Das Militär soll „an die Front", SMS-Dienste werden gekappt. Randalierer sollen aus Sozialwohnungen geworfen werden.

London. Der britische Premierminister David Cameron will die Jugendgewalt entschlossen bekämpfen und „keine Kultur der Angst auf den Straßen zulassen“. Beim Vorgehen gegen Randalierer würden keine Möglichkeiten ausgeschlossen, auch nicht der Einsatz von Wasserwerfern und Gummigeschossen, erklärte Cameron bei einer Krisensitzung des Parlaments. Auf den Londoner Straßen waren weiterhin Tausende Polizisten im Einsatz, die Lage blieb nach vier Tagen teils heftiger Krawalle weitgehend ruhig. „Wir werden nicht zulassen, dass uns ein paar Gewalttätige besiegen“, erklärte Cameron. Er räumte ein, dass zunächst zu wenige Polizisten auf den Straßen gewesen seien und kündigte eine schnelle Arbeit der Gerichte an, außerdem sollen die Opfer finanziell entschädigt werden.

Cameron will notfalls auch die Armee einsetzen, um der Polizei den Rücken freizuhalten. Die Regierung werde einen Militäreinsatz im Landesinneren prüfen, damit die Polizei ihre Kräfte künftig verstärkt „an der Front“ einsetzen könne, sagte Cameron. Die Regierung wolle es der Polizei zudem erleichtern, Vermummte zum Ablegen ihrer Maskierung zu zwingen. Für die Besitzer von beschädigten Geschäften und Wohnungen versprach Cameron eine rasche und unkomplizierte Entschädigung, auch wenn die Betroffenen keine Versicherung abgeschlossen hätten.

Der Premierminister kündigte eine kompromisslose Verfolgung und Bestrafung von Randalierern an: „Ihr werdet dafür zahlen, was ihr angerichtet habt.“ Die auf 16.000 Polizisten verstärkte Einsatztruppe in London solle über das Wochenende unverändert bleiben, um ein Wiederaufflammen der Krawalle in der Hauptstadt zu verhindern.

Cameron war wegen der Krawalle unter Druck geraten, den von seiner konservativ-liberalen Koalition eingeschlagenen Sparkurs bei Jugend- und Arbeitsmarktprogrammen zu lockern. Die Opposition sieht in den Einschnitten auch einen Grund für den jüngsten Gewaltausbruch.

Der Premier sagte, Polizei und Geheimdienste prüften derzeit, ob Online-Netzwerke und der Versand von Kurzmitteilungen über Mobiltelefone eingeschränkt werden könnten, über die die Ausschreitungen teilweise organisiert wurden, sagte der Regierungschef. Nach Angaben eines Gewährsmannes kommt außerdem ein für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr geplantes Programm zur Gesichtserkennung zum Einsatz, mit dem Verdächtige anhand von Fotos identifiziert werden sollen.

Bei der Bekämpfung von Bandenkriminalität will sich die Regierung laut Cameron auch an Beispielen aus dem Ausland orientieren. So hätten Städte wie Boston ein ähnliches Problem. Konkret nannte er den früheren Polizeichef von Los Angeles und New York, Bill Bratton, der möglicherweise helfen könne. London werde sich aber auch der tieferen Probleme annehmen, die bei den Krawallen eine Rolle gespielt hätten, erklärte Cameron weiter.

Seit Beginn der Krawalle am Sonnabend wurden bisher allein in London mehr als 920 Menschen festgenommen. Bis zum Donnerstagabend sei mit Hunderten weiteren Festnahmen zu rechnen, teilte die Polizei mit. Landesweit befanden sich inzwischen fast 1200 Menschen in Polizeigewahrsam. Zahlreiche Häuser und Wohnungen wurden am Donnerstag durchsucht. Die verstärkte Polizeipräsenz in London sollte noch für mindestens eine Nacht beibehalten werden.

In der Hauptstadt war die Lage weiter angespannt, die Gerichte arbeiteten rund um die Uhr, um Verdächtige abzuurteilen. Bei ihnen handelte es sich um mutmaßliche Plünderer, aber auch um Personen, die über Twitter und Facebook zur Gewalt aufgerufen haben sollen.

Tausende Menschen haben eine Internet-Petition an die Regierung unterstützt, in der gefordert wird, dass Randalierer und Plünderer ihr Recht auf Sozialhilfe verlieren sollten. Sobald Straftäter, die von Sozialhilfe lebten, verurteilt seien, sollten die Zahlungen eingestellt werden, heißt es in der Petition, die auf der Internetseite von Downing Street 10 einzusehen ist. Sollten 100.000 Menschen unterschreiben, könnte dies einen Prozess in Gang setzen, an dessen Ende das Parlament über das Thema debattieren könnte. Am Nachmittag hatten rund 95.000 Menschen unterschrieben. Cameron regte außerdem an, Straftäter aus ihren Sozialwohnungen herauszuwerfen.

dapd/dpa/abendblatt.de