Neuer Skandal um Medizin-Fachblätter: Ein Pharmakonzern ließ positive Artikel über Hormonersatz-Therapien von Ghostwritern schreiben - und von Forschern unter ihrem Namen in den Journalen plazieren. Auch dann noch, als das Brustkrebs-Risiko für Frauen bereits bekannt war.

Jahrelang schluckten Millionen Frauen Hormone - als vermeintlich einfache, aber wirksame Therapie gegen Hitzewallungen, Herzrasen und Schweißausbrüche in den Wechseljahren. Was kaum ein Arzt und noch weniger Frauen ahnten: Indem die Patientinnen ihre Beschwerden mit Hormonpräparaten linderten, erhöhten sie das Risiko für Brustkrebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Demenz.
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Eine entscheidende Rolle in dieser rückblickend gefährlichen Verschreibungspraxis hat offenbar der US-amerikanische Konzern Wyeth gespielt. Die zu den zehn weltweit größten Pharmaunternehmen gehörende Firma hat auf dem US-Markt mit den Hormonersatz-Präparaten Premarin und Prempro riesige Umsätze erzielt - im Jahr 2001 allein zwei Milliarden Dollar. Wie die "New York Times" jetzt berichtet, hat der Konzern hohe Summen an PR-Firmen bezahlt, die positiv über die Vorteile der Hormon-Ersatztherapie (HRT) geschrieben und Risiken heruntergespielt haben. Anschließend hätten Mediziner ihre Namen über die bereits fertigen Berichte gesetzt.

Gerichtsdokumente belegen laut "New York Times", dass auf diese Weise 26 wissenschaftliche Veröffentlichungen in 18 medizinischen Fachmagazinen zustande kamen. Pikant daran ist, dass mehrere der betroffenen Blätter im renommierten Elsevier-Verlag erscheinen - der erst vor einigen Wochen in die Schlagzeilen geriet, weil er ganze Pseudo-Fachblätter von Pharmafirmen finanzieren ließ. Der Verlag zeigte sich offenbar bestürzt über die Vorfälle und wolle eigene Ermittlungen anstellen, so die "New York Times".

Finanzierung durch Pharmafirma blieb verdeckt

Bei den nun in die Kritik geratenen Ghostwriter-Artikel handelte es sich laut "New York Times" meist um Übersichtsarbeiten, die mehrere Studien auswerteten und zu einem positiven Fazit kamen. Publiziert wurden sie offenbar unter anderem in renommierten Fachblättern wie dem "American Journal of Obstetrics and Gynecology" und dem "International Journal of Cardiology". Aufgedeckt wurde der Schwindel dem Bericht zufolge von Rechtsanwälten, die Wyeth wegen anderer Sachverhalte bereits im Visier hatten.

In den Artikeln soll mit keinem Wort erwähnt worden sein, dass die eigentlichen Urheber der Texte von Wyeth bezahlte PR-Schreiber waren. Stattdessen verschleierte das Unternehmen diesen Vorgang offenbar gezielt: Nachdem die Texte verfasst waren, trat Wyeth an Experten aus den jeweiligen Fachgebieten heran und bat diese, die Artikel mit ihrem Namen zu unterzeichnen. Nicht selten sollen die Mediziner dies anstandslos getan haben - mitunter sogar ohne jegliche Verbesserungen oder Einwände.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist laut "New York Times" eine Publikation über die Therapie von nächtlichen Schweißausbrüchen und Hitzewallungen während der Wechseljahre. Die Firma Design Write hat demnach 2003 einen 14-seitigen Entwurf verfasst, dafür 25.000 Dollar kassiert und ihn Gloria Bachmann, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Robert Wood Johnson Medical School in New Jersey, geschickt. Die Expertin war offenbar zufrieden mit dem Manuskript und antwortete: "Ich hatte nur eine Verbesserung, die ich rot markiert habe."

Brustkrebs nach Hormonersatztherapie

Zwei Jahre später erschien der Artikel mit fast identischem Wortlaut im "Journal of Reproductive Medicine." In ihm wird die Hormon/Ersatztherapie als "Goldstandard" bei der Behandlung von Schweißausbrüchen und Hitzewallungen bezeichnet.
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Das Skandalöse: Bereits drei Jahre zuvor hatten seriöse Untersuchungen ergeben, dass die Gabe von Hormonen an gesunde Frauen in der Menopause gefährlich sein kann. Die amerikanische Langzeitstudie "Women's Health Initiative" (WHI) mit 17.000 Teilnehmerinnen musste im Jahr 2002 abgebrochen werden, weil sich die Risiken der Hormongabe als höher herausstellten als der medizinische Nutzen. Die untersuchten Präparate erhöhten das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich. Behörden für Arzneimittelsicherheit weltweit empfehlen die Therapie seitdem nur noch bei schweren Wechseljahrsbeschwerden und in Ausnahmefällen, etwa bei Osteoporose.

Ein Wyeth-Sprecher sagte der "New York Times", die von der Firma gesponserten Artikel seien wissenschaftlich korrekt gewesen. Zudem sei es gängige Praxis, dass Pharmafirmen PR-Agenturen beauftragten, um Autoren beim Verfassen von Fachartikeln zu unterstützen. Allerdings hat das Unternehmen seine Praxis nun mittlerweile in einem Detail verändert: Zwar bezahlt es noch immer Kommunikationsfirmen für das Verfassen von Fachartikeln. Doch nach Angaben eines Wyeth-Anwalts wird seit 2006 in den Publikationen darauf hingewiesen, wenn die Firma die Arbeit finanziell unterstützt hat.


Kommentar: Lassen Sie mich den oberen Absatz übersetzen: "Obwohl wir schwerwiegende Nebenwirkungen verschwiegen und das Präparat nicht ausgiebig getestet haben, entsprechen unsere von Ghostwriter geschriebenen Artikeln, dennoch der wissenschaftlichen Norm. Und überhaupt, warum regt ihr euch alle denn so auf? Das macht doch jeder, es ist gängige Praxis in unserer Branche. Aber OK. Wenn es solch hohe Wellen schlägt, ändern wir unsere Praxis um ein kleines Detail. Wir verschweigen immer noch manch Nebenwirkung und lassen Ghostwriter weiterhin Artikeln verfassen, ABER es wird darauf hingewiesen, dass wir die Arbeit mit einer kleinen Finanzspritze, unterstützt haben."

WOW! An Arroganz nicht zu übertreffen!

Ein Problem aber bleibt: Ärzte müssen sich auf das verlassen, was in wissenschaftlichen Publikationen steht. Die Fachzeitschrift "PLoS Medicine" beschäftigte sich erst kürzlich mit dem Problem von Ghostwritern in medizinischen Publikationen. "Ghostwriting ist eine wissenschaftliche Irreführung, die entsprechend behandelt werden sollte", schrieb Peter C. Gøtzsche, Direktor des Nordic Cochrane Center in Kopenhagen. Wissenschaftliche Kommunikation basiere auf Vertrauen. Es sollte Forschern erlaubt sein, zu glauben, was sie lesen und darauf zu vertrauen, wenn sie Experimente planen und Patienten behandeln wollen. "Leider ist das nicht möglich", so Gøtzsche, "Interessenskonflikte gibt es überall. Pharmafirmen verdienen mit Hilfe von fehlerhaften Studien, Artikeln und Übersichtsarbeiten Milliarden von Dollar."

Einige Verlage und Fachmagazine scheinen mittlerweile dazugelernt zu haben: Sie fordern von ihren Autoren genaue Angaben darüber, wie ihre Artikel entstanden ist, woher die Zahlen stammen, welche Rolle sie selbst bei der Forschung gespielt haben und ob es Interessenkonflikte gibt. Doch viele Magazine haben diesen Schritt noch vor sich.