Vögel verlieren die Orientierung am Erdmagnetfeld, wenn sie in den Einflussbereich anderer Felder geraten.
Zugvögel, Deutschland
© WP Michael Kleinrensing
Dass wir von etwas magnetisch angezogen werden, ist nur so eine Redeweise, wir haben ja keinen Magnetsinn, daran glaubte allenfalls Franz Anton Mesmer! Oder beeinflussen uns die Felder doch? Ende der 1970er-Jahre führte Robin Baker, Zoologe der Uni Manchester, Probanden mit verbundenen Augen kreuz und quer durch die Stadt. Dann nahm er ihnen die Augenbinde ab und bat sie, zum Ausgangspunkt der Wanderung zu weisen. Das gelang denen schlechter, die außer Augenbinden noch etwas am Kopf trugen, einen Stabmagneten.

Daraus schloss Baker, dass Menschen sich am Erdmagnetfeld orientieren, und dass andere Felder alles verwirren. Das schaffte es rasch in höchstrangige Journals, aber es konnte von niemandem reproduziert werden. Und dass es überhaupt einen Magnetsinn gibt, war relativ neu, 1965 hatte ihn Wolfgang Wiltschko (Frankfurt) an Zugvögeln entdeckt. Inzwischen hat er sich bei vielen Tieren gefunden, und bei Vögeln ist der Nachweis derart Routine, dass das Experiment zur Ausbildung der Studenten gehört, etwa an der Uni Oldenburg: Dort testet man Zugvögel in Holzhütten, man manipuliert ihre Flugrichtung durch Veränderungen von Magnetfeldern.

Um so größer war die Überraschung, als das 2004 nicht funktionierte. Man vermutete einen Fehler im Experiment und wiederholte es mehrfach, es ging immer schief. Da hatte ein Techniker eine Idee: Er schirmte die Hütten von schwachen Magnetfeldern ab, das der Erde blieb wirksam. Und schon fanden die Vögel den Weg wieder.

Nun wurde in der neuen Anordnung experimentiert, Jahr für Jahr, mit immer neuen Studenten und quer durch die Frequenzen. Die Verwirrung trat nur zwischen 50 Kilohertz und fünf Megahertz auf, nicht bei höheren Frequenzen - Mobilfunknetze schwingen im Gigahertzbereich - , nicht bei tieferen, etwa bei den 16,3 oder 50 Hertz, die von Hochspannungsleitungen kommen. „Von der Hochspannung und der Mobiltelefonie kommt dieser Elektrosmog nicht“, erklärt Henrik Mouritsen, Chef der Forschungsgruppe in Oldenburg. Woher dann? Er liegt in der Größenordnung der Radio-AM-Wellen, auch in der, die aus Elektrogeräten strahlen.

Einen Radiosender haben sie in der Uni Oldenburg nicht, aber Büros und Labors wurden in den letzten Jahrzehnten mit technischem Gerät hochgerüstet. Dessen elektromagnetischer Lärm verwirrt die Vögel: Bei Kontrollexperimenten in einer ländlichen Region zeigte sich der Effekt nicht (Nature, 7. 5.). Aber wie kann er sich überhaupt zeigen? Und noch dazu bei der Schwäche der Felder? „Die Feldstärken liegen 100 bis 1000 Mal unter den jetzigen Grenzwerten. Bisher gab es keinen gut dokumentierten Effekt auf biologische Systeme von Störungen unter den Grenzwerten. Das ist das Erstaunliche“, wundert sich Mouritsen, „wie das vor sich geht, weiß ich nicht, ich habe nur Vermutungen.“

Wahrnehmung auf Quantenwegen?

Vögel nehmen Magnetfelder vermutlich auf zwei Wegen wahr, einer läuft über im Schnabel eingelagerte Eisenoxidkristalle (Magnetit), aber der braucht zum Aktivieren höhere Energien. Der zweite, ganz hypothetische Weg nutzt Sehpigmente in den Augen (Cryptochrome), die auf quantenphysikalischen Wegen den Lichteinfall in Informationen über das Erdmagnetfeld umsetzen. Dabei werden durch das Licht aus den Cryptochromen kurzlebige Moleküle, die zwei Quantenzustände einnehmen können. Welcher es wird, hängt vom Magnetfeld ab.
Es könnte natürlich auch etwas ganz anderes sein, es könnte überhaupt nicht um das Magnetfeld gehen, sondern um das elektrische. „Ich bin Biologe und beobachte Vögel“, schließt Mouritsen, „uns sollten Theoretiker anderer Richtungen zu Hilfe kommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2014)