Neandertaler
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Lange wurde es vermutet, nun ist es sicher: Der moderne Mensch und der Neandertaler kamen einander nahe - sie hatten Sex und zeugten sogar fruchtbare Nachkommen, wie eine DNA-Studie beweist. Menschen tragen demnach bis zu vier Prozent Neandertaler-DNA in ihrem Erbgut.

Zu folgern, der Neandertaler sei daher unser Vorfahr gewesen, sei jedoch Unsinn, sagt Johannes Krause, Mitautor der vorliegenden Studie.

Das Erbgut für die Untersuchung stammt aus sieben verschiedenen Knochenstücken, die in Kroatien, Spanien, Russland und im deutschen Neandertal gefunden wurden.

science.ORF.at: Worum ging es bei der Untersuchung?

Johannes Krause: Unser Hauptinteresse bestand darin herauszufinden, was moderne Menschen von unserem nächsten ausgestorbenen Verwandten unterscheidet. Der Neandertaler hat lange Zeit in Europa gelebt, vor 40.000 Jahren kam auch der moderne Mensch nach Europa. Unsere Studie zeigt: Homo sapiens hatte Gene im Gepäck, die es ihm ermöglichten, diese Gegenden sehr erfolgreich zu besiedeln.

Was unterscheidet uns genetisch vom Neandertaler?

Nur 0,2 Prozent der DNA. Wobei man dazusagen muss: Mensch und Schimpanse unterscheiden sich genetisch auch nur zu etwa einem Prozent. Wir haben einige Gene gefunden, die dem modernen Menschen vermutlich einen Vorteil in der Evolution verschafft haben. Die meisten davon hängen mit geistigen Fähigkeiten zusammen, es sind aber auch solche dabei, die mit dem Körperbau und dem Stoffwechsel zu tun haben.

Erstere werden laut Studien auch mit Autismus und Schizophrenie in Zusammenhang gebracht. Was sagt uns das konkret über die geistigen Fähigkeiten des Neandertalers?

Darüber können wir gar nichts sagen. Die genannten Krankheiten entstehen ja nur dann, wenn die entsprechenden Gene kaputt gehen. Das ist beim Neandertaler nicht der Fall - er war jedenfalls nicht autistisch oder schizophren. Was wir finden, ist: Diese Gene wurden offenbar beim Menschen besonders stark selektiert, beim Neandertaler aber nicht. Darum schließen wir, dass sie uns einen Vorteil verschafft haben.

Und es kam zu Kreuzungen zwischen beiden Arten.

Wir haben zu Vergleichszwecken auch fünf Genome von modernen Menschen sequenziert: von zwei Afrikanern, einem Europäer, einem Chinesen und einem Papua-Neuguineaner. Eigentlich hätten wir erwartet, dass alle fünf Menschen gleich weit vom Neandertaler entfernt sind. Stattdessen haben wir herausgefunden, dass nur die Nicht-Afrikaner zwei bis vier Prozent Neandertaler-DNA in ihrem Erbgut tragen - und dem Neandertaler daher genetisch näher stehen als die Afrikaner.

Es hat offenbar eine Vermischung zwischen modernem Menschen und Neandertaler gegeben, und diese Vermischung dürfte im Nahen Osten stattgefunden haben. Das war der Flaschenhals, durch den alle Menschen mussten, die Afrika verlassen haben.
Drei Neandertalerknochen
© UnbekanntDrei Neandertaler-Knochen aus der Vindija-Höhle in Kroatien. Aus ihnen stammt der Hauptanteil der Kern-DNA, die nun analysiert wurde.

Vermischung heißt: Sex.

Sie hatten nicht nur Sex, sondern haben auch fortpflanzungsfähige Nachkommen gezeugt. Esel und Pferd können beispielsweise auch Sex haben und sogar Nachkommen zeugen - aber Maulesel bzw. Maultier sind dann ihrerseits nicht mehr fortpflanzungsfähig.

Wann fand die Vermischung statt?

Wir können das auf eine 60.000 Jahre lange Periode eingrenzen: Die ältesten modernen Menschen aus dem Nahen Osten sind rund 100.000 Jahre alt, der Neandertaler lebte in dieser Region bis vor 40.000 Jahren. In Europa sehen wir übrigens diese Vermischung nicht, obwohl auch dort die beiden Menschenarten Tausende Jahre nebeneinander gelebt haben.

Sie haben nun DNA aus dem Zellkern analysiert. Frühere Studien hatten bereits die DNA der Neandertaler-Mitochondrien untersucht - und da lautete das Ergebnis: Es gab keine Kreuzung zwischen dem Neandertaler und uns.

Ja, damals gab es keine Anzeichen für eine Vermischung. Die DNA der Mitochondrien ist aber nur ein Puzzlestein, sie wird nur über die Mutter vererbt.

Die Gene aus dem Zellkern können daher durchaus eine andere Geschichte erzählen. Allerdings haben wir damals auch gesagt: Es ist möglich, dass bis zu 25 Prozent der Gene in unserem Zellkern vom Neandertaler stammen. Gefunden haben wir nun zwei bis vier Prozent.

Die These, dass sich Neandertaler und moderner Mensch gekreuzt haben könnten, wurde schon länger vom US-Anthropologen Erik Trinkaus vertreten. Er kam aufgrund von Knochenvergleichen zu diesem Schluss.

Im klassischen Bild ging man bisher davon aus, dass die Vermischung in Europa stattfand. Das bestätigt sich nun nicht. Manche Anthropologen haben auch bis in die 80er Jahre angenommen, die Bewohner von Papua-Neuguinea und Australien würden eine urtümliche Menschenform darstellen.

Auch dafür gibt es keine Belege, sie tragen genauso viele Neandertaler-Gene in ihrem Erbgut wie wir. Sie mögen vielleicht etwas stärkere Augenbrauenwülste als wir Europäer haben, aber das beweist nichts - die Morphologie kann auch nicht jede Frage beantworten.

Ein Mitautor der nun publizierten Studie, der Archäologe Ralf Schmitz, hat heute gegenüber der Deutschen Presseagentur gesagt: "Die Neandertaler sind unsere Vorfahren, daran ist jetzt nichts mehr zu rütteln." Was sagen Sie dazu?

Die Studie beweist, dass ein Teil der Neandertaler-DNA auch in uns Menschen steckt. Aber sie beweist nicht, dass der Neandertaler unser direkter Vorfahre war - das sind nach wie vor die modernen Menschen, die aus Afrika ausgewandert sind.

Finden Sie nicht, dass so eine Formulierung kolossale Verwirrung stiftet?

Es klingt plakativ, das muss ich auch sagen. Aber ich weiß auch nicht genau, was er gesagt hat. Vielleicht hat er sich im Interview hinreißen lassen.

Wie viele Prozent des Neandertaler-Genoms sind nun entziffert?

Manche Teile haben wir mehrfach analysiert, manche fehlen uns noch. Statistisch gesehen halten wir nun bei 70 Prozent. Man muss aber sagen: Bei 80 Prozent wird Schluss sein. Viel mehr werden wir nicht rekonstruieren können, weil die Fragmente in der fossilen DNA einfach zu klein sind.

Johannes Krause arbeitet am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

Die entsprechende Studie "A Draft Sequence of the Neandertal Genome" ist im Fachblatt Science (Bd. 328, S. 710) erschienen.

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