Zahlreiche Medienmeldungen lassen regelmäßig aufhorchen: Dramatische Auflagenverluste beim Spiegel. Auch im Januar 2012 wurde gemeldet: Der Spiegel hatte weiter ausgebaut - seine Verluste! Im letzten Quartal 2011 lag die verkaufte Auflage des Nachrichtenmagazins damit bei 927.561 Exemplaren. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Auflage um 4,8 Prozent zurück, während im zweiten und dritten Quartal der Rückgang noch bei 3,4 beziehungsweise bei 4,1 Prozent gelegen hatte. Der stete Fall des Spiegel fand damit eine weitere Fortsetzung. Das, was das Flaggschiff einst ausmachte, ist verblasst: seine Einzigartigkeit. Die Gründe.
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Viele spektakuläre Enthüllungen gehen auf das Konto des einstigen Leitmagazins - Rücktritte und Stürze von Politikern, Unternehmern und anderen Personen der Öffentlichkeit wurden häufig durch Spiegel-Recherchen ausgelöst. Gefürchtet und geachtet, war Deutschlands Nachrichtenmagazin Nummer eins fast Pflichtlektüre an jedem Montagmorgen.

Was ist davon heute noch übrig? Nicht mehr viel. Das, was den Spiegel einst ausmachte, ist verblasst: seine Einzigartigkeit. Seit Jahren berichtet das Wochenmagazin kaum anders als der Rest der meisten Presseorgane: Die gleichen Geschichten, ähnliche Einschätzungen, derselbe politisch korrekte Tenor. Es sind selbstverständlich keine konservativen Standpunkte, sondern Unterstützungshilfe auf der ganzen Linie für die rot-grün-linken Umerziehungsversuche, um aus Deutschland und Europa eine andere, neue Welt zurechtzubasteln, die zwar langfristig nicht funktionieren kann, weil sie sämtliche Überlebensmechanismen einer Gesellschaft aushebelt, doch wen stört das schon? Man lebt und berichtet im Hier, Jetzt und Heute, und schert sich nicht um demografische Krisen und mangelnde Lebensreserven. Im Gegenteil: Nahezu alles wird getan, um die letzten Reste von Werten, Kultur und Traditionen herauszuschneiden aus dem Bewusstsein der Menschen. Ganz vorne in erster Reihe dieser Berichterstattung: Der Spiegel.

Die Magazinmacher haben wenig vom einstigen Glanz und Ruhm retten können, nicht nur die Auflagen sinken unaufhörlich. Dutzende von Mitarbeitern wurden im Laufe der letzten Jahre entlassen, die Entwicklung geht weiter nach unten. 2011 kämpfte auch Spiegel-TV mit wiederkehrenden Entlassungswellen. Nachdem im Oktober Johannes B. Kerner bei SAT 1 einging und aufhören musste, waren etwa drei Viertel der vierzig Beschäftigten von Spiegel TV Infotainment gezwungen, ihren Arbeitsplatz zu räumen, berichtete das Branchenportal Horizont. Schon im Jahr zuvor waren es bereits vierzig Mitarbeiter gewesen, denen man gekündigt hatte, nachdem verschiedene Sendeplätze und Produktionsaufträge verloren gegangen waren, darunter die »Vox-Nachrichten«. Die Einstellung der »Oliver-Pocher-Show« kostete weitere zwölf Mitarbeiter den Job.

Die Erklärung des Verlags hörte sich im Wortlaut unter anderem so an: »Es ist dabei unser gemeinsames Ziel, Kosten einzusparen, ohne die Substanz unserer journalistischen Produkte zu beeinträchtigen«.

Das klingt zwar optimistisch, aber die Frage kann nur lauten: Wie soll es denn funktionieren, Substanz und Qualität der journalistischen Spiegel-Produkte bei diesem Personalabbau nicht zu beeinträchtigen? Interessant ist auch die Tatsache, dass die Kündigungswelle nicht nur die Produktionen von Spiegel-TV, sondern auch die Spiegel-online-Redaktion betraf. Der Lebenssaft des Spiegel scheint langsam, aber sicher, zu versiegen. Das liegt zum einen an der derzeitigen miserablen wirtschaftlichen Lage der meisten Verlagshäuser, zum anderen an einer zunehmenden Bequemlichkeit vieler Journalisten, nicht mehr im alten Stil zu recherchieren und Unbequemes zutage zu fördern. Hängt diese wachsende Nachlässigkeit eventuell auch mit einer guten Portion Resignation der Medienleute zusammen? Resignation über tägliche Denkverbote und politisch korrekte Vorgaben, die nicht übertreten werden dürfen? Auszuschließen ist das nicht.

Es sei nur an die Aussage des Wirtschaftsjournalisten und Ex-Spiegel-Redakteurs Harald Schumann erinnert, der im November 2010 in einem Interview scharfe Kritik an der viel gepriesenen Pressefreiheit deutscher Medien geübt hatte. Der langjährige Spiegel-Redakteur unterstrich, die Kollegen dürften sehr häufig nicht die Wahrheit schreiben. Das habe er selbst viele Jahre am eigenen Leibe beim Spiegel erlebt und wisse es auch aus anderen Redaktionen. Die Wahrheit werde oft verbogen, weil Chefs und Verleger ihre eigene Weltsicht widergespiegelt sehen wollen. Er vermisse die innere Pressefreiheit, so der Wirtschaftsjournalist.

Wer sich die Aussagen Schumanns und deren Bedeutung klarzumachen versucht, der ahnt, wie viel in der öffentlichen Berichterstattung im Argen liegen muss. Und der versteht, warum das Vertrauen der Bürger in die Medien ebenso dramatisch gesunken ist wie in die Glaubwürdigkeit der regierenden Politikerelite. Von diesem enormen Vertrauensverlust ist eben ganz besonders auch der ehemals strahlende Stern des investigativen Journalismus, der Spiegel, nicht verschont geblieben. Das Gegenteil ist der Fall. Und so dramatisch auch die folgenden Fakten sein mögen, so spiegeln sie letztlich nur das wider, was sich seit einiger Zeit drohend über der deutschsprachigen Informationsgesellschaft zusammenbraut.

Der Spiegel ist »kastriert«

Es ist die Veröffentlichung des renommierten Medienwissenschaftlers Professor Norbert Bolz Mitte Mai 2011, der sich mit einem Abgesang auf das Ex-Leitmedium zu Wort gemeldet hatte, der es in sich hatte. Ausgerechnet in der Bild, die jahrelang Seite an Seite mit dem Spiegel gegen das Böse der Welt kämpfte, erschien der Kommentar des spitzzüngigen Medienexperten mit der Überschrift: »Der Spiegel ist kastriert«.

In dem Artikel warf Bolz dem Spiegel Unfähigkeit vor. Er schrieb, wenn es den Spiegel nicht mehr gäbe, würde der deutschen Öffentlichkeit nichts fehlen. Das Magazin sei in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Früher sei der Spiegel eine große Maschine der Aufklärung gewesen, heute bestätige er jedoch nur noch das rot-grüne Weltbild. Nachdem Chefredakteur Aust vom Kartell der Mittelmäßigen wie ein böser Geist ausgetrieben worden sei, habe sich der Spiegel wieder ideologisiert. Heute dominiere der Ton frustrierter, alleinerziehender Mütter und apokalyptischer Ökopaxe. So sei aus dem Sturmgeschütz der Demokratie das Zentralorgan der politischen Korrektheit geworden. Der Spiegel sei kastriert.

Es war ein ungewöhnlich scharfer Kommentar, der von der Bild durch den renommierten Wissenschaftler abgeschossen wurde, und man dachte zunächst, dies hätte der Auftakt eines neuen »Kriegs« zwischen den beiden großen Presseorganen sein können, der an die alte Qualität zu Augsteins Zeiten anknüpfen könnte. Dem allerdings war nicht so. Seit diesem Vorkommnis lässt man sich wieder in Ruhe, nach dem Motto: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Warum sollte man auch, wie in früheren Zeiten, aufeinander losgehen? Als gleichgeschaltete Massenmedienfront kann man doch erheblich mehr erreichen.

Dennoch dürften sich die Spiegel-Redakteure auch über die weiteren Gedanken des Philosophen Bolz kaum gefreut haben: Dieser kritisierte das Magazin und seine Beziehung zu Wahrheit und Aufklärung im Journalismus folgendermaßen: Das deutsche Nachrichtenmagazin habe die Nachrichten und Berichte aus dem Auge verloren. Bolz zitierte ein Resümee der linken taz: Der Spiegel biete immer häufiger Kolportage statt Reportage. Wörtlich schimpfte Bolz weiter: »Die journalistische Grundhaltung des Spiegel-Autors ist die Intimität mit der Macht. Man weiß nicht nur, was die Politiker sagen und tun, sondern auch, was sie denken«. Deshalb gebe es immer mehr Psychogramme und Persönlichkeitsprofile, die als imaginäre Expeditionen im Kopf des Politikers angelegt seien. »Der Konjunktiv regiert.«

Der Berliner Medienexperte äußerte die Überzeugung, beim Spiegel handele es sich im Grunde um eine Art Boulevard für Intellektuelle, also um Klatsch und Tratsch höherer Ordnung. Doch wie vertrage sich das mit dem Anspruch, das deutsche Nachrichtenmagazin zu sein? Eine wahre Orgie der Heuchelei habe der Spiegel im Fall Sarrazin gefeiert. Erst sei der große Vorabdruck aus Sarrazins Buch gekommen und eine Woche später sei der große Verriss gefolgt nach dem Motto: So etwas wollen wir nie wieder lesen! Augstein müsse sich im Grab herumgedreht haben, so Bolz.

Zugegeben: Der Beitrag war starker Tobak. Aber durchaus treffend. Denn die Vorwürfe gegenüber dem Spiegel häufen sich in jüngster Zeit unverhältnismäßig. Immer wieder läuft es hinaus auf Bequemlichkeit und fehlenden Rechtswillen und vor allem, wie der Medienexperte Bolz es beschrieben hatte, biete der Spiegel immer häufiger Kolportage statt Reportage. »Man weiß nicht nur, was die Politiker sagen und tun, sondern auch, was sie denken«.

Ein ganz besonderes Beispiel für diese Arbeitsweise lieferten die Spiegel-Journalisten mit einer Meldung am Wochenende des 6. bis 8. Mai 2011 ab, die ganz Europa innerhalb weniger Stunden in ein explosives Pulverfass verwandelte. Und das ging so....

Auszüge aus Das Medienkartell von Eva Herman