpfe« denn nun gedrückt wurden. Aber bereits in den Abendnachrichten des 26. März wurden daraus Gewissheiten. Es bestehe »kaum ein Zweifel« daran, »dass der Co-Pilot die Katastrophe absichtlich herbeigeführt hat«, erklärte ebenso vollmundig wie skrupellos Matthias Fornoff in einem ZDF Spezial am 26. März 2015: »Der Mann hat 149 Menschen getötet und sich selbst.« So etwas kann man ohne Beweise straflos nur von einem Toten behaupten.

Klar denken können offenbar nur noch wenige, etwa die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC): »Wir waren geschockt, als wir die neuen Erkenntnisse über den Absturz gehört haben. Allerdings handelt es sich hierbei um einen ersten Zwischenbericht. Viele Fragen sind noch offen«, sagte VC-Sprecher Jörg Handwerg dem Handelsblatt (online, 26.3.2015). »Woran macht man beispielsweise fest, dass der Sinkflug vorsätzlich eingeleitet wurde?«, fragte der Mann zu Recht: »Aus unserer Sicht sind noch andere Möglichkeiten als Vorsatz denkbar.« So wisse man zum Beispiel noch nichts über den technischen Zustand des Flugzeugs, zitierte ihn das Handelsblatt.»Deshalb brauchen wir eine Auswertung des Flugdatenschreibers.«

Am Abend des 26. März kamen gar Politiker zu Bewusstsein. In der Talkshow Maybrit Illner trat der Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) auf die Bremse: »Es sei doch gar nicht gesagt, dass die Darstellung des französischen Staatsanwalts vom erweiterten Suizid des Co-Piloten tatsächlich zutreffe.« Und − man höre und staune: »Wenn ein Staatsanwalt etwas behaupte, müsse das schließlich keineswegs stimmen. Oft genug fielen die Urteile später anders aus.« Und der Luftfahrtexperte Andreas Spaeth wollte wissen, warum man eigentlich noch nach dem Flugdatenschreiber suche, wenn der französische Staatsanwalt die Angelegenheit bereits geklärt habe:»Klarheit über das, was sich während des Todesflugs abgespielt habe«, könne aber »schlichtweg noch gar nicht vorhanden sein« (zitiert nach:Spiegel Online,27.3.2015).

Faktenfreie Behauptungen

Eben − und genau deshalb stellt sich die Frage, wie der französische Staatsanwalt zu seinen nahezu faktenfreien Behauptungen kommt. In Wirklichkeit spricht einiges gegen seine Schilderung:
  • Warum sollte der Flugkapitän bei einem Zweistundenflug schon nach 20 Minuten zur Toilette gehen? Normalerweise bekommen die Passagiere auf einem Zweistundenflug niemanden aus dem Cockpit zu Gesicht.
  • Warum wählt der Co-Pilot einen acht Minuten langen Sinkflug als Selbstmordmethode, statt die Maschine schnell zum Absturz zu bringen?
  • Wie kann er angesichts der Dramatik des Geschehens einfach ruhig und gleichmäßig weiteratmen?
  • Warum hört man die Passagiere angeblich erst kurz vor dem Aufprall schreien?
  • Haben sie von dem verzweifelten Kampf des Kapitäns an der Cockpittür überhaupt nichts mitbekommen? Normalerweise würden sie zusammen mit dem Kapitän um den Zutritt zum Cockpit kämpfen.
  • Dasselbe gilt auch für die Flugbegleiter.
Mit anderen Worten klingt das Ganze wie ein Kammerspiel. Besetzung:
  • ein Flugkapitän
  • ein Co-Pilot
  • der Chor der Passagiere
Und nochmal:

Wie kommt der Staatsanwalt ohne jeden positiven Beweis zu der Behauptung, der Co-Pilot habe»diesen Knopf aktiviert« um den Sinkflug zu beginnen, was »als Absicht analysiert werden kann, das Flugzeug zu zerstören«? Dass der Strafverfolger für diese Aussage nicht einmal wartet, bis die Aufzeichnungen des Flugdatenschreibers gefunden und ausgewertet wurden, gibt zu denken. Denn ein Sinkflug kann natürlich auf verschiedene Art und Weise eingeleitet worden sein, zum Beispiel auch durch einen totalen Triebwerksausfall.

Bis jetzt fehlt also
  • jede Äußerung, Willenserklärung und auch ein Abschiedsbrief des Co-Piloten
  • jegliches Motiv für dieses bizarre Verhalten
  • jeglicher technische Beweis in Form von Flugschreiberdaten (FDR)
Flugschreiberdaten verschwunden?

Apropos: Während die französische Staatsanwaltschaft um die angeblichen CVR-Aufzeichnungen einen Riesen-Rummel veranstaltete, redete von den viel wichtigeren Flugschreiberdaten kaum noch jemand. Dabei wäre das besonders interessant, denn diese andere Black-Box erlitt laut vereinzelten Medienberichten ein seltsames Schicksal. Gemäß einem ersten Bericht der New York Times war die zweite Black-Box »schwer beschädigt und ihre Speicherkarte entfernt und verschwunden«. Ein wahrscheinlich einmaliger Vorgang. Dies ist vielleicht auch den Schreibern der NYT aufgefallen, denn inzwischen heißt es da: Am Absturzort »fanden die Arbeiter das Gehäuse der zweiten sogenannten Black-Box, den Flugdatenschreiber, aber die Speicherkarte mit den Daten über die Flughöhe, Geschwindigkeit, Position und den Zustand des Flugzeugs befand sich nicht darinnen.« So so − und warum nicht? Weil sie »offenbar losgerissen oder bei dem Aufprall zerstört« worden sei.

All dies wird der Öffentlichkeit allen Ernstes als Wahrheit untergejubelt. Besonders merkwürdig, dass auch Germanwings und Lufthansa dieses windige Spielchen sofort mitspielten und ihren verstorbenen Mitarbeiter als Massenmörder beschimpfen ließen: »Wir müssen, und da spreche ich glaube ich, für alle bei Lufthansa, fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass das Flugzeug offensichtlich willentlich zum Absturz gebracht wurde, mutmaßlich durch den Co-Piloten des Fluges«, erklärte der Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr von der Lufthansa. Fassungslos kann man aber nur über diesen Treueverrat der Germanwings- und Lufthansa-Bosse sein.

Schließlich gibt es auch noch andere Befunde über das Schicksal des Flugzeuges. Während alle Welt auf die klein geschredderten Wrackteile starrte und den Erklärungen irgendeines Staatsanwaltes lauschte, kümmerte sich kein Mensch um das Flugprofil der Maschine. Nehmen wir zunächst das Höhenprofil, das den Flugverlauf quasi »von der Seite her« zeigt:
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© zerohedge.comGermanwings Flug 4U 9525: Abstieg an der französischen Küste
Ein »klinisch totes Flugzeug«

Dieser Grafik zufolge begann der Sinkflug von Flug 4U 9525 exakt an der französischen Landgrenze − und zwar schlagartig. Genau als der Airbus zwischen Marseille und Toulon die französische Küste erreichte, sackte er plötzlich ab. Ist es Zufall, dass der Kapitän ausgerechnet kurz vor Übertritt der französischen Landgrenze auf die Toilette musste? Diese Grafik gibt es auch in dem Mainstreamlexikon Wikipedia, allerdings ohne die vielsagende Topografie. Dabei ist das noch nicht alles. Werfen wir einen Blick auf die nächste Grafik, die den Flug »von oben« zeigt:
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© flightradar24.comGermanwings 4U 9525: Plötzlich geht es nur noch geradeaus
Hier kann man sehen, dass das Flugzeug ab der französischen Küste nicht nur gleichmäßig zu sinken begann, sondern auch nur noch geradeaus flog. Mit anderen Worten sieht es so aus, als sei die Maschine bei Ankunft im französischen Luftraum regelrecht »ausgeknockt« worden und daraufhin »klinisch tot« gewesen: Ohne Steuerung und ohne Antrieb. Der Sinkflug sieht genau nach einem antriebslosen Gleitflug aus, wie ihn beispielsweise der Air-Transat Flug 236 am 24. August 2001 über dem Atlantik hinlegte.

Nur dass damals nicht auch noch die Steuerung versagte. Nach dem Ausfall beider Triebwerke gelang es den Piloten des Airbus A330 damals, die Maschine nach etwa 20 Minuten Gleitflug sicher auf den Azoren zu landen. Germanwings Flug 4U 9525 dagegen crashte ohne jedes Steuerungsmanöver in den Alpen, nur wenige Minuten bevor er den französischen Luftraum Richtung Italien oder Schweiz wieder hätte verlassen können − jedenfalls bei diesem Kurs.

Einigkeit für eine zerfallende EU

Der Absturz von Germanwings 4U 9525 war der große Bahnhof für die Staats- beziehungsweise Regierungschefs der drei europäischen Kernstaaten Deutschland, Frankreich und Spanien. Regelrecht gierig eilten sie zur Absturzstelle, um sich vor den Kameras nach dem Fortgang der Arbeiten zu erkundigen. Dass sich gleich alle drei Staatschefs auf einer gemeinsamen Pressekonferenz getroffen hätten, sei »schon sehr merkwürdig«, befand die Internetz-Zeitung (25.3.2015): »Und insbesondere Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande, aber auch der spanische Regierungschef Rajoy betonen die enge Verbundenheit der Europäer untereinander.«

Vom Verlierer zum Staatsmann

Europa und insbesondere der französische Präsident können diese zweite große Krise nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo gut gebrauchen. Nur zwei Tage vor dem Crash erlitten seine Sozialisten bei den Regionalwahlen in Frankreich vom 22. März 2015 eine krachende Niederlage und kamen nur auf rund 20 Prozent der Stimmen. Schon seit geraumer Zeit verliert François Hollande an Sympathien und gilt als der unbeliebteste Präsident in der Geschichte Frankreichs. Durch den Absturz von Flug 4U 9525 wurde die verheerende Wahlschlappe übertönt und François Hollande vom Verlierer zum Staatsmann.

Man tut sich regelrecht schwer, Artikel und vor allem Analysen über das amtliche Endergebnis der Wahlen zu finden, denn ab dem Morgen des 24. März war der Absturz von Flug 4U 9525 die beherrschende Nachricht in Europa. Darüber hinaus wurde auch der Boden für die kommende zweite Wahlrunde am 29. März bereitet. François Hollande als omnipräsenter Staatsmann und trauernder Landesvater macht sich da gut. Aber der Absturz half auch Angela Merkel, der Führungsfigur der zerfallenden europäischen Währungsunion und der angeschlagenen EU, vor den Kameras die Einigkeit zu demonstrierender Europäischen Union zu demonstrieren...