Der Erziehungswissenschaftler Olaf-Axel Burow erklärt im Gespräch mit der "Presse", warum Schule und Glück zusammengehören und angehende Lehrer eine Weltreise machen sollten.

Die Presse: Wenn in Österreich über Schulreformen diskutiert wird, kommt das Wort „Glück“ eigentlich nie vor. Woran liegt das?

Olaf-Axel Burow: Glück und Schule passen auf den ersten Blick nicht zusammen - obwohl sie zusammengehören. Lernen funktioniert nur in einer Situation, in der man entspannt ist, in der man sich gut fühlt. Das Gehirn ist eine „Lustmaschine“. Insofern müsste die Schule eine „Lustanstalt“ sein. Für viele ist sie aber eine Frustanstalt. Nur Schüler, die einen guten Bildungshintergrund haben, überleben das System.

Sind zumindest die Lehrer glücklich?

Auch Lehrer sind in weiten Teilen im Belastungsmodus oder sogar im Burn-out. Das bedeutet, dass irgendetwas daran, wie wir Schule seit 150 Jahren machen, nicht mehr zeitgemäß ist.

Wo liegt das Unglück begraben?

Es fehlt an Wertschätzung, und es gibt eine zu starke Außensteuerung. Es wird zu sehr an bürokratischen Organisationsformen festgehalten. Das Problem ist: Wir haben immer noch ein Schulsystem, dass an der Fließbandproduktion des ausgehenden 19. Jahrhunderts orientiert ist: Schüler werden nach Alterskohorten sortiert, die fließbandmäßig vorrücken, wobei der „Ausschuss“ aussortiert wird.

Was bedeutet das?

Unsere traditionelle Schule basiert auf einem falschen Denkansatz. Nämlich auf dem, dass Kinder nicht vertrauenswürdig sind, dass sie nicht lernen wollen, wenn kein Druck ausgeübt wird. Das Gegenteil ist aber der Fall: Noten zerstören die Lernmotivation, weil sie extrinsisch sind. Wenn geeignete Umgebungen geschaffen werden, kann man gar nicht verhindern, dass Kinder lernen.

Viele befürchten bei der Abschaffung von Noten einen Verfall der Leistung.

Völliger Quatsch. Leistung entsteht immer dann, wenn jemand sein Element findet, einen Rahmen, in dem er seine besondere Begabung leben kann. Das Hauptproblem ist, dass das ideologisiert wird. Und: Vor dem Hintergrund, dass wir in einer Gesellschaft schwindender Ressourcen und der Überalterung leben, gibt es Verteilungskämpfe. Natürlich versuchen jetzt die bessergestellten Schichten, die Aufstiegschancen für ihre heranwachsenden Kinder zu sichern. Wir haben das in Hamburg gesehen, wo die Schulreform (gemeinsame Schule bis zur zehnten Schulstufe, Anm.) am Widerstand der betuchten Bürger gescheitert ist, die eine Bürgerinitiative gegen die Gemeinschaftsschule gestartet haben.

Wie kann sich dann die Schule überhaupt verändern?

Es braucht mehr Autonomie. Man muss die Schule von politischer Bevormundung befreien und eine Umgebung schaffen, die es den Beteiligten ermöglicht, die Schule individuell, passend für ihre Situation, zu konzipieren und zu gestalten. Das kann man nicht verordnen. Wir wissen, dass es zehn Jahre dauert, bis eine Maßnahme, die sich ein Ministerium ausdenkt, in der Schule ankommt. Wenn man bedenkt, wie viele bürokratische Vorschriften es gibt: Das ist alles unnötig, das kann man alles wegwerfen. Man braucht einige wenige Rahmenregeln - und dann muss man stärker mit Vertrauen und Wertschätzung arbeiten.

Sie sprechen von Vertrauen und Wertschätzung - in Österreich wurde zuletzt über strengere Durchgriffsmöglichkeiten für Lehrer diskutiert.

Wenn sich Schüler problematisch benehmen, dann ist das zum Teil Ausdruck von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Wir haben es mit Formen von Wohlstandsverwahrlosung zu tun. Wenn man aber einen Rahmen schafft, in dem der Einzelne ernst genommen wird und gemäß seinen Fähigkeiten durch sinnvolle Ziele herausgefordert wird, dann funktioniert das in der Regel.

Eine Sache, die nicht autonom geregelt werden kann, ist die Lehrerausbildung. Wie sollte die aussehen?

Die Lehrerausbildung - und ich bin ja selbst Lehrerausbildner - ist zumindest in Deutschland grottenschlecht. Dort gibt es mehrere Probleme, die aber durchaus auch auf Österreich zutreffen. Die Eingangsvoraussetzungen gehören zum Beispiel reformiert: Zu viele Leute, die für den Beruf nicht geeignet sind, werden Lehrer. Außerdem werden sie viel zu früh Lehrer, sie müssten davor etwas anderes gemacht haben: eine Weltreise, einen anderen Beruf gelernt oder sonst etwas. Der Weg vom Kindergarten über die Schule und die Uni zurück in die Schule funktioniert nicht. Man könnte auch dadurch kreativere Mischungen entstehen lassen, indem man den Lehrerberuf für Menschen aus anderen Berufsfeldern öffnet.

(Die Presse, Print-Ausgabe, 09.01.2012)