Es scheint, als gelte der eherne Grundsatz nicht mehr, dass es jeder neuen Generation immer noch etwas besser geht als den Eltern. Müssen wir uns also bald von der Mittelschicht verabschieden?

Eine neu erschienene Studie aus den USA hat mich jüngst schockiert. Darin wurde untersucht, ob die heute Vierzigjährigen, also die Kinder der Babyboomer, wie ihre Eltern der Mittelschicht angehören. Das Ergebnis war erschreckend: knapp ein Drittel der Befragten verdienen bedeutend weniger als ihre Eltern im vergleichbaren Alter - oder sind sogar in die Unterschicht abgerutscht. Wie kann das sein? Gilt der eherne Grundsatz denn nicht mehr, dass es jeder neuen Generation durch zusätzliche Möglichkeiten und Bildungschancen immer noch etwas besser als den Eltern geht? Die Babyboomer haben ihren Kindern alles geboten: Bildung, Geld, Freiheit. Welcher Logik folgt nun heutzutage der soziale Auf- und Abstieg? Den Fieberkurven der Börsen?

Durch das wachsende Wohlstandsgefälle und die stagnierenden Einkommen schwindet die Mittelschicht. Das Individuum verliert die eigene Möglichkeit, sein Schicksal zu gestalten. Alles unterliegt der Macht von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Noch erschreckender als die Tatenlosigkeit der Politik ist die Tatsache, dass die Daten für die Studie noch vor Beginn der Finanzkrise 2008 erhoben wurden. Meine Vermutung ist, dass sich die Situation der Mittelschicht mittlerweile noch dramatisiert hat. Doch statt sich dieser Problematik zu stellen, streitet die Politik darüber, ob es angemessen ist, dass Menschen, die über eine Million Dollar durch Kapitalerträge im Jahr verdienen, einen moderaten Mindeststeuersatz bezahlen sollen. Denn schließlich zahlen diese Leute meistens weitaus weniger Steuern als der Durchschnittsbürger, begünstigt durch staatliche Regelungen. In den letzten Wochen haben die republikanischen Präsidentschaftsbewerber Obama ernsthaft unterstellt, dass er im marxistischen Sinne einen Klassenkampf gegen die Reichen führe. Die Schere zwischen arm und reich bleibt also weiterhin weit offen.

Die Lage in Deutschland ist zwar nicht ganz so dramatisch, doch auch hierzulande ist die Mittelschicht gefährdet. Die heute 30-jährigen sind durch befristete Verträge und Praktika an prekäre Arbeitsverhältnisse gebunden. Ihre Elterngeneration hatte meist im vergleichbaren Alter schon einen unbefristeten Job, eine Familie und wahrscheinlich auch ein Häuschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass es in Deutschland heutzutage oft die Eltern sind, die ihren Kindern Eigentumswohnungen kaufen. Letztlich ist anzunehmen, dass nur Wenige das sozial-ökonomische Niveau der Eltern erreichen werden - trotz exzellenter Ausbildung mit Auslandsstudium und höheren Bildungsabschlüssen. Über alle Parteien hinweg wird die soziale Gerechtigkeit gepredigt, aber sie tun nicht genug für eine Generationsübergreifende Gerechtigkeit und dies muss gelingen damit hier keine amerikanischen Verhältnisse herrschen. Müssen wir uns also auch bald in Deutschland von der Mittelschicht verabschieden?

Marek Dutschke, geboren 1980, ist der Sohn von Rudi Dutschke, Wortführer der Studentenbewegung in den 60er-Jahren. Zuletzt war Marek Dutschke an der Hertie School of Governance und am John F. Kennedy Institut der Freien Universität Berlin tätig.