Suomi Waffen-SS
Finnisches Freiwilligenbataillon der Waffen-SS
(5. SS-Panzer-Division “Wiking”)
in Tampere, Finnland, 1943
Die Feder wurde verwendet, um in Ordnung zu bringen, was das Schwert an unserer Geschichte zu Fetzen zerrissen hat.

- J.K Paasikivi
Jeder Staat, der am Zweiten Weltkrieg beteiligt war, verfasste seine Geschichte zur Unterstützung von nationaler Einigkeit. Dabei haben seine Narrativen bestimmte Tatsachen verdrängt und es wurde Wert darauf gelegt, kontroverse und 'unliebsame Dinge' zu verschweigen. Das resultierte in der patriotischen, religiösen und halb-wissenschaftlichen Mythologisierung von Kriegsereignissen, und es schürte eine hysterische Einstellung gegenüber jedem, der nicht mit der offiziellen Geschichte übereinstimmt. Heute leben wir in einer Situation, wo unliebsame Dinge unbewusst vermieden werden. Denn eine offene Konfrontation mit ihnen verursacht Angst, Beklemmung und Unsicherheit.

Eine bestimmte Interpretation der Geschichte, wo das absolute Böse und Kriegsschuld - selbst Jahrzehnte später - auf den Gegner projiziert werden, wird für die meisten Menschen zu dem, 'so wie es immer war'. Umgekehrt wird das 'absolut Gute' an guten Taten im Auftrag der ernannten Autoritäten des Heimatlandes gemessen, und es wird im Namen von liberal-individualistischer 'Freiheit und Demokratie' ausgeführt. Bei solch einer Schwarz-Weiß - 'Trennung von Werten' gibt es keinen Platz für Selbstkritik, Mitgefühl/Vergebung, oder Offenheit gegenüber neuen Ideen.

In Finnland wurden wir so sehr in dieser "patriotischen" (d.h. nicht-hinterfragenden) Art und Weise erzogen (konditioniert), dass selbst die geringste Andeutung, dass unsere Kriegsführer irgendeine Verantwortung am Krieg trugen, Häresie-Anschuldigungen heraufbeschwört und in den Meisten starken emotionalen Widerstand hervorruft, neben ausgeprägter kognitiver Dissonanz.

Theorien selektiver Erinnerung und die These des Separatkrieges

Der finnische Historiker Heikki Ylikangas schrieb in Mitä on historia - ja millaista sen tutkiminen ('Was ist Geschichte und wie sie erforscht wird') über die Faktoren, die eine Umstrukturierung von historischen Narrativen behinderte - nicht zuletzt durch die Kontrolle der Forschung durch Entscheidungsträger. Als er den Winterkrieg von 1939-1940 zwischen der Sowjetunion und Finnland kommentierte, schrieb er:
Selbst heute schränken gegenwärtige Entscheidungsträger das Bild des politischen Hintergrundes über den Winterkrieg ein. Der Zeiger der Uhr, die den Fortgang der Erforschung dieser Sache misst, verharrt an Ort und Stelle. Sie ist an jenem Punkt steckengeblieben, an dem Tanner, Ryti und Mannerheim ihre Worte zu dem Thema niedergeschrieben haben. Aus der Perspektive historischer Forschung von Amateuren gleicher Gesinnung in diesem Feld, sowie aus dem Gesichtspunkt sehr voreingenommener Menschen in der Rechtsforschung wurde ein Geschichtsbild von dem politischen Hintergrund des Winterkrieges konstruiert, das weiterhin fast gänzlich in Kraft bleibt.
Das ist ein ganz übliches Problem in der Geschichtsschreibung. Je engere persönliche Bindungen Historiker zu einem Thema haben, desto kritischer sollten wir damit umgehen, was sie zu sagen haben. Ein klassisches Beispiel ist der große Einfluss, den Cicero und seine Schriften in der Gestaltung der heutigen Wahrnehmung über Julius Cäsar hatten: Viele Historiker haben die Tatsache ignoriert, dass sie politische Rivalen waren, was Cicero zu einer sehr fragwürdigen Quelle macht, wenn man ein objektives Portrait von Cäsar aufbaut. Fragen Sie sich selbst, ob zukünftige Gesellschaften eine realistische Beschreibung des russischen Präsidenten Vladimir Putin erhalten würden, wenn sie nur amerikanische Politiker und westliche Medien als Quellen benutzten, oder die fünfte Kolonne von russischen 'Oppositions'-Führern?

Lasst uns damit im Hinterkopf eine allgemein anerkannte historische Narrative des Zweiten Weltkrieges untersuchen: die "These des finnischen Separatkrieges" (Erillissotateesi). Finnland und Nazideutschland kämpften zusammen gegen die Sowjetunion. In Finnland wird dieser Krieg Fortsetzungskrieg (Jatkosota) genannt, denn er begann im Sommer 1941, nachdem der Winterkrieg geendet hatte. Diese Invasion war Teil des Unternehmens Barbarossa an der Ostfront, welches die Weichen für den Zweiten Weltkrieg zwischen den Achsenmächten und den Alliierten stellte.

Barbarossa umfasste die größte Abfolge von Schlachten, die jemals gekämpft wurden. Die Nazis, etwa 4 Millionen Mann stark und von Finnland bis nach Rumänien verteilt, stürmten auf die Sowjetunion zu. In Russland erinnert man sich an diesen Krieg als den Großen Vaterländischen Krieg. Indem sie die Versuche, Leningrad (hier nahm Finnland indirekt durch den Einsatz Brasil teil), Moskau und Stalingrad zu erobern abwehrten, erlitt die Sowjetunion gigantische Verluste (27 Millionen Russen wurden getötet). Aber es gelang ihnen schließlich, Nazideutschland niederzuwerfen. Deutschlands Niederlage wurde am Ende der Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 deutlich. Zwei Jahre später ergab sich Deutschland schließlich. Währenddessen fingen Deutschlands Alliierte an, ihre Geschichte umzuschreiben.

Als die katastrophale Niederlage an der Ostfront zunehmend klarer wurde, wurde Erillissotateesi oder die "These des Separatkrieges" erfunden, um sich von Deutschland zu distanzieren. Als eine einseitig verfälschte und durch die Politik verzerrte Interpretation der Ereignisse versucht die These des Separatkrieges zu beweisen, dass die deutschen und finnischen Kriege gegen die Sowjetunion getrennt und unabhängig voneinander waren, innerhalb des Zweiten Weltkrieges als Ganzes. Während diese These heute von den meisten wissenschaftlichen Forschern und Experten mehr oder minder aufgegeben worden ist, stützen sich die politische Rhetorik und öffentliche Meinung stärker denn je darauf. Professor Markku Jokisipilä schrieb in seinem Buch Sodan totuudet ('Wahrheiten über den Krieg'):
Während der vergangenen 15 Jahre brachte das stetig intensivierte Bemühen, Finnlands Kriegsjahre zu 100 Prozent richtig zu machen und mit hohen moralischen Standards zu versehen, ein beinahe monolithisches, unrealistisches und positives Bild hervor. Selbst die Grauzone internationaler Politik ist nicht mehr länger in diesem Bild erkennbar, eine dunkle Seite gar nicht zu erwähnen. Wie Professor Henrik Meinander gesagt hat, "ist es beinahe so, als ob der Zusammenbruch der Sowjetunion das finnische Volk davon erlöst habe, die Kriegsjahre selbstkritisch zu betrachten."
Mangel an Selbstkritik spiegelt sich klar in Umfrageergebnissen wider. Zum Beispiel, einer vom Sender MTV News durchgeführten Umfrage zum Fortsetzungskrieg zufolge, fühlten 61% der Finnen, dass sich Finnland in einem "Separatkrieg" befunden hätte und nur 16% erwogen, dass Finnland und Nazideutschland Alliierte gewesen sein könnten. Unter den Finnen herrscht demnach eine erdrückende Übereinstimmung darüber vor, dass Finnland kein Verbündeter von Deutschland gewesen sei, sondern eher ein Staat, der an einem 'Separatkrieg' teilgenommen habe. Warum ist das so, selbst wenn die Fakten für jeden offenkundig sind? Die Forscher, die von MTV interviewt wurden, sagten:
Die Beliebtheit dieser sogenannten Separatkriegs-These rührt dem finnischen Historiker Jenni Kirves zufolge vom Geschichtsunterricht her. Dieser beruht auf einem Separatkrieg, und dies ist im finnischen Geist zutiefst verwurzelt. Auf den Krieg folgte die Scham, als der allgemeinen Öffentlichkeit die Realität von Hitlers Deutschland dämmerte. Es erscheint abstoßend zu denken, dass die Finnen Verbündete Nazideutschlands gewesen sein könnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Deutschlands Niederlage und der Aufdeckung der Gräueltaten des Dritten Reiches brach Deutschlands Ansehen zusammen.
Die Separatkriegs-These klitterte im Grunde genommen, dass Finnland de jure nicht mit Nazideutschland verbündet war, und sie hat sich als eine von Finnlands Bewältigungsstrategien erwiesen, als sie auf der falschen Seite der Geschichte landeten. Es hat auch der Sinnlosigkeit des Krieges Sinn gegeben, mit der Betonung auf Finnlands "Mangel an Alternativen", da es nur "die Wahl zwischen Pest und Cholera gehabt hätte". Es ist wahr, dass Finnland sich geopolitisch in einer schwierigen Position befand (und noch immer ist), behindert durch sein Streben nach Neutralität in Hinsicht auf Russland. Nichtsdestotrotz traf die finnische Führung eine Wahl, die zurückblickend betrachtet das Vertrauen in ihren Anspruch, eine Strategie der Neutralität bevorzugt zu haben, schwächt. Es gab auch ideologische Gründe, sich mit Hitler zusammenzuschließen; Nazideutschland fand großen Anklang bei der extremen Rechten in Finnland.

Es gibt kein Entkommen von der Tatsache, dass Deutschland Russland durch Finnland angegriffen und den Invasionstruppen Material geliefert hat und deshalb de facto ein Verbündeter war. Unter den früheren Achsenstaaten, die ihr Ansehen reinwaschen wollen, ist Finnland in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Jeder von Deutschlands Partnern hat sich selber von den Gräueln des Dritten Reiches distanziert.

Eine jüngere Generation von Wissenschaftlern zeigte viele neue Informationen über die Beziehung zwischen Finnland und Nazideutschland auf. Der Forscher Oula Silvennoinen rief zur vollständigen Verwerfung der Separatkriegs-These auf, indem er im Präsidenten-Forum, das von Finnlands Präsidentin Tarja Halonen betrieben wird, darlegt, dass die Sicherheitsdienste in beiden Ländern in viel stärkerem Masse miteinander kooperierten als bislang gedacht:
Die wichtigste Aufgabe des Einsatzkommando Finnland war die Implementierung der ideologischen Säuberung in Murmansk - Richtlinien, denen von Seiten der [finnischen] Staatspolizei zugestimmt worden war. Seitdem der Fortschritt am nördlichsten Teil der Ostfront bescheiden blieb, bestand die Hauptaufgabe des Einsatzkommando Finnland darin, Ideologie- und Rassenfeinde unter den Kriegsgefangenen auszusieben. Die Staatspolizei unternahm, in Verbindung mit der Deutschen Sicherheitspolizei, auch Vorbereitungen zur Invasion Leningrads. Diese gemeinsame Sicherheitsoperation diente der Suche nach und der Zerstörung von aktiven Kommunisten, Abgeordneten des Stadtparlaments, Mitgliedern der Bildungsschicht und Juden.

Es gab eine weitere Schlüsselrolle Finnlands in diesem dunklen Drama. Die Verwaltung des Kriegsgefangenenlagers Nummer 3 in Ruokolahti sammelte "verdächtige aktive kommunistische Kriegsgefangene" von anderen finnischen Kriegsgefangenenlagern. Im Herbst 1942 hatte die Abteilung, die für die Überstellung von Gefangenen zuständig war, im Ganzen 520 Verdächtige in die Hände des Einsatzkommando Finnland geliefert. Alle überlebenden Quellen deuten an, dass das Schicksal dieser Gefangenen eine schnelle Hinrichtung war.

Die finnischen Sicherheitsdienste betätigten sich nicht in einem 'Separaten Krieg', sondern vielmehr in einem ideologischen Vernichtungskrieg an der Seite von Nazideutschland. Die Grundlage der Kooperation war radikaler Anti-Kommunismus. Durch die Finnen endeten jüdische Kriegsgefangene ebenfalls in den Händen des Einsatzkommando Finnland.
monkey see no evil,etc, Drei Affen - nicht sehen, hören, sagen
© Unbekannt"Finnland war kein Bündnispartner, sondern hatte einen separaten Krieg"
Durch das deutsche Bildungssystem und die Kameradschaft, die von Deutschlands Verwicklung in den finnischen Bürgerkrieg von 1918 herrührte, hatte die militärische Führungsriege Finnlands ideologische Verbindungen - und Kontakte - zu Nazideutschland. Der Bolschewismus diente als einigender ideologischer Feind. Überdies waren kulturelle und wissenschaftliche Wortführer wie V.A. Koskenniemi, Yrjö Kilpinen, Olavi Paavolainen, Maila Talvio, Heikki Klemetti, Rolf Nevanlinna, Emil Öhmann, Mika Waltari, Jalmari Jäntti, Wäinö Aaltonen, Eino Jutikkala, Bernhard Wuolle und Kaarle Sanfrid Laurila streng pro-deutsch eingestellt. In Kolmannen valtakunnan vieraat ('Gäste des Dritten Reichs') listen Markku Jokisipilä und Janne Könönen finnische Führer auf, die sich in der Sphäre deutscher Einflussnahme befanden - nicht zuletzt Marschall C.G.E. Mannerheim:
Beachtet man, wer die treibende Hauptkraft hinter der Auslandspolitik in Finnland war, steht Marschall Mannerheim über allen anderen. Als ausländischer politischer Führer war er ein vielfach gewichtigerer Akteur in seiner formalen Position als Vorsitzender des Verteidigungsrates. Seinen Ansichten wurde in militärischen und rechtsgerichteten Kreisen und ebenso von jenen in der Regierung und dem Außenministerium aufmerksam zugehört. Nicht einmal in den 1930ern wäre es für die Regierung möglich gewesen eine Außenpolitik durchzuführen, gegen die Mannerheim Einwände erhoben hätte, geschweige denn während der Kriegsjahre. Während der dreißiger Jahre unterstützte Mannerheim die deutsche Denkart zum Beispiel durch Teilnahme an den finnisch-deutschen "Waffenbrüder"-Gedenkfeiern, durch regelmäßige Besuche in der deutschen Botschaft, Diskussionen mit wichtigen Besuchern des Landes, sowie durch Pflege seiner persönlichen Beziehungen mit deutschen Amtspersonen - vor allem mit Hermann Göring. Was am wichtigsten ist: seinem ausgedehnten "Wunsch" - Netzwerk zum Militärsicherheitsdienst wurde gestattet, eine eigene pro-deutsche Diplomatie zu verfolgen, welche oft mit der öffentlichen Regierungsposition konkurrierte.
Mannerheim war möglicherweise trotzdem kein echter Nazi oder Hitler-Sympathisant, sondern ein kalter Taktiker, der den besten Weg für seine eigenen Interessen wählte. 1939, in einem Brief an seine Schwester Eva Mannerheim beschrieb er, wie die Völker Europas zu Sklaven des Dritten Reiches gemacht wurden, und dass "wir uns über die russische Unterdrückung hier beschwert haben und zornig darüber sind, aber das ist nur ein Kinderspiel - verglichen mit dem von Adolf, seinem Reichsführer Himmler und ihren Helfern. Wir stehen dem Ende der Welt gegenüber." Seine Erkenntnis kam zu spät, um noch irgendetwas dagegen zu tun. Nur einige Jahr früher sagte Mannerheim über Hitler, dass "es immer schön ist einen Mann zu sehen, der lieber Worten Taten folgen lässt als seine Zeit auf fruchtlosen Konferenzen zu verschwenden."


Mannerheim gab verschiedenen Leuten verschiedene Versionen seiner Motive an, je nach deren Position und der Richtung, in die sich die Ereignisse entwickelten. Es scheint, dass er "das Spiel auf mehr als einem Schachbrett" spielte, um Finnlands Entscheidungsfreiheit offen zu halten. Eines von Mannerheims Motiven kann klar hervorgehoben werden: der Wunsch, für ein "Weißes Russland" zu kämpfen, das heißt, im Namen des alten Zarenreiches. Er verachtete den Bolschewismus zutiefst. In einer Rede, die er 1920 nach der Befreiung von Tampere und Rautu durch die Weiße Armee hielt, beschrieb Mannerheim den finnischen Bürgerkrieg als einen Kampf zwischen dem absolut Guten und Bösen.
Weiße Armee! Alte medische Geschichten erzählen von dem Kampf zwischen Ormuzd, dem Gott des Lichts, und Ahriman, dem Gott der Finsternis. Während Ormuzd Sonnenschein und Regen gibt, so bringt Ahriman Dunkelheit und Frost sowie die Wüstenwinde. Während Ormuzd versucht, die Menschen zu schützen und sie auf den Weg der Wahrheit und Reinheit zu führen, so liegt Ahriman im Hinterhalt und wartet auf die Gelegenheit, sie auf den Weg menschlicher Ausschweifungen und Falschheit zu verleiten. Dieser Kampf zwischen Licht und Dunkelheit ist so alt wie die Menschheit.

Als ihr vor zwei Jahren den Sieg in Tampere durch blutige Opfer errungen habt, war es nicht nur ein großer Sieg, sondern auch eine Entscheidung zwischen zwei Weltanschauungen. Als ihr für Religion, für Vaterland und Heimat kämpftet, wurde die Religion als unerhörter Gegenstand des Spottes und Tadels von Seiten des Feindes eingesetzt, der das Vaterland nicht würdigt und noch nicht einmal das Heim. Wenn man versucht, all die Bürger zu einer gemeinsamen Arbeit zum Nutzen des geliebten Vaterlandes zu versammeln, dann hetzt die andere Seite zum Hass zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen auf. Wenn ihr es als Segen betrachtet, eine Arbeit zu haben, dann betrachtet unser Feind es als Verbrechen. Diese zwei Weltanschauungen können nicht in Einklang gebracht werden, eine Brücke kann nicht zwischen ihnen gebaut werden.
In Mein Kampf machte Hitler den Bolschewismus als ideologischen Feind von Deutschland aus, also teilten beide Führer eindeutig ein gemeinsames Ziel. Das frühe bolschewistische Russland war sicherlich eine Gräuelgeschichte für sich, und Finnlands Geburt als unabhängige Nation während dieses Aufruhrs konnte nur mit Hilfe des Deutschen Reiches stattfinden. Doch als sich Finnland später an Nazideutschland anschloss, war Mannerheim da geblendet von der früheren ideologischen Konfrontation mit dem Bolschewismus?

Wie dem auch sei, die Zeit hat das öffentliche Bild von Mannerheim außerordentlich (und vielleicht sogar verdächtig) gut behandelt. Er wurde zur mythischen, übermenschlichen Persönlichkeit der finnischen Geschichte gemacht; das ist der Grund, weshalb das Überprüfen von Mannerheims Taten und Motive aus einem kritischen Standpunkt - bis zum heutigen Tag - als einigermaßen tadelnswerte Haltung betrachtet wird.

Die Jahre vor dem Winterkrieg waren eine Zeit des Nationalismus, als die Linke politisch an den Rand gedrängt wurde und die Rechte das politische Feld in Finnland bestimmte. Dementsprechend wurde radikales Denken vom Militär, von der politischen Hierarchie sowie von nationalen Bewegungen aufgenommen. Lautstark mit Nazi-Deutschland übereinzustimmen hatte eine Auswirkung auf die Beziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion: hinter Deutschland, Japan und Polen sah Moskau Finnland als den nächst-aggressivsten Staat an. Besuche militärischer Repräsentanten und enge Beziehungen zu Deutschland während der 1930er Jahre schwächten diesen Eindruck sicherlich nicht.

Es ist eine historische Tatsache, dass Finnland dem Dritten Reich seine Tore geöffnet hat. Diese Wahrheit hat das spirituelle Klima unserer Nation erstarren lassen und es in einer Art Niemandsland belassen, wo der Besitz dieser historischen Tatsache von niemandem anerkannt ist und jedermann hofft, dass sie durch Schweigen verschwinden möge. Dieses Versäumnis sich der Vergangenheit zu stellen, begrenzt die Fähigkeit der Nation, die Zukunft vorauszusehen.


Schweigen hat zur Depolitisierung der finnischen SS-Freiwilligenbewegung geführt, deren Verbindungen zur deutschen SS verschleiert worden sind. 1983 wurde auf dem Hietaniemi-Friedhof in Helsinki ein Denkmal errichtet, um der Freiwilligen-Korps der finnischen Waffen-SS zu gedenken. In wohl keinem anderen europäischen Land wäre es möglich gewesen, ein öffentliches Denkmal zu Ehren der infamen Elite-Nazikämpfer, die für unzählige Gräueltaten während des Krieges verantwortlich waren, aufzustellen. Oula Silvennoinen erklärt in Luvattu maa ("Gelobtes Land") die Arbeitsprinzipien der Truppen der Waffen-SS:
Die Waffen-SS war einfach der militärische Flügel der SS, und seine Mitglieder waren dazu angehalten, ebenso erklärte und verlässliche Nationalsozialisten zu sein. Die Rekrutierung von Ausländern, mit der die SS ab 1940 begann, verändert nicht die Idee grundsätzlich. Ausländische Freiwillige wurden in derselben Weise darin geschult, dem Nationalsozialistischen Deutschland wohlwollend gegenüberzustehen und loyale Führer der "Germanischen Ideologie" in ihren Heimatländern zu sein. Die Waffen-SS und ihre ausländischen Freiwilligen waren nicht isoliert von der Terrormaschinerie des nationalsozialistischen Regimes. Im Gegenteil. Da die Waffen-SS politisch eine politisch bewusste und gut informierte Truppe zu sein hatte, war es gang und gäbe, ihre Mitglieder - beispielsweise Genesende/Konvaleszenten - für Aufgaben im System der Konzentrationslager wiederzuverwenden. Es gab keinen fundamentalen Unterschied zwischen der Waffen-SS und dem Rest der SS. Die Mitglieder der Waffen-SS waren politische Soldaten.
Waffen-SS Denkmal Helsinki
Denkmal der gefallenen finnischen Nazi-Truppen der Waffen-SS, das 1983 im Hietaniemi Friedhof in Helsinki errichtet wurde
Die Ablehnung der Separatkriegs-These in politischen und sozialen Debatten auf jeder Ebene könnte dem finnischen spirituellen Wohlergehen guttun. Dies würde uns dazu ermuntern, unsere Vergangenheit ehrlich zu betrachten und zu verstehen, dass unsere eigenen Führer ebenfalls schlechte Entscheidungen getroffen haben, die eine Auswirkung auf den Verlauf des Krieges hatten. Das bedeutet nicht, dass wir die Ungerechtigkeiten hinnehmen sollten, die in der Sowjetunion geschehen sind; doch als Nation könnten wir das Kriegstrauma loslassen, das von einer Generation zur nächsten weitergereicht wurde, und das noch heute unsere Fähigkeit beeinflusst, gegenwärtige Ereignisse zu interpretieren und unsere Rolle in ihnen zu erkennen.

Die Ideologie von Großfinnland und die extreme Rechte

Die Idee von "Großfinnland" besagt aus verschiedenen geschichtlichen, linguistischen und ethnischen Gründen, dass bestimmte Gebiete außerhalb der Ostgrenzen des Landes zu Finnland 'gehören'. Jene, die diese Stammesideologie unterstützen, glauben, dass die Landstriche von Ost-Karelien und der Kola-Halbinsel zu Finnland gehören. Zeitweise schloss diese Ideologie Estland, Ingermanland (Inkeri) und Finnmark (Ruija) mit ein. Der ambitionierteste Traum, obwohl weniger geläufig, platziert die Ostgrenze Finnlands im Uralgebirge. Diese 'Ideologie', wenn wir sie so bezeichnen können, ist auf dem National-Romantizismus des späten 19. Jahrhunderts begründet - 'Karelianismus' genannt. Kalevala, das bedeutendste Nationalepos finnischer Folklore, hat die Glorifizierung Kareliens durch Künstler, Schriftsteller und Komponisten in allen Kreisen kulturellen Lebens inspiriert. Sehr wenige haben Ost-Karelien tatsächlich besucht, und jene die es taten, fanden oftmals eine seltsame Kultur mit einer stark russianisierten Bevölkerung vor, die in einer Sprache redeten, die sehr schwer zu verstehen war. Die erfahrenen Soldaten der finnischen Jäger und anderer militärische Freiwillige der Finnischen Ostkriegszüge (1918-1922) stellten das Gleiche fest, nachdem sie versucht hatten, Ost-Karelien von der bolschewistischen Kontrolle zu befreien und das Gebiet unter finnischen Einfluss zu bringen.

Während des Finnischen Bürgerkrieges flößte Mannerheim, der zu jener Zeit das oberste Militär-Oberhaupt der "Weißen" Seite in dem Konflikt war, den von Deutschland unterstützten Weißen Soldaten das Ethos von Großfinnland in seiner berühmten Schwerteid-Rede ein:
"Ich werde mein Schwert nicht in die Scheide stecken, bevor Gesetz und Ordnung im Lande herrschen, bevor alle Festungen in unseren Händen sind, und bevor Lenins letzte Soldat und Verbrecher nicht nur aus Finnland, sondern auch vom Weißen Meer Kareliens gejagt wurde."
Mannerheim plante mit einer Freiwilligen-Armee in Sankt Petersburg (Leningrad) einzumarschieren, doch das scheiterte mangels Unterstützung der finnischen Regierung. Von 1920-1930 unterstützte Finnland russische 'Weiße' Emigranten und andere anti-revolutionäre Widerstandsgruppen. Von diesen finnischen Basen aus wurden verschiedene Terror-Attacken auf russischem Territorium durchgeführt, sowohl in Sankt Petersburg als auch in Moskau. Finnische Sicherheitsbeamte einschließlich der Zentralpolizei und des Generalstab-Geheimdienstes drückten diesen Aktionen gegenüber oftmals ein Auge zu, oder sie halfen dem Britischen Geheimdienst SIS (MI6) sogar dabei, sie gemeinsam auszuführen. Aufgrund der geografischen Lage war Finnland ein strategischer Korridor für anti-sowjetische Kampfverbände. Das neuveröffentlichte Buch von Aleksi Mainio, Das Nest der Terroristen (Terroristien pesä), geht den Geschehnissen und den Akteuren dieser Zeit im Detail nach. Einer Rezension der Zeitung Helsingin Sanomat zufolge:
"Die Hauptergebnisse des Buches zeigen auf, wie Finnland mehrmals und großzügig die russische Konter-Revolution unterstützte. Mit Erlaubnis finnischer Behörden wurde die Ostgrenze im Gebiet der Karelischen Landenge oftmals überquert, um Bombenanschläge, Morde und Sabotagen auszuführen. Oftmals erfuhren diese Gruppen demütigende Verluste.

Anders als gedacht war Finnland im Jahrzehnt von 1920-30 keine terrorismus-freie Zone gewesen, und die Finnen waren nicht "besonders immun gegenüber der Philosophie von Bombenanschlägen und Attentaten".
Zur gleichen Zeit entstiegen der Asche des Bürgerkriegs sowie der erfolglosen "Kriege Verwandter Völker", in denen die Finnen von baltischen Finnen bevölkerte Teile Russlands überfallen hatten, nationalistische Organisationen, die nach "Großfinnland" strebten - etwa die Akademische Karelien-Vereinigung (Akateeminen Karjala-Seura, AKS), die Unabhängigkeits-Union (Itsenäisyyden Liitto, IL) sowie die spätere Vaterländische Volksbewegung (Isänmaallinen Kansanliike, IKL). Die sozialistische Version der Großfinnland-Bewegung führte eine unbedeutende historische Existenz, da 'rote' Linksgruppierungen in Finnland völlig an den Rand gedrängt waren und mit dem 'weißen' rechtsgerichteten Nationalismus nicht mithalten konnten.

Suur-Suomi
© Terra (1941)Die geographische Einteilung Großfinnlands sollte durch die sogenannte Drei-Landengen-Grenze via Viena, Karelien-Aunus sowie die Kola-Halbinsel festgelegt werden – nach einem Artikel des Geographen Väinö Auer “Aufstrebendes Finnland aus einer wirtschaftlich-geographischen Perspektive” (Tuleva Suomi talousmaantieteellisenä kokonaisuutena, Terra, 1941)
Ab den Zwanzigern wurde die Großfinnland-Ideologie stark von Elias Simojoki personifiziert. Er war Abgeordneter, geweihter Priester und Gründungsmitglied der Akademischen Karelien-Vereinigung. Seine Schriften und Reden waren schäumende Demonstrationen von Ärger und Bitterkeit, mit einem Gemisch aus Nationalismus, Rassismus und religiösem Fanatismus. Als Teil seiner Propaganda verbreiteten die nationalistischen Organisationen der Lapua-Bewegung, IKL und IKS offen anti-russische Hassreden ("ryssäviha"). Eines der Hauptziele dieser Propaganda bestand in der Militarisierung der Jugend, wie in einer Rede von 1938 erkenntlich wird, die Simojoki auf dem Podium des Parlaments-Sprechers hielt: "Unser Schlachtfeld ist die Seele der finnischen Jugend".

Diese nationalistischen Organisationen konnten frei operieren, was keine Überraschung war, da die meisten Mitglieder der AKS Offiziere bei den Finnischen Streitkräften waren. Simojokis schizoider/psychopathischer Geisteszustand kam in seinen Reden durch. Ein Beispiel davon ist dieser Auszug eines Artikels mit dem Titel 'Der Hass der/auf die Russkis', der in der Studentenzeitung der Universität Helsinki, Ylioppilaslehti, veröffentlicht wurde (Ausgabe 5, 1923):
Finnische Studenten! In Ihnen, der Hoffnung dieses Landes, ist ein wunderbarer Patriotismus - ein großer Patriotismus - Erregung und Liebe erwacht. Schließen Sie sich uns in vorderster Reihe auch im Hasse an. Unser Vaterland braucht nicht diese Art von Freunden, die nicht wissen wie man hasst. Wenn Sie groß in der Liebe sein wollen, dann müssen Sie groß im Hass sein. Je leidenschaftlicher ein Staatsbürger sein Land liebt, desto bitterer ist sein Hass gegen den Feind. Oh wie schön ist der finnische Student in der Liebe, aber noch schöner ist er im Hass.

Lasst uns deshalb im Namen von Ehre und Freiheit unser Motto laut ertönen: Hass und Liebe! Tod den Russkis, egal welche Farbe sie haben mögen. Im Namen des vergossenen Blutes unserer Vorfahren, Tod diesen Zerstörern und Vergewaltigern unserer Heime, der uns Nahestehenden und unseres Vaterlandes; Tod den Zerschmetterern des Kalevala-Stammes, den Verunreinigern des finnischen Volkes. Im Namen der verlorenen Ehre und der zukünftigen Größe Finnlands: Tod den Russkis!
Wie wurde diese Art von Hassrede betrachtet? Die Verbreitung einer 'Großfinnland'-Mentalität kann man von dem veröffentlichten Text der finnischen Publikumszeitschrift Suomen Kuvalehti (23.8.1941) ableiten, in welchem wir lesen:
"Russen könnten unter der Führung einer zivilisierten Nation eine sehr gute Kriegswaffe sein, da erstklassige Kolonialtruppen gewonnen würden, um russische Gebiete in Schach zu halten. Desgleichen würde man vorzügliche und billige Arbeitskräfte bekommen, vorausgesetzt, dass die Peitsche häufig gebraucht und strenge / gnadenlose Disziplin aufrechterhalten wird."
Darüber hinaus erhielten faschistische Operationen Unterstützung und Zustimmung von manchen Offizieren. Zum Beispiel zeichneten 1931 die Generäle Hagford, Runolinna und Strann das politische Programm des "Vereins der Soldaten des Unabhängigkeitskrieges (Vapaussodan Rintamamiesten Liitto) auf, welches Mannerheim selber später zugab, gelesen zu haben:
"Eifer in Bezug auf Belange von Karelien muss als Teil des Propagandamechanismus des AKS gepflegt und unterstützt werden. Der Kontakt mit der Führung von Karelien inmitten der Flüchtlinge muss aufrechterhalten werden. Mit Hilfe von Zeitungspropaganda und Vorträgen ist der Hass auf die Russkis zu pflegen und anzuspornen, zusammen mit der Ausführung von Terrorakten, um Kriegsdrohungen zu provozieren. Propaganda zugunsten der Ideologie von Großfinnland muss erzeugt werden. Die Situation und Entwicklungen jenseits der Grenze müssen sowohl militärisch als auch politisch überwacht werden.
Terrorismus, Kriegsprovokation und die Aufwiegelung von Hass auf die Russen: das ist der Kern von Finnlands "patriotischen" Organisationen wenn man sie bloßgelegt, und all das mit dem Segen der höchsten Offiziere. Wenn die Ziele dieser Nationalisten untersucht werden, ist es unschwer zu verstehen, wie tief der "Russki-Hass" in finnischen Seelen verwurzelt worden ist. Der Politiker Eino Yliruusi schrieb über die politischen Dimensionen hinter diesen nationalistischen Gruppierungen und wofür sie benutzt wurden in seinem Buch von 1945, Die Schuldigen des Krieges und die finnische Kriegspolitik ('Sotasyylliset ja Suomen sotapolitiikka'):
Die Jugend der Universitätsstudenten, die sich an den militärischen Invasionen in Karelien beteiligte, gründete die Organisation namens Akademische Karelien-Vereinigung (AKS). Sie bestimmten sich selbst zu Führern der ultranationalistischen Großfinnland-Propaganda gegen die Sowjetunion. Überdies kümmerte sich die AKS um die politische Erziehung der Universitäts-Jugend und machte sie zu einer politisch unkritischen Gruppe, der es an jeglicher Unabhängigkeit mangelte - eine Gruppe, die alleinig vom eifernden Ultra-Nationalismus der Großfinnland-Ideologie inspiriert worden war. Unter dem Bann der Großfinnlandideologie wurden sie [die ALS Mitglieder/Sympathisanten) dazu verführt, die Ideen einer verfassungswidrigen Diktatur zu unterstützen. Denn es wurde erkannt, dass die durchschnittliche Bevölkerung unter normalen Umständen niemals ihre Unterstützung zu einem Eroberungskrieg gibt.

Auf diese Weise formierte sich die AKS zum Nährer sowohl des italienischen Faschismus als auch des deutschen Nationalsozialismus, sowie als Mittler zu größeren Gesellschaftsschichten. Schon im Anfangsstadium wurde eine sehr enge Verbindung zu Nazideutschland hergestellt. Parallel zu dem Nazitraum der Weltherrschaft reiften die Vorstellungen eines Großfinnlands zu neuem Leben heran. Zunehmend wurde sogar unter den Augen der Öffentlichkeit, geboren aus fanatischen Hirnen, der Gedanke gesät, die Grenze militärisch bis in den Ural zu verschieben.

Sofern es irgendetwas wie gesunden Menschenverstand hinter diesen Ideen überhaupt gab, stellte man sich vor, dass mit der Hilfe Deutschlands alles möglich sei. Auf diese Weise wurden die AKS und ihre akademische Jugend gänzlich in den Schoß Nazideutschlands getrieben - als ihre demütigen und willensschwachen Diener sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik. Es kann angemerkt werden, dass zur gleichen Zeit, als die Nazis 1930 einen überwältigenden Wahlsieg errangen und von einer kleinen Partei mit 12 auf 107 Sitze im Reichstag aufstiegen, die nazi-artige Lapua-Bewegung erhebliche Aufmerksamkeit auf sich zog, indem sie durch nicht-parlamentarische Mittel die gesamte Regierung [in Finnland] zu übernehmen versuchte. Doch diese ultra-nationalistische diktatorische Bewegung hätte sich niemals zu irgend einer Art wirklicher Gefährdung für unsere interne Demokratie noch für unsere Auslandsbeziehungen herausgebildet, wäre es nicht zugunsten jener vollkommen unbedachten und verantwortungslosen kapitalistischen Machtkreise gegangen, die diese Bewegung finanziert und unterstützt haben. Diese elitären Gruppen sammelten eine riesige Menge an Reichtum für sich selbst während der Gulag-Zeit an, die auf den Weltkrieg folgte.

Zur selben Zeit, als all das geschah, begann der kriegstreiberische und revolutionäre Rechte Flügel damit, unsere demokratische und parlamentarische Staatsorganisation zu verwässern. Stück für Stück wurden die wichtigsten bürgerlichen Freiheiten wie die Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie Redefreiheit abgeschafft. Gleichzeitig wurden das Strafgesetzbuch und Bestimmungen in Bezug auf Hochverrat erweitert, so dass sie fast alle Handlungen von Oppositions-Parteien einschlossen, und, so wie die Buchstaben des Gesetzes geschrieben waren, diese als "Unterstützung der Handlung des Hochverrats" wegerklärt werden konnten.

All diese Aktivitäten waren wohldurchdachte Vorbereitungen auf Krieg und Revolution. Man fürchtete, dass irgend eine Partei in einem kritischen Moment damit beginnen würde, sich den Kriegsplänen offen zu widersetzen und eine Kriegserklärung sehr fragwürdig machen würde, und aus diesem Grunde wurde ein Coup d'etat vorbereitet. Doch es bedurfte keines formellen Putsches, da alle Parteien einer allgemeinen Übereinkunft nachgaben, die Pläne der rechtsgerichteten Kammern der Nazi-Faschisten zu unterstützen und voranzutreiben. Die Militarisierung begann bereits 1935, als das Verteidigungsministerium ein Beschaffungsprogramm von 1.65 Milliarden Mark bewilligte. Einige Jahre später wurde das Budget auf den Vorschlag des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei auf 1.9 Milliarden erhöht - das war im Ganzen ein Wert von 3.5 Milliarden Mark an Aufrüstung. Zusätzlich stiegen die ständigen Ausgaben der Rüstungs-Abteilung innerhalb weniger Jahre rasch an, wobei sie sich von 500 Millionen auf 1 Milliarde verdoppelten.
Yliruusi war ein erfahrener Politiker und seine Schriften unterstützen die Ansicht, dass sich inmitten jenen an der Macht in Finnland eine extrem nationalistische Clique befand, die den offenen Konflikt zur Sowjetunion suchte - im gänzlichen Widerspruch zu dem Narrativ, dass Finnland ein 'Opfer Stalins' gewesen sei. Von normalen Finnen erhielt die Großfinnland-Ideologie keine große Unterstützung, doch sie bekam starke Präsenz, da ihre lautesten Befürworter von der Führungsriege der Kultur, Politik und Geschäftsleben waren. Diese radikale Bewegung ist teilweise verantwortlich für das Schicksal der toten und traumatisierten Veteranen der Kriege.

Was können wir aus der Geschichte lernen?

Krieg ist Wahnsinn. Er schafft einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Hysterie der Bürger ihr Verhalten vollständig beherrscht. Parteien, die nach Frieden streben, werden entfremdet und mit Argwohn betrachtet, was von jedem Mitglied der Gesellschaft erfordert, sich entweder anzupassen oder unterzugehen. Nach Orwells Worten, "Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, und Unwissenheit ist Stärke": diese Doppelzüngigkeit gestattet keinen Raum für Abstufungen zwischen Schwarz und Weiß. Es gibt nur "uns" und "sie".

Krieg schafft Raum für Psychopathen zur Ausübung des ihnen angeborenen Impulses, normale Menschen zu kontrollieren und zu beherrschen, und die Situation in Finnland stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Kriegsgefangene und weitere Gefangene wurden im Gefängnis und in Arbeitslagern hingebungsvoll getötet. Gräueltaten wurden ausgeführt, Menschen verhungerten durch Hungersnöte und Dokumentationen dieser Taten wurden später zerstört. Von 67.000 Kriegsgefangenen starben beinahe 20.000. Menschen wurden wegen ihrer politischen Ansichten in "Schutzhaft" genommen, und die Wahrscheinlichkeit, als Dissident gebrandmarkt zu werden, stieg, als der Zweite Weltkrieg heranrückte. Die Forscherin Sari Näre bezieht sich in ihrem Buch Ruma Sota ('Hässlicher Krieg') darauf:
Die Vorkriegszeit schuf strikte Standards für erlaubtes Denken, und davon abweichende Sichtweisen bedeuteten ein Risiko, denunziert und sogar des Verrats bezichtigt zu werden. Ein Gesetz namens 'Schutz der Republik' trat mit dem Beginn des Winterkrieges in Kraft. Dessen Zweck bestand darin, Aufwiegelung und Sabotage gegen den Staat zu verhindern. Einigen Schätzungen zufolge war einer von fünf finnischen Erwachsenen 1940 im geheimen Polizeiregister verzeichnet, etwa eine halbe Million Bürger.
Während des Krieges kamen von Mannerheim eingerichtete Konzentrationslager in Gebrauch. Es gab im Ganzen 14 Konzentrationslager in Ost-Karelien. Die Todesrate unter den dort herrschenden Bedingungen war sehr hoch. In die Lager gezwungen wurden "anti-nationales Material", "politisch unzuverlässige" nationale und nicht-nationale Personen aus den militärisch besetzten Gebieten sowie jegliche Finnen, "deren Freiheit als nicht erwünscht betrachtet werden würde". Die Lager erreichten ein Maximum von 24.000 Gefangenen, zumeist durch Ältere und Kinder. Eine geschätzte Anzahl von 4.600-8.000 Menschen starb. Später wurde die Bezeichnung Konzentrationslager in 'Migranten-Lager' umbenannt, um die Verbindung zu ihren Nazi-Entsprechungen weniger offensichtlich zu machen.

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Das Konzentrationslager Petrozavodsk. Bild aus dem Jahr 1944, aufgenommen einen Tag nach dem Rückzug der Finnen. Auf der Plakette steht: "Betreten des Lagers und Sozialisierung durch den Zaun verboten. Ansonsten besteht Gefahr, erschossen zu werden."
Heute greift eine nationalistische Renaissance in Finnland um sich. Zuvor ruhende rechtsgerichtete Aktivisten sind erwacht, und alte faschistische Organisationen werden reaktiviert, nun ermuntert durch die weltweite anti-muslimische Hysterie gegen Zuwanderung (Anti-Immigration). Tägliche russlandfeindliche Propaganda in den Medien hat den finnischen Enthusiasmus für Krieg in Europa bis zum Höchstmaß geschürt. In beiden Fällen werden die Ängste der Nation auf auftretende, erfundene 'äußere Bedrohungen' gerichtet - Muslime und Russen.

Die Aktivierung der extremen Rechten in Finnland wurde auch in Russland bemerkt:
Der Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, Nikolai Patrushev, sagte der Nachrichtenagentur TASS am Donnerstag zufolge, dass in Finnland die Aktivierung von nationalistischen und auf Rache sinnenden Organisationen geschehen sei. Ihm zufolge erhöhen diese ihren Einfluss in Karelien mit Hilfe russischer Nichtregierungs-Organisationen.
Dem Forscher Tommi Kotonen von der Universität von Jyväskylä zufolge herrscht in Finnland gegenwärtig eine begünstigende Atmosphäre für extrem rechtsgerichtetes Denken: "Wir haben zu einem gewissen Ausmaß eine stärkere nationalistische Tradition, die rechtsgerichtetes, radikales Denken akzeptabler macht." Die Großfinnland-Ideologie ist ein erklärender Faktor hinter diesem Neo-Nationalismus. An der Oberfläche wurden faschistische Ideologien nach dem Krieg zum Schweigen gebracht, doch ihre Überreste lagen im nationalen Unterbewusstsein versteckt, wo sie auf eine neue und bessere Zeit warteten. Man kann das anhand der Tatsache erkennen, dass Kriegsveteranen bedeutend freizügiger mit den Bekenntnissen ihrer eigenen Fehler umgehen, als die nachfolgenden Generationen es tun. Wie der Wissenschaftler Oula Silvennoinen sagt (in Bezug auf den Inhalt seines Buches Salaiset aseveljet - oder Geheime Waffenbrüder):
"Von nicht einem Kriegsveteranen habe ich etwas anderes als positive Rückmeldungen erhalten. Das Verhältnis zum Krieg durch die Generation nach ihnen scheint schwieriger zu sein. Sie betrachten [die Sache], als müssten sie die Ehre der Veteranen verteidigen. Diejenigen, die kriegserfahren sind, haben die Forschung nicht kritisiert. Sie wissen, wie es damals war.
Veteranen wissen, dass Krieg grässlich ist; doch neue Generationen mit einem verminderten Verständnis mythologisieren die Vergangenheit oftmals, was dem pathologischen Denken die Tür öffnet.

Ein plötzlicher Anstieg an Asylsuchenden hat die Unterstützung für die Nationalisten anwachsen lassen, und das ist durch eine Zunahme an Protesten zu erkennen. Bei einem kürzlichen Protest in Lahti wurde ein Mann gesichtet, der in ein vermummendes Ku Klux Klan - Gewand gekleidet war. Und ein Bus, der Familien mit Kindern transportierte, wurde mit Feuerwerkskörpern beschossen. In Kouvola wurden Arbeiter des Roten Kreuzes, Journalisten und Sicherheitskräfte mit Steinen und einem Molotow-Cocktail beworfen. In Verbindung mit einer Demonstration in Helsinki wurde die Wieder-Erstehung der faschistischen Lapua-Bewegung verlautbart. In Kemi hat die neonazistische Gruppierung "Die Soldaten Odins", von deren Mitgliedern mindestens einige gemeinsam mit der analog orientierten Finnischen Widerstandsbewegung (bezeichnet als Suomen Vastarintaliikke oder SVL) in eine Messerstecherei in Jyväskylä verwickelt waren, eine unabhängige Straßen-Kontrolle mit einer aktiven Stärke von ungefähr 50 Mann begonnen, "um das Sicherheitsgefühl der Leute zu verbessern." Die Ironie dieser Situation liegt darin, dass über Jahre hinweg Islamfeinde die Angst geschürt haben, dass Zuwanderung zum Steinewerfen, zu Bränden, zu von Kopf bis Fuß verschleierten Menschen und zu radikalen Bewegungen führen werden. Nun, all das ist jetzt hier, und es kommt von weißen Finnen, nicht von zugewanderten Muslimen.
Ku Klux Klan lahti protesti
Finnlands bekanntester Anti-Zuwanderungs-Politiker, MEP Jussi Halla-aho (PS), schlug die Errichtung eines "Barracken-Dorfes" für Flüchtlinge vor, in dem der Lebensstandard auf ein Minimum beschränkt bleiben sollte, um "ungesunde Anziehungsfaktoren" zu beseitigen. Halla-aho zufolge sollten Asylbewerber solange in dem Dorf verbleiben, bis ihr Asylantrag bearbeitet worden sei. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Bearbeitungszeit für Asylanträge bei etwa einem halben Jahr.

Solche extremen Sichtweisen finden zweifelsohne im heutigen Finnland Resonanz - stärker denn je. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich weiterhin, und die Regierung hat strenge Sparmaßnahmen eingeführt. Einwanderer und Flüchtlinge sind einfache Sündenböcke für die Leute. Ein Anwalt, Saku Timonen, der über die Einwanderungsdebatte schreibt, legt die Situation auf seinem Blog dar:
Wenn irgendjemand, neben einem, der an die Demokratie und die Menschenwürde glaubt, vor irgendetwas Angst hat, dann ist es sicherlich die Regierung dieses Landes. Diese hat Angst um ihre eigene Stellung. Sie fürchtet sich vor ihrem eigenen Volk. Eine rechtsgerichtete Regierung nimmt beispiellose Kürzungen an den Armen, den Niedrigverdienern, Familien mit Kindern sowie gegen die Kultur vor, und festigt ihre eigenen Reihen, indem sie politische Gewalt gestattet. Tatsächlich stachelt die Regierung zu Gewalt auf, indem sie uns dazu nötigt, den politischen Terror [gegen Einwanderer] zu begreifen.

Die von der Regierung proklamierte Arbeiterpartei ohne Sozialismus [Die Partei der Wahren Finnen] hat all ihre Wahlversprechen aufgezehrt. Sie kann an nichts weiter appellieren als an Unterstützung für ihren Widerstand gegen Zuwanderung, und daran hat sie sich eifrig geklammert. Sie akzeptiert jegliche Art von Einschnitten, solange die unterstützenden Trottel Flüchtlinge herumstoßen und sie in Lager stecken können. Die anderen beiden Parteien gestatten dies, so dass unter dem Deckmantel dieser Ablenkung die letztliche Umverteilung des Wohlstandes an die Reichen realisiert werden kann.

Dieses Land hat sich in nur wenigen Monaten in ein Zerrbild seiner selbst verwandelt. Rassistisches Wüten ist eine Demonstration davon, die nicht verurteilt wird. Angriffe auf Hilfsarbeiter werden als ein Ausdruck von Angst angesehen. Vorschläge für Konzentrationslager werden schlicht für 'vernünftige Diskussionen' gehalten. Wer, denken Sie, wird in diese Lager gesteckt werden, wenn der Vorrat an Flüchtlingen aufgebraucht ist? Der schwächere Teil der Gesellschaft? Jene 'Toleranten' [ein Begriff, der in Finnland für Menschen gebraucht wird, die Sympathie für Flüchtlinge haben], welche sich der Regierung widersetzen, die in ihrer Toleranz als richtiggehend intolerant und somit als eine Gefahr für die Gesellschaft angesehen werden?
In den vergangenen Jahren hat der Nationalismus in der politischen Arena Fuß gefasst, was in neuen Parteien sowie in einem Aufstieg der Partei der Wahren Finnen zur zweitgrößten Partei mit einer Menge an "zuwanderungskritischen" Politikern resultierte. Da ist zum Beispiel die jüngste Furore, die von Olli Immonen hervorgerufen wurde. Zusätzlich dazu hat der jetzige Verteidigungsminister Jussi Niinistö von der Partei der Wahren Finnen einen rechtsradikalen Hintergrund. Dem Journalisten Kai Byman zufolge "stand er in den frühen Neunziger Jahren in enger Verbindung zur Organisation Kansallinen Kulttuuririntama oder KKR (Nationale Kulturelle Front), die extrem rechtsgerichtet geprägt ist. Niinistö schrieb einen Artikel für die Zeitschrift Valkoinen Rintama (Weiße Front) und war aufs Engste mit Jukka I. Mattila, dem Gründer der Nationalen Kulturellen Front, vertraut." Im Sommer 2011 forderte Niinistö, dass Karelien an Finnland 'zurückgegeben' werde. Nun ist die gleiche Person für Finnlands Sicherheitsbeziehungen mit Russland verantwortlich.

Jussi Niinistö hat die Verbreitung des Russland-Hasses durch den AKS-Gründer Elias Simojoki in glühenden Worten dargestellt: "Meiner Ansicht nach bestand die historische Bedeutung von Elias Simojoki insbesondere darin, die Motivation für Finnlands nationale Verteidigung während des Winterkriegs zu erwecken [...] Elias Simojoki war eine Größe hinter dem Wunder des Winterkriegs." Der finnische Verteidigungsminister glaubt, dass Simojoki demzufolge ein Verteidigungsmotivator gewesen sei. Doch dem Leser von Simojokis psychopathischen Schriften sollte klar sein, dass er die Großfinnland-Ideologie vorantrieb und eine besonders angriffslustige Mentalität gegenüber den Russen anheizte, die über Jahrzehnte anhielt.

Elias Simojoki

Elias Simojoki, namhafter russlandfeindlicher Autor und Faschist.
Von Russlandfeindlichkeit befeuerte Klatschzeitungen haben beste Arbeit in Finnland geleistet. Im vergangenen Jahr glaubte einer Umfrage von Gallup zufolge eine Rekordzahl von 40% der Befragten, dass man vor Russland Angst haben müsse. Diese Anzahl hat sich in vier Jahren verdoppelt. Wenn das mit dem Drang kombiniert wird, zu den Waffen zu greifen - natürlich zur Verteidigung - kann man erkennen, wie leicht Finnen dazu manipuliert werden können, schlechte auslandspolitische Entscheidungen zu treffen, wie dem Anschluss an die NATO. Doch andererseits öffnete Finnland seine Tore dem Dritten Reich, also warum nicht dem 'Vierten' Amerikanischen Reich?

Sowohl Russen als auch Muslime sind die Sündenböcke für zahlreiche unterschiedliche soziale Probleme, die grundlegend durch tiefe strukturelle Probleme im Weltwirtschaftssystem verursacht wurden. Wenige können erkennen, welche Art von Gefahr dahinter verborgen liegt, besonders wenn die wirtschaftliche Situation sich weiterhin verschlechtert und in nationale Krisen mündet. Sogenannte 'westliche Werte' von Freiheit und Demokratie wurden als das aufgedeckt was sie sind: aggressives und wahnsinniges Verhalten, das durch Selbsttäuschung und Falschheit gerechtfertigt wird. An irgendeinem Punkt wird dies unter dem Gewicht der eigenen Absurdität zusammenbrechen, und wohl die 'Westliche Zivilisation' mit sich reißen.

Das menschliche Gedächtnis ist zu den besten Zeiten kurzlebig. Es währt erheblich kürzer, wenn Hysterie im Überfluss vorhanden ist. Den meisten scheint nicht bewusst zu sein, dass die gegenwärtige Flüchtlingskrise das Ergebnis westlicher Kriege ist. 'Der Krieg gegen den Terror' - 'Entweder ihr seid für oder gegen uns' - 'Die Achse des Bösen' - 'Saddams Massenvernichtungswaffen'. Erinnern sich die Menschen überhaupt noch daran? Sehen sie was geschehen ist, wie sehr sich unsere Welt verändert hat? Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien... Hunderte von Tausenden, Millionen von Toten - sogenannter Kollateralschaden. Die Anschläge vom 11. September rechtfertigten diese Kriege und gaben den USA und ihren Alliierten grünes Licht, um Länder zu unterdrücken, die eine multi-polare Welt anstatt eine unipolare Hegemonie anstreben.

Milton Mayer beschreibt in seinem Buch, Sie Dachten Sie Wären Frei: Die Deutschen, 1933-1945, wie unterschwellige psychopathologische Strömungen in einer Gesellschaft diese schrittweise so wandeln, dass sie zunehmend totalitärer wird. Ich empfehle es Ihnen zu lesen und dabei in Betracht zu ziehen, wie die Atmosphäre im Westen im Allgemeinen innerhalb einer so kurzen Zeit derart hysterisch geworden ist. Wir fürchten uns vor Bedrohungen 'von außen' so sehr, dass wir all unsere Freiheiten für die Illusion von Sicherheit opfern:
"Was niemand zu bemerken schien", sagte mein Kollege, ein Philologe, "war die von 1933 an sich im­mer mehr erweiternde Kluft zwischen der Regie­run­g und den Menschen." ...

"Was hier geschah, war die schrittweise Gewöhnung der Menschen, von Überraschung bestimmt zu werden - nach und nach; Entscheidungen entgegenzunehmen, die im Geheimen beratschlagt wurden; zu glauben, die Situation wäre so schwierig, dass die Regierung auf Information reagieren müsste, welche das Volk nicht verstehen könne, oder die so gefährlich seien, dass selbst wenn die Leute sie nicht verstehen könnten, sie wegen der nationalen Sicherheit nicht veröffentlicht werden könnten."

"Diese Trennung der Regierung vom Volk, das Ausweiten der Kluft, geschah so allmählich und so unmerklich, jeder Schritt war (vielleicht nicht einmal absichtlich) als vorübergehende Notmaßnahme verschleiert oder mit wahrer patriotischer Treue oder mit wirklichen gesellschaftlichen Zielsetzungen verbunden. Und all diese Krisen und Reformen (auch wirkliche Reformen) beschäftigten die Menschen so sehr, dass sie die langsame Bewegung im Untergrund nicht sehen, den gesamten Prozess der sich immer mehr entfernenden Regierung.

"Während man in diesem Prozess lebt, ist man wirklich nicht fähig es zu bemerken - bitte versuchen Sie mir zu glauben - es sei denn, man besitzt einen höheren Grad an politischer Bewusstheit und Scharfsinn als wie die Meisten von uns jemals die Gelegenheit hatten, ihn zu entwickeln. Jeder Schritt war so win­zig, so belanglos, so plausibel gerechtfertigt oder gelegentlich auch 'bereut', dass - sofern man nicht von dem ganzen Prozess von Beginn an entkoppelt war, sofern man nicht die Bedeutung des Ganzen im Prinzip erfasste, und wohin all diese 'kleinen Maßnahmen', die kein 'patriotischer Deutscher' verübeln konnte, eines Tages führen müssten - niemand sah, wie es sich vom ersten Tag an entwickelte; genauso wenig wie ein Bauer auf seinem Feld das Getreide wachsen sehen kann. Eines Tages steht es ihm über den Kopf.

"Wie kann dies vermieden werden - unter normalen Menschen, sogar hochgebildeten Menschen? Offen gesagt, ich weiß es nicht. Ich sehe es nicht, selbst jetzt. Viele, viele Male seit all dies geschah, habe ich über jenes großartige Paar an Maximen nachgedacht, Principiis obsta und Finem respice — 'Wehre den Anfängen' und 'Bedenke das Ende'. Aber man muss das Ende voraussehen um zu widerstehen, oder sogar die Anfänge sehen. Man muss das Ende klar und ohne Zweifel voraussehen, und wie kann dies von normalen oder sogar außergewöhnlichen Menschen vollbracht werden? Dinge könnten sein. Und jedermann zählt auf dieses Könnte.

"Sie sehen", fuhr mein Kollege fort, "man sieht nicht genau wohin und wie man sich bewegen soll. Glauben Sie mir, das ist wahr. Jede Handlung, jedes Ereignis ist schlimmer als die/das let­zte - doch nur ein wenig schlimmer. Du wartest auf das Nächste und das Nächste. Du wartest auf das ganz große schockierende Ereignis und denkst, dass die Anderen dich bei deinem Widerstand irgendwie unterstützen werden, wenn solch ein Schock kommt. Du möchtest nicht im Alleingang etwas unternehmen; nicht einmal darüber reden. Du möchtest dich nicht 'von deinem Pfad entfernen, um Probleme zu machen'. Weshalb nicht? Also, man ist nicht daran gewöhnt, es zu tun. Und es ist nicht nur Angst, Angst allein dazustehen, die einen zurückhält; es ist ebenso echte Verunsicherung.

... In Ihrer eigenen Gemeinschaft reden Sie privat mit Ihren Kollegen, einige von ihnen fühlen sicherlich dasselbe wie Sie; aber was sagen sie? Sie sagen: 'Es ist nicht so schlimm' oder 'Sie sehen Gespenster' oder 'Sie sind ein Schwarzseher'.

"Und Sie sind ein Schwarzseher. Sie sagen, dass dies zu jenem führen muss, und Sie können es nicht beweisen. Dies sind die Anfänge, ja; aber wie können Sie sicher sein, wenn Sie das Ende nicht kennen, und wie erkennen - oder sogar nur vermuten - Sie das Ende? Einerseits schüchtern Ihre Feinde - das Gesetz, das Regime, die Partei - Sie ein. Andererseits verhöhnen Ihre Kollegen Sie als pessimistisch oder sogar neurotisch. Es bleiben nur Ihre engen Freunde übrig, die natürlich Menschen sind, die immer so gedacht haben wie Sie."

"Aber Ihre Freunde sind jetzt weniger geworden. Einige sind irgendwohin abgedriftet oder haben sich in ihre Arbeit vertieft. Bei Treffen oder Versammlungen sehen Sie nicht mehr so viele wie früher. Zwanglose Gruppen werden kleiner; Besucherzahlen in kleinen Organisationen bröckeln weg und die Organisationen selber schrumpfen. Nun, bei kleinen Zusammenkünften Ihrer ältesten Freunde empfinden Sie, dass Sie zu sich selbst sprechen, dass Sie von der Realität der Dinge abgekoppelt sind. Dies schwächt Ihr Selbstvertrauen noch weiter und dient als weitere Abschreckung vor - ja, vor was? Es wird die ganze Zeit über klarer, dass, wenn Sie irgendetwas tun werden, Sie die Gelegenheit herbeiführen müssen, es zu tun - und dann sind Sie offensichtlich ein Unruhestifter. So warten Sie, und Sie warten.

Aber das große schockierende Ereignis, wo sich Zehn- oder sogar Hunderttausende dir anschließen werden, kommt niemals. Das ist das Schwierige. Wenn die letzte und schlimmste Tat des Regimes sofort nach der ersten und kleinsten gekommen wäre, wären Tausende, ja Millionen zur Genüge schockiert gewesen.... Aber natürlich ist dies nicht die Art und Weise wie es geschieht. Zwischendurch kommen all die Hunderte an kleinen Maßnahmen, manche davon unmerklich, eine jede bereitet Sie darauf vor, von der nächsten nicht schockiert zu werden. Maßnahme C ist nicht so viel schlimmer als Maßnahme B, und wenn Sie sich Maßnahme B nicht entgegengestellt haben, weshalb sollten Sie es dann bei Maßnahme C? Und so geht es weiter zu Maßnahme D.

"Und eines Tages ist es zu spät ... Und Sie sehen, dass sich alles, wirklich alles immer mehr geändert hat - genau unter Ihrer Nase. Die Welt in der Sie leben — Ihr Land, Ihr Volk — ist überhaupt nicht mehr die Welt, in die Sie hineingeboren worden sind. Die Formen sind noch da, alle unberührt, alle beruhigend, die Häuser, die Geschäfte, die Berufe, die Essenszeiten, die Besuche, die Konzerte, das Kino, der Urlaub. Aber die Stimmung, die Sie niemals bemerkt haben, weil Sie den lebenslangen Fehler begingen, sie mit den Formen gleichzusetzen, hat sich geändert. Jetzt leben Sie in einer Welt des Hasses und der Furcht, und die Leute, die hassen und sich fürchten, wissen es nicht einmal selbst; wenn jedermann verwandelt ist, ist niemand verwandelt. Jetzt leben Sie in einem System ohne Verantwortung, selbst gegenüber Gott. Das System selber könnte dies zu Anfang nicht beabsichtigt haben; aber um sich selbst zu erhalten, waren sie gezwungen den ganzen Weg zu gehen.

"Sie selbst sind fast den ganzen Weg gegangen. Das Leben ist ein kontinuierlicher Prozess, ein Fluss, überhaupt nicht eine Folge von Taten und Ereignissen. Es ist zu einer neuen Höhe geflossen, Sie mit sich tragend, ohne jegliche Anstrengung Ihrerseits. ..."