Medizinische Studien sind langwierig und teuer - extrem teuer. Da liegt es nahe, unerwünschte Ergebnisse zu frisieren oder gar nicht erst zu veröffentlichen: Gefährliche Betrügereien, die in der Branche gerne mal als Kavaliersdelikt runtergespielt werden.
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Ein konkretes Beispiel: An der Pandemie-Impfstoff-Studie von 2007 arbeiteten acht Autoren, drei davon waren Angestellte des Herstellers. Im Fazit der Studie wurde der sogenannte adjuvantierte Impfstoff, also der Impfstoff mit Wirkstoffverstärkern, als "gut verträglich" bezeichnet. Erst im Innenteil ist nachzulesen, dass der adjuvantierte Impfstoff deutlich schlechter abschneidet als der nicht-verstärkte Impfstoff. "Doch wer liest schon den Innenteil?" fragt sich Wolfgang Becker-Brüser, Arzt, Apotheker sowie Geschäftsführer des "arznei-telegramms".

Viele Studien sind seriös, sagt Gerd Antes, Direktor des Cochrane Zentrums in Freiburg. Er warnt aber auch, dass gewisse Schlampereien bei klinischen Studien als Kavaliersdelikt gelten würden: Die Versuchung, die Ergebnisse in eine gewisse Richtung zu lenken, sei "chronisch".

Millionen an Kosten: Das soll sich auszahlen
"Gerade, wenn man mit viel Herzblut über Jahre eine gewisse Richtung eingeschlagen hat, hängt man emotional so tief drin in diesem Bereich, da ist es schwer sich einzugestehen, dass man einen Irrweg verfolgt hat. Dann sind Forscher mit ihrer Karriere zu sehr verbunden, und dann gibt es natürlich auch enorme materielle Interessen. Wenn eine Firma mehrere 100 Millionen in die Entwicklung einer Präparate-Linie investiert hat, wird sie nicht gerne einsehen, dass das eine Fehlinvestition war und man diesen Weg schließen muss."

Gerd Antes, Direktor des Cochrane Zentrums in Freiburg
Was in den Schubladen verschwindet

Laut Antes werden die Hälfte aller weltweit durchgeführten Studien erst gar nicht veröffentlicht, weil die Ergebnisse nicht erwartungskonform sind. Der Biometriker fordert daher eine Publikationspflicht solcher Studien, denn die Gefahren können enorm sein: Allein schon festgestellte Nebenwirkungen, die nicht publiziert werden, stellen eine Gefährdung des Patienten dar. Und auch der finanzielle Schaden sei nicht zu vernachlässigen, wenn wirkungslose Therapien angeordnet werden.
"In Studien getestet"

Der Ausdruck "Studie" ist nicht geschützt: Auch, wenn nur eine handvoll Personen ein Produkt testen, darf sich das "Studie" nennen. Manch Nahrungsmittelhersteller nutzt diese Lücke, um Produkte als gesundheitsfördernd darzustellen. Zur Zeit wird in diversen Gerichtsverfahren untersucht, inwieweit Nahrungsmittelhersteller mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben dürfen.
Glatt gefälscht

Und dann gibt es noch die Studien, die komplett gefälscht sind, und das zum Teil von renommierten Wissenschaftlern. So habe laut Antes zum Beispiel der angebliche Pionier der Schmerzforschung, Scott Reuben, 21 Studien frei erfunden.

Medikamentenvergleichsstudien sind für Betrügereien geradezu ideal: Das neue Präparat erscheint im besten Licht, wenn das alte Medikament durch Über- oder Unterdosierung ohne Wirkung blieb, oder man nimmt gleich ein Placebo. Auch mit Korruption kann man ans Ziel kommen: Mediziner erhalten Honorare für pseudowissenschaftliche Marketingstudien oder Uni-Professoren lukrative Zusatzeinkünfte für gut bezahlte Vorträge auf Kongressen und Fortbildungen.

Politisches Handeln

Um das Dilemma wirksam angehen zu können, ist für Gerd Antes auch die Politik gefragt: So solle es deutlich mehr öffentlich finanzierte Studien mit offenem Ausgang geben. Studien also, die sich nicht an späteren Verdienstmöglichkeiten orientieren, sondern einzig und allein an der Wissenschaft.