Pennebaker
© Marsha MillerDr. James Pennebaker
Ärger mit dem Freund, Trauer um einen lieben Menschen - viele tragen Kummer dieser Art viel zu lange mit sich herum. Schreiben kann helfen, sich über das Geschehene klar zu werden und mehr Distanz dazu finden.

Wer den Psychotherapeutenspruch „Gut, dass wir darüber geredet haben“ belächelt, weil das Gespräch möglicherweise folgenlos bleibt, findet vielleicht im Schreiben eine Alternative. Das Verfassen von autobiografischen Texten als Teil der Psychotherapie geht schon auf Alfred Adler (1870 - 1937) zurück - und damit auf die frühe Zeit der modernen Psychologie.

Inzwischen hat sich nachweisen lassen, dass dem Schreiben über Erlebnisse, die mit starken Emotionen verbunden sind, geradezu magische heilsame Kräfte innewohnen. Darauf vertrauen auch der Berliner Sozialisationsforscher Lutz von Werder und seine Mitautorinnen, die einen neuen Ratgeber unter dem Titel Die heilende Kraft des Schreibens im Patmos-Verlag (Ostfildern bei Stuttgart) vorgelegt haben.

Schreiben hilft Klären

Das Aufschreiben von Erinnerungen, Gefühlen, Assoziationen ist im 20. Jahrhundert rasch Teil der Psychotherapie geworden. Die Verschriftlichung zwingt den Geist zum Nachdenken, zur Arbeit, zur Klärung verschütteter Vorgänge und Erlebnisse. Durch verschiedene Methoden lässt sich der Prozess vertiefen. So kann man sich etwa einem Duft aus seiner Kindheit aussetzen, um von da aus assoziativ die Gefühls- und Erlebniswelt seiner jungen Jahre zu beschreiben.

Einen Schub hat die Schreibtherapie in den 1990er Jahren durch den amerikanischen Sozialpsychologen James W. Pennebaker erhalten. Er ließ Probanden über traumatische Ereignisse in ihrem Leben kurze Texte abfassen. Die Folgen waren verblüffend: Alleine diese Schreibübung führte dazu, dass die Probanden ein messbar gestärktes Immunsystem hatten, danach seltener einen Arzt aufsuchten und generell über ein höheres seelisches Wohlbefinden berichteten. Weiterführende Arbeiten legen den Schluss nahe, dass das Schreiben andere Hirnregionen aktiviert als das Reden - insofern hat der Schreibtisch gegenüber der Therapeutencouch einige bis dahin nicht gekannte Vorzüge.

In den Genuss dieser Vorzüge sollen die Leser des Schreibtherapie-Ratgebers kommen, wenn sie sich auf die dargestellten Methoden samt Übungen einlassen. Dazu gehört etwa die freie Assoziation, bei der von einem festen Ort aus - zum Beispiel einem Baumhaus, in dem man als Kind gerne gespielt hat - Erinnerungen aufgeschrieben werden, und zwar völlig frei und möglichst wenig eingeschränkt durch Bewertungen oder andere Scheren im Kopf.

Bewährt hat sich auch das Clustering (Cluster; zu deutsch: Zusammenballung, Haufen), das in verschiedene Richtungen Assoziationsketten aufbaut. Wenn ich über mich selbst ein Cluster anlege, verfolgt ein Strang meine Herkunftsfamilie, ein anderer meine Gesundheit, ein anderer meine größten Erfolge. Aus diesen Strängen aneinandergereihter Stichworte lassen sich dann literarische Texte verfassen.

Umgang mit Gefühlen

Diese Schreibmethoden sind kein Selbstzweck, sie haben vielmehr eine therapeutische Absicht. Sie folgen einem Dreischritt, den schon Sigmund Freud (1856 - 1939) vorgegeben hatte: Erinnern - Wiederholen - Durcharbeiten. Durch das Erinnern erfahre ich mehr über mich, durch das Schreiben wiederhole ich alte Muster und kann sie besser deuten. Im Durcharbeiten - etwa im Verfassen einer Kurzgeschichte oder eines Märchens über meine Situation - lerne ich einen besseren Umgang mit meinen Gefühlen und meiner Lebenssituation.

Der Ratgeber des Autorentrios geht auch der Traumdeutung nach, ermutigt zu einem reflektierten Umgang mit den eigenen Träumen, zeigt aber gleichzeitig Grenzen auf. Die symbolische Bedeutung der inneren Bilder sei zu großen Teilen „hoch individuell“, heißt es dort. Gerade in schwierigen Zeiten gäben Träume aber oft Fingerzeige zum Umgang mit einer Krise.

Klar machen die Verfasser dieses Kurses, dass Schreiben nur eine Übung und noch keine Psychotherapie sei. Der obligatorische Warnhinweis fehlt nicht, dass man eine psychotherapeutische Praxis aufsuchen solle, wenn man sich psychisch instabil oder nicht gesund fühle. Die eigentliche Hoffnung des Ratgebers ist aber unausgesprochen, dass die Leser konsequent die angebotenen Übungen machen und am Ende sagen: „Gut, dass wir darüber geschrieben haben.“

Vielen mag das Schreiben in der Schule zwar durch Aufsätze verleidet worden sein. Dennoch lohnt es sich, verschüttete Fähigkeiten wieder zu wecken und bei Themen, die die eigene Seele sehr belasten, genauer nachzuspüren. Ob Gedichte, Tagebücher oder einfache Texte der bessere Weg sind, muss jeder selbst entscheiden. Manche bevorzugen das Schreiben von Gedichten, da sie oft einen kreativeren Umgang mit dem Empfundenen möglich machen. Manchmal lohnt sich auch ein Perspektivwechsel, um zu erforschen, wie sich das Erlebte aus Sicht eines anderen bewerten lässt. Das gilt es auszuprobieren. Das Schöne ist ja: Wer schreibt, muss seine Texte niemandem zeigen. Sie bleiben ein verschwiegener Zuhörer, der den Schreiber dahinter niemals verrät.

Buchtipp:

Brigitte Schulte, Barbara Schulte-Steinicke, Lutz von Werder:

Die heilende Kraft des Schreibens. Patmos, 14,90 Euro.