Der Dokumentarfilm Am Anfang war das Licht animierte eine Ostschweizerin, eine radikale Fastenkur zu absolvieren: Den Lichtnahrungsprozess. Das spirituelle Experiment bezahlte sie mit dem Leben.
am anfang war das licht
© Allegro FilmVom Glauben allein wird man nicht satt...
Sie sass gebannt im Kino und liess sich in eine spirituelle Welt entführen. Der Dokumentarfilm Am Anfang war das Licht verhiess den Eintritt in eine neue übersinnliche Dimension. Die erleuchteten Meister und ihre Schüler im Film waren der lebende Beweis, dass Eingeweihte allein von Prana, der göttlichen Energie, leben können. Dazu lieferten Quantenphysiker wissenschaftliche Erklärungen für das Phänomen. Anna Gut* wusste sofort, dass sie ihre langjährige spirituelle Suche mit dem Lichtnahrungsprozess krönen wollte.

Im Film, der 2010 in den Schweizer Kinos lief, traten vor allem zwei Protagonisten auf, die Anna Guts Überzeugung stärkten, wonach spirituell begabte Menschen entgegen der wissenschaftlichen Lehrmeinung ohne Nahrung leben können: der 62-jährige Schweizer Michael Werner, Anthroposoph und Doktor der Chemie, sowie der 83-jährige indische Yogi Prahlad Jani. Beide warteten mit wissenschaftlichen Untersuchungen auf, die angeblich beweisen, dass sie ohne feste Nahrung auskommen. Michael Werner verzichtet laut eigenen Angaben seit 2001 auf Lebensmittel, Prahlad Jani seit 70 Jahren. Ausserdem behauptet der Yogi, auch nicht zu trinken.

Sieben Tage kein Wasser trinken

Anna Gut, eine Mittfünfzigerin aus der Ostschweiz, liess sich nach längerer Vorbereitung auf den Lichtnahrungsprozess ein. Dieser geht auf die 54-jährige Australierin Ellen Greve zurück, die sich als Medium Jasmuheen (Duft der Ewigkeit) nennt. Dreiwöchiges Fasten und Meditieren bewirkten im Körper einen Umwandlungsprozess und befähigten ihn zur Aufnahme von Prana, erklärt sie in ihren Büchern. Der Schädel wachse, die Genstruktur verändere sich, Zirbel- und Hirnanhangsdrüse würden stark anwachsen. Jasmuheen behauptet, selbst seit 1993 vom kosmischen Licht zu leben.

Wer Jasmuheens Anweisungen folgt, nimmt in der ersten Woche nichts zu sich, auch kein Wasser. Anna Gut hielt sich strikt daran. Sogar ihren Speichel spuckte sie aus. Auch Lichtesser wissen, dass es ab dem dritten Tag kritisch wird, doch sie sind überzeugt, die Gefahr der Dehydrierung meistern zu können. Auch Anna Gut überlebte die Rosskur. Für sie ein Beweis ihrer spirituellen Entwicklung. Nach der ersten Woche trank sie wieder, fastete aber wie vorgeschrieben in den Wochen zwei und drei.

Im Winter vor einem Jahr beantwortete sie das Telefon eines Tages nicht mehr

Anna Gut wollte weiterhin nur von Prana leben und sich nicht mit verunreinigten Lebensmitteln kontaminieren. Ihre zwei erwachsenen Kinder machten sich Sorgen, denn ihre Mutter wirkte geschwächt und zog sich immer mehr zurück. Sie sei nun hoch sensibel und spüre ihre Bedürfnisse besser denn je, beruhigte sie die Kinder und versprach, den Prozess abzubrechen, sollte es kritisch werden.

Als sie im Winter vor einem Jahr das Telefon eines Tages nicht mehr beantwortete, suchten die Kinder ihr entlegenes Haus auf. Die Tür war verschlossen, ein Lebenszeichen nicht auszumachen. Gewaltsam drangen sie in das Haus ein. Sie fanden die Mutter in der Stube. Tot. Polizei, Notarzt und Staatsanwalt trafen ein und stellten Untersuchungen an. Später wurde Anna Gut obduziert. Tod durch Verhungern, teilte der Staatsanwalt den Kindern schliesslich mit. Allenfalls begünstigt durch die tiefen Temperaturen im Haus. «Die Strafuntersuchung wurde eingestellt, weil keine Hinweise auf Fremdeinwirkung festgestellt wurden», sagt Staatsanwalt Thomas Bürgi.

Mehrere Todesopfer

Anna Gut ist das erste Opfer des Lichtnahrungsprozesses in der Schweiz. Vor ihr bezahlten aber schon andere Lichtesser ihre Überzeugung mit dem Leben. Im März 1997 starb der 31-jährige Münchner Timo Degen. Die radikale Fastenkur hatte zu einem Kreislaufkollaps geführt. Auch die Neuseeländerin Lani Morris überlebte das Experiment im Juni 1998 nicht. Nach einer Woche Fasten erlitt die 53-Jährige einen Schlaganfall, verursacht durch den Flüssigkeitsverlust. Nach wenigen Tagen starb sie im Spital von Melbourne. «Der Tod eines Menschen steht von vornherein fest, es war somit das Karma der Verstorbenen», erklärte Jasmuheen.


Kommentar: Mit Karma kann man vieles erklären, weil es nicht nachweisbar ist.


Im September 1999 starb die 48-jährige Australiern Verity Linn in Schottland. Wanderer fanden ihren ausgemergelten Körper an einem See. Aus ihrem Tagebuch ging hervor, dass sie den Lichtnahrungsprozess absolviert hatte. Die Verfechter der Lichtnahrung liessen sich davon in ihrem Glauben nicht beirren. Bei jedem Todesfall fanden sie angeblich Ungereimtes. Die Opfer hätten fahrlässig gehandelt, erklärten sie. Oder: Die Todesumstände seien nicht seriös untersucht worden. Bei Anna Gut ist die Todesursache allerdings eindeutig. Die Ostschweizerin ist vielleicht das erste restlos dokumentierte Opfer der Lichtnahrung weltweit.

Asketen standen nie unter Dauerbeobachtung

Doch radikale Esoteriker glauben den Lichtnahrungsgurus mehr als den warnenden Stimmen, wonach der Körper ohne Nahrungszufuhr gezwungen wird, den Stoffwechsel umzustellen und die Reserven in den Organen und Muskeln anzuzapfen. Der Flüssigkeitsmangel führe ausserdem zur Ansäuerung und bewirke Leberschäden. Das Immunsystem werde geschwächt, und die Gefahr einer Infektion steige. Bei sinkendem Blutzuckerspiegel drohten Lichtesser ins Koma zu fallen; die Unterversorgung des Hirns könne zu Psychosen führen. Die Lichtesser sind jedoch überzeugt, einen Körper entwickelt zu haben, der nicht mehr nach den üblichen physiologischen Kriterien funktioniert.
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Sie berufen sich auf die lange religiöse Tradition der Askese und erwähnen Yogis, die jahrelang auf Bäumen sitzen, ohne zu essen. In unserer christlich-abendländischen Kultur werden vor allem Resl von Konnersreuth (Therese Neumann) und Nikolaus von der Flüe angeführt. Nur: Das sind Einzelbeispiele von Personen, die durchwegs asketisch gelebt haben. Ausserdem standen sie nie unter Dauerbeobachtung. Nikolaus von der Flüe beispielsweise war nachts allein in seiner Höhle.

Lichtnahrungsprozess sei unbedenklich, wenn er aus spiritueller Motivation heraus unternommen werde

Der österreichische Regisseur Peter-Arthur Straubinger wehrt sich gegen den Vorwurf, mit seinem Film die Zuschauer zum Lichtnahrungsprozess zu animieren. Obwohl er zugibt, dass die jahrelangen Recherchen seine Einstellung zur Lichtnahrung verändert haben und er an das Phänomen glaubt, versteht er sein Werk als Dokumentarfilm. Zwar lässt er auch einzelne Skeptiker auftreten, doch ihre allgemeinen Aussagen gehen im vielstimmigen Chor der begeisterten Verfechter der Methode unter und wirken wie ein Feigenblatt.

Straubinger bestreitet auch, mit dem Film Propaganda für die Magersucht zu machen. Schliesslich warne er vor leichtfertigen Selbstversuchen. Sein Film enthält allerdings auch die Botschaft, dass der Lichtnahrungsprozess unbedenklich sei, wenn er aus spiritueller Motivation heraus unternommen werde. Wörtlich schreibt er: «Menschen, deren Weltsicht die mögliche Existenz der physischen Nahrungslosigkeit prinzipiell nicht zulässt, müssen meinen Film zwangsläufig als Betrug oder Manipulation abstempeln - weil nicht sein kann, was nicht sein darf.» Damit outet sich Straubinger indes als «Gläubiger» und verlässt den Boden des neutralen Dokumentarfilmers.

Rezept gegen Welthunger

In ihrem Buch Lichtnahrung (1998) preist Ellen Greve alias Jasmuheen das göttliche Licht Prana als «Nahrungsquelle für das kommende Jahrtausend». Die Australierin sieht in ihrem Prozess ein Rezept gegen den Welthunger und behauptet, ihre Genstruktur habe sich aufgrund der Lichtkur verändert. Skeptiker boten ihr 30'000 australische Dollar, wenn sie den Beweis antrete und ihr Erbgut untersuchen lasse. Doch sie weigerte sich. Dafür wollte sie unter ärztlicher Aufsicht nachweisen, dass sie ohne Nahrung auskommt. Die begleitende Ärztin brach den Test aber nach wenigen Tagen ab, weil Jasmuheen gefährlich ausgetrocknet war und rasch an Gewicht verlor. Die attraktive Australierin wurde auf ihren Vortragsreisen, die sie auch in die Schweiz führten, wiederholt beim Essen ertappt. Inzwischen haben weit über 10'000 Personen weltweit den Lichtnahrungsprozess gewagt. Viele brachen ihn aber vorzeitig ab, weil sie unter unerträglichen körperlichen oder psychischen Symptomen litten.

Eine andere Frage ist, ob Michael Werner und Yogi Prahlad Jani tatsächlich beweisen können, dass sie ausschliesslich von Licht leben. Werner absolvierte 2004 mit dem Segen der Berner Ethikkommission in einem Spital einen zehntägigen überwachten Selbstversuch. Seither sei bewiesen, dass der Lichtnahrungsprozess funktioniere, behauptete er. Der spektakuläre Test bescherte ihm ein grosses Medienecho und brachte ihm sogar einen Auftritt in der TV-Talksendung Aeschbacher ein.

Den Beweis nicht erbracht

Den medizinischen Bericht seines Selbstversuchs hielt Werner allerdings unter Verschluss. Recherchen des TA haben ergeben, dass dieser für Werner ungünstig ausgefallen ist. Der Lichtesser sei in einen Hungerzustand gefallen, wie die Blutwerte einwandfrei beweisen würden. Von Lichtnahrung könne also keine Rede sein, stellte die Expertengruppe fest. Werner habe vielmehr die eigenen Körperreserven angezapft, um die Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Auffällig war auch, dass der stattliche Werner bei der Premiere des Films in Zürich einen deutlichen Bauchansatz zeigte, der auf der Leinwand noch nicht zu sehen war. Mit andern Worten: Er hat trotz angeblichem Dauerfasten deutlich an Gewicht zugelegt. Wie, bleibt offen. Werner war für den TA nicht erreichbar und beantwortete auch die Mails nicht.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit sind auch bei Prahlad Jani angebracht. Sein Fasten liess er in einem indischen Spital testen, mit dessen Direktor er befreundet ist. Der spektakuläre Fall brachte diesem viel Renommee und Gratiswerbung ein. Die Untersuchung liess aber einige Fragen offen. So ist unklar, weshalb der Urinspiegel abnahm, obwohl Jani angeblich kein Wasser löste. Nicht erklärbar sind auch die Schwankungen der Blutwerte.

Psychiater empfand den Lichtnahrungsprozess als «wohl intensivstes Erlebnis meines Erwachsenendaseins»

Bleibt die Frage, ob es strafrechtlich relevant ist, dass der Film die Zuschauer indirekt animiert, den gefährlichen Lichtnahrungsprozess zu absolvieren. Staatsanwalt Thomas Bürgi erklärt, dass der freie Entscheid bei den Kinobesuchern liege, ob sie den Film anschauen wollten. Es liege danach in ihrer Verantwortung, sich mit dem Inhalt kritisch auseinanderzusetzen.

Der eifrigste Schweizer Lichtnahrungs-Verfechter war lange Zeit der ehemalige Basler Chefarzt Jakob Bösch. Der 69-jährige Psychiater hat den Lichtnahrungsprozess selbst absolviert und beschreibt seine Erfahrungen in einem Buch von Jasmuheen. Aufschlussreich ist der Titel seines Kapitels: «Eine neue Form von Psychotherapie und spirituellem Wachstum.» In einer akademisch geprägten Landschaft wolle er damit ein Signal setzen, «dass das Weltbild der newtonschen Physik nicht genügt», erklärte Bösch. «Der Prozess wurde wohl zum intensivsten Erlebnis meines Erwachsenendaseins.»

Erfinderin distanziert sich inzwischen von radikaler Fastenkur

Und wie kommentiert der Psychiater den Tod von Anna Gut? «Das Ganze liegt nicht mehr in meinem engeren Interessenbereich. Ich befasse mich nicht mehr damit», lautet seine Antwort. Allein, unvorbereitet und heimlich den Lichtnahrungsprozess zu wagen, halte er für ähnlich unverantwortlich wie heimlich und allein in Sommerkleidern und Sandalen einen Viertausender zu besteigen.

Damit liegt er auf der Linie, die neuerdings auch die Erfinderin des Lichtnahrungsprozesses vertritt: Jasmuheen distanziert sich inzwischen von der radikalen Fastenkur. Offenbar ist ihr die Sache selbst unheimlich geworden.

* Name geändert.