Der Kampf gegen Militär-Suizide scheint verloren: Einer Studie zufolge macht alle 36 Stunden ein US-Soldat, der in Afghanistan oder dem Irak diente, einen Selbstmordversuch.
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© dapdEin US-Soldat bei einem Manöver. Allein im Jahr 2009 wurden 1868 Selbstmordversuche von amerikanischen Kriegsveteranen registriert

Es ist der 4. Juli 2011, der amerikanische Unabhängigkeitstag, als Ian McConnell seinem Leben ein Ende setzt. Der US-Soldat aus Woodbury (Kalifornien) war mit seinen 24 Jahren bereits ein Veteran zweier Kriege, die sein Land führte. Als Soldat der US-Marines diente McConnell im Irak und in Afghanistan. Wie ein Freund auf einer Internetseite berichtet, war McConnell zuletzt von April bis November 2010 in der südafghanischen Provinz Helmand stationiert - als Mitglied eines Bomben-Räumkommandos.

Was McConnell während seiner Zeit im gefährlichen Süden Afghanistans erlebte und sah, war offenbar zu viel für die Psyche des jungen Amerikaners. Er entschied sich für den Freitod, schoss sich in den Kopf.

Der Marine Ian McConnell ist nur ein Beispiel unzähliger ehemaliger und aktiver US-Soldaten, die in Depressionen und Angstzustände verfallen und ihrem Leben ein Ende setzen. Allein im vergangenen Juli, dem Monat, in dem sich auch McConnell erschoss, nahmen sich insgesamt 33 US-Soldaten das Leben - ein trauriger Rekord.

Rapider Anstieg seit Beginn der Kriege in Irak und Afghanistan

Eine neue Studie aus den USA mit dem Titel "Losing the Battle - The Challenge of Military Suicide" belegt nun, dass die Zahl von Militär-Suiziden mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen hat.

Seit dem Beginn der Kriege in Afghanistan und Irak steigt die Zahl der Soldaten-Selbstmorde rapide an. Dem amerikanischen Verteidigungsministerium fehlt es offenbar an effektiven Präventivmaßnahmen.

Die Brisanz der Entwicklung zeigt ein Blick in die Statistik. Zwischen 2005 und 2010 beging im Durchschnitt alle 36 Stunden ein noch aktives Mitglied des US-Militärs einen Suizidversuch. In der Gruppe der Veteranen erfolgte durchschnittlich sogar alle 80 Minuten ein Selbstmordversuch, heißt es in die Studie des "Center for a New American Security".

20 Prozent der Selbstmörder sind Kriegsveteranen

Obwohl nur 1 Prozent der US-Bevölkerung im Militär gedient hat, machen Kriegsveteranen rund 20 Prozent aller Suizide aus. Alleine im Jahr 2009 wurden 1868 Selbstmordversuche von amerikanischen Kriegsveteranen registriert. Im Jahr 2009 nahmen sich laut offizieller Statistik 309 aktive Soldaten das Leben. Im Jahr 2001 waren es noch 160.

Viele der aus Afghanistan und dem Irak heimgekehrten Soldaten leiden unter dem Post-Traumatischen Belastungssyndrom, Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Kameraden. Das Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden, das Fehlen der Kameradschaft und die Distanz zwischen Kriegsheimkehrern und Zivilisten sind häufig entscheidende Problemfaktoren bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Gefühl der Nutzlosigkeit nach der Rückkehr

Die Faktoren, die einen Menschen normalerweise vom Freitod abhalten - das Gefühl gebraucht zu werden, Zugehörigkeit und Angst vor Tod und Schmerz - würden durch einen Kriegseinsatz beinahe vollständig zerstört, analysieren die Autoren der Studie.

Schmerz und Todesangst seien in Kriegsgebieten allgegenwärtig und führten dazu, dass Soldaten zunehmend abstumpfen. Die Zugehörigkeit und Kameradschaft fielen häufig weg, sobald die Soldaten in das alte Umfeld der Heimat zurückkehren. Folgt dann noch, wie in so vielen Fällen der Heimkehrer die Arbeitslosigkeit, setze das Gefühl der Nutzlosigkeit ein - die Folge seien Depressionen bis hin zum Suizid.

Viele Soldaten verzichten auf professionelle Hilfe

Erschreckend ist außerdem die Erkenntnis, dass die meisten suizidgefährdeten Kriegsveteranen nur in wenigen Fällen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Ein Großteil der Selbstmörder aus Militärkreisen erhielt vor seinem Freitod keine psychologische Therapie.

Nach einer Statistik des US-Verteidigungsministeriums verzichteten bis zu 43 Prozent der Soldaten, die sich 2010 das Leben nahmen, kurz vor ihrem Tod auf psychologische Betreuung.

Dabei gebe es ausreichend Bedarf für mehr Therapiemöglichkeiten. Die als Anlaufstelle für leidende US-Militärangehörige im Jahr 2007 eingerichtete "Veteran Crisis Line" hat bislang über 144,000 Anrufe erhalten. Nach eigenen Angaben konnten die Mitarbeiter der Telefon-Seelsorge bis zu 7,000 Soldaten und Soldatinnen vor dem Suizid bewahren.

Düsteres Fazit - Amerika verliert den Kampf gegen Suizide

Um jedoch Selbstmorde von Soldaten noch effektiver präventiv zu verhindern, müssten einige Maßnahmen verstärkt werden, raten die Autoren der Suizid-Studie. Beispielsweise sei es von Vorteil, Militäreinheiten nach der Stationierung im Ausland bis zu 90 Tage weiterhin im Gruppenverband zu belassen, um Integrationsprobleme der Soldaten in der Heimat zu verhindern und das Zugehörigkeitsgefühl zu erhalten. Der Wegfall von Kameradschaftlichkeit sei ein entscheidender Auslöser, der in die Depression führe.

Hilfreich sei außerdem eine genauere Analyse der Selbstmordfälle, um etwaige weitere Problemhelfer auszumachen. Zudem müsse die Gesetzesregelung des privaten Schusswaffen-Besitzes neu diskutiert werden. In den USA darf die Regierung keine Informationen über den privaten Waffenbesitz unter Veteranen sammeln.

Dafür gebe es allerdings gute Gründe: Immerhin wurden 2010 knapp die Hälfte aller Militärsuizide nicht mit Dienstwaffen, sondern mit privaten Schusswaffen begangen.

"Amerika verliert gerade den Kampf gegen Suizide bei Veteranen und aktiven Militärs", so das düstere Fazit der neuen Studie, "Und da immer mehr Truppen aus dem Einsatz zurückkehren, wird das Risiko nur weiter steigen."