Zwanzig Minuten kuscheln am Tag, vor allem während der kalten Jahreszeit, soll vor depressiven Verstimmungen und psychosomatischen Erkrankungen schützen. Das sagt der Wiener Arzt Cem Ekmekcioglu. Sein aktuelles Buch handelt von Berührungen.
Kuscheln

„Eine schwere Depression kann man mit Kuscheln natürlich nicht behandeln, aber angenehme Berührung bedeutet Stressreduktion und mehr Wohlbefinden“, sagt Ekmekcioglu, der am Institut für Physiologie an der Medizinischen Universität Wien beschäftigt ist. Streicheleinheiten wirken sich positiv auf die Hormonausschüttung aus: Das Stresshormon Cortisol wird durch Kuscheln reduziert, die Produktion von Oxytocin wird angeregt. „Dieses Hormon wird bei liebevollen Berührungen ganz gemächlich, beim Orgasmus in hohen Dosen ausgeschüttet“, schreibt der Mediziner in dem Buch „Der unberührte Mensch“.

Das Kuschelhormon

Oxytocin werde auch als Kuschel-Hormon bezeichnet. Paare, die sich häufiger umarmen und gegenseitig massieren, haben höhere Oxytocin-Werte als Paare, die das seltener tun. Das Hormon helfe auch, Spannungen und Ärger zwischen den Partnern zu dämpfen.

„Die heutige Gesellschaft leidet an chronischem Berührungsmangel“, sagt Ekmekcioglu. Singles schütteln maximal ihren Geschäftspartnern die Hand, aber auch Menschen in festen Beziehungen erfahren oft kaum mehr Berührungen. „Körperlichkeit wird auf den Bereich der Sexualität reduziert - und deren Intensität nimmt mit den Jahren ab“, sagt der Mediziner.

Studien belegen, dass Berührungen lebenswichtig für die psychomotorische Entwicklung eines Kindes sind, ebenso wie Atemluft und Nahrung. „Kinder haben auch einen sehr natürlichen Zugang zum Kuscheln und fordern das vehement ein“, sagt Ekmekcioglu. Mit zunehmendem Alter beginne man, sich mit Kuschel-Wünschen zurückzuhalten. „Zu den gesellschaftlichen Zwängen kommen Stolz- und Schamgefühle“, sagt Ekmekcioglu. Das verhindere, dass wir Lebensenergie in Form von Hautkontakt tanken.

Ältere Menschen werden oft gar nicht mehr berührt. „Dabei wäre das besonders wichtig“, sagt Christine Hertl, Oberärztin in der Landesnervenklinik. Sie arbeitet mit Demenz-Patienten und weiß: „Berührungen sind bei uns Teil der Therapie, sie machen die Patienten ruhiger und entspannter.“ Berührungen seien aber auch wichtig für die Kommunikation. „Gesprochene Worte kommen oft nicht mehr an, mit sanftem Druck kann man die Patienten aber zum Beispiel in eine Richtung lenken“, sagt Hertl. Jeder Ruf eines Patienten sei der Wunsch nach Halt und Sicherheit. „Wenn dann jemand seine Hand nimmt, ist er gleich weniger ängstlich.“

(ried)

Buchtipp:

Cem Ekmekcioglu/Anita Ericson: Der unberührte Mensch, edition a, 19,95 Euro.