Dortmund. Die 31-jährige Susan ist nicht das, was man mit dem Begriff „gesundheitlicher Risikofaktor“ verbindet. Die Architektin ist schlank, lebt gesund, raucht nicht, hat 15 Jahre Ballett getanzt, geht regelmäßig joggen und fährt Rennrad. Vielleicht nahmen die Ärzte deshalb ihre Beschwerden nicht so ernst, als sie in die Klinik kam. Und doch wäre die Aachenerin im Alter von nur 29 Jahren fast gestorben. Weil sie die Antibabypille nahm. Und weil ihr Gynäkologe vorher nicht überprüft hatte, ob sie genetisch ein erhöhtes Risiko für eine Thromboseeignung hatte.
3 Antibabypille-Opfer
© SponholzFelicitas, Susan und Nana (v.l.n.r.) gründeten jetzt eine Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter. Um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, protestierten sie kürzlich auch vor der Hauptversammlung von Bayer.
Susan weiß noch genau, was die Ärzte ihr gesagt hatten, als sie im Januar 2009, einen Tag nach ihrem Skiurlaub, mit stechenden Schmerzen in der Brust und Atemnot in die Klinik kam. „Schlafen Sie sich erstmal aus“, hieß es. Doch Susans Vater, selbst Mediziner, bestand darauf, dass seine Tochter nicht wieder nach Hause geschickt sondern in einem CT untersucht wurde. Zum Glück. „Lungenembolie - Gefahr eines Herzversagens“ lautete die Diagnose. „Und auf einmal war Panik unter den Ärzten da“, erinnert sich Susan. Noch während sie auf dem CT-Tisch lag, wurde sie gefragt, ob sie die Pille nehme.

Das tat sie - seit zwei Jahren ganz bewusst das Präparat mit Namen „Yasminelle“ - also jene Pille des Schering-Nachfolgers Bayer, die als besonders niedrig dosiert gilt. „Ich habe damit assoziiert, dass sie auch weniger Nebenwirkungen und Gefahren hat“, sagt Susan. Ein Trugschluss, wie der Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske meint: Denn moderne Antibabypillen bergen seiner Ansicht nach sogar ein doppelt so hohes Risiko gefährlicher Nebenwirkungen wie ältere Präparate. Im neuesten Arzneimittelreport der Barmer GEK appelliert er an die Frauenärzte, „stärker zu den bewährten Mitteln mit bekannten Gestagenen zurückzukehren und nicht weiter den Umsatz der angeblichen Innovationen, bei naher Betrachtung aber durchaus problematischen Mittel zu fördern.“

Dass sie mit ihrem massiven Gesundheitsproblem nicht alleine ist, weiß Susan schon seit längerem: Seit sie einen Fernsehbericht über die 25-jährige Felicitas sah, die - ebenfalls Nutzerin von „Yasminelle“ - eine Lungenembolie mit Herzstillstand erlitt und 20 Minuten klinisch tot war. Und seitdem sie von Nana hörte, die ebenfalls eine Pille mit dem Wirkstoff Drospirenon genommen hatte - und mit 30 Jahren ebenfalls eine Lungenembolie erlitt. „Da wusste ich, ich bin kein Einzelfall“, bilanziert Susan. „Das tat gut.“ Die jungen Frauen nahmen miteinander Kontakt auf, trafen sich und gründeten im April die Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter (SDG). Ihr Motto: „Du bist nicht alleine!“ Inzwischen meldeten sich auf der Homepage www.risiko-pille.de noch mehrere Pillen-Nutzerinnen, die lebensgefährlich erkrankt waren - alles junge Frauen, die nicht rauchen, schlank und sportlich sind und gemeinhin nicht in die „Risikogruppe“ jener fallen, die auf Hormonpräparate verzichten sollten. Und von denen einige noch nicht einmal ein genetisch höheres Thrombose-Risiko hatten.

Gemeinsam kämpfen sie nun dafür, eine „ehrliche und umfassendere Aufklärung“ über die Risiken drospirenonhaltiger Pillen im Beipackzettel und durch die Gynäkologen zu erreichen. „Unser Ziel ist es, Frauen für die Risiken der Pille zu sensibilisieren, den Betroffenen ein Gesicht zu geben und endgültig mit dem Mythos aufzuräumen, als Geschädigte ein Einzelfall zu sein“, sagt Kathrin, Mitgründerin der SDG, die mit 24 eine Lungenembolie erlitt.

Die Angst kommt immer wieder

Susan ist jedoch nicht nur sauer auf die Frauenärzte, „die vor dem Verschreiben der Pille keine Tests zum Thrombose-Risiko durchführen, obwohl diese seit den 90er Jahren zur Verfügung stehen“, sondern vor allem auch auf Pharmakonzerne wie Bayer. „Sie sollten diese Pille vom Markt nehmen und ihr Wirken nicht nur auf Profit ausrichten, sondern zum Wohle der Patienten. Eine Pille mit solchen Nebenwirkungen braucht keine Frau. Die braucht nur eine Pharmaindustrie, um Geld zu machen.“

Für Susan ist das Thema, zwei Jahre nach ihrer Lungenembolie, längst nicht vorbei - auch, wenn sie nach außen alles „gut“ überstanden hat. Vier Monate war sie arbeitsunfähig, eineinhalb Jahre brauchte sie „um mich wieder einigermaßen so zu fühlen wie vorher“. Aber die Angst kommt immer wieder. Noch immer leidet sie unter Panik-Attacken, wenn sie an die Atemnot und Schmerzen denkt, die sie nachts erlitten hatte. „Die Unbeschwertheit, die man mit 29 eigentlich hat, ist weg“, sagt sie. „Vorher hatte ich nie Angst, zu sterben. Aber diese Nachwehen werden wohl immer bleiben. Dabei habe ich kein Bungee-Jumping gemacht. Ich bin bewusst kein Risiko eingegangen. Ich habe nur die Pille genommen.“