Besser könnte das Timing gar nicht sein: Pünktlich zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai zeigen die deutschen Medien, was diese hierzulande wert ist und prügeln auf die Teilnehmer der hier bereits vorgestellten Iranreise von deutschen Journalisten und Intellektuellen ein. Presse- und Meinungsfreiheit gelten hierzulande nur für die Leitmedien, für andere existieren sie nicht. Wer gegen den Mainstream schwimmt, wird abgekanzelt. Gedenktage hin oder her. Aus Anlass des Tags der Pressefreiheit gab KOPP-Autor Gerhard Wisnewski dem MDR-Radio ein Interview. Lesen (und hören) Sie es hier.
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Erst kommt die Bild-Zeitung, dann kommt die NATO: Seit Jahren planieren Bild, Spiegel, Die Zeit und andere Medien psychologisch den Weg für jeden Angriffskrieg, der auf der Agenda der NATO steht. Ob Afghanistan, der Irak, Libyen oder der Iran: Der Hauptjob dieser Blätter besteht darin, den nächsten Krieg herbei zu schreiben. Bis jetzt haben die Medien noch für jeden militärischen Überfall die passenden Legenden gestrickt. Wer sich dem verweigert, steht umgehend auf der Abschussliste. Leute, die das betreffende Land einmal selbst besuchen und hinterher auch noch darüber reden, sind nicht gefragt. So tobt ausgerechnet seit dem Tag der Pressefreiheit am 3. Mai eine Hetzkampagne gegen Teilnehmer einer Iranreise von 16 deutschen Journalisten und Intellektuellen, die unter anderem Staatspräsident Ahmadinedschad besuchten. Für derartiges Vorgehen hatte ich bereits früher den Begriff der »inoffiziellen politischen Verfolgung« geprägt.

Zum Tag der Pressefreiheit gab ich Stefan Maelck vom »Mittagsjournal« auf MDR Figaro ein Interview zum Thema Pressefreiheit, in dem ich auf einige der Mechanismen der inoffiziellen politischen Verfolgung in Deutschland hinwies und darauf, wie Journalisten dabei unter Kontrolle gebracht werden:

Maelck: Sie hören Figaro mit dem »Journal am Mittag«. »Man kann die Realität ignorieren, aber man kann nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren.« Dieses Zitat steht ganz am Anfang des Buches Verheimlicht - vertuscht - vergessen. Was 2011 nicht in der Zeitung stand. Mit dem Autor des Buches möchte ich jetzt sprechen, heute am Tag der Pressefreiheit. Gerhard Wisnewski weist in seinem Buch hin auf Ungereimtheiten und auf offene journalistische Fragen des Jahres 2011. Er deckt auf, welche Nachrichten uns vorenthalten wurden und welche Schlagzeilen ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit gegeben haben. Guten Tag, Herr Wisnewski!

Wisnewski: Grüße Sie, Herr Maelck.

Maelck: Der Untertitel Ihres Buches lautet: »Was 2011 nicht in der Zeitung stand«. Können Sie uns dafür ein paar Beispiele geben?

Wisnewski: Also was wurde da verheimlicht, vertuscht, vergessen: eine ganze Menge. Zum Beispiel bin ich einmal den Aktivitäten von den so genannten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch nachgegangen und ihrer Rolle im Libyenkrieg. Und da stellt man fest, dass diese Organisationen keineswegs so humanitär sind, wie man immer glaubt. Sondern selber Beweise oder scheinbare Beweise bereit stellten für Kriegsverbrechen des Gaddafi-Regimes, die aber so nicht unbedingt stattgefunden haben - aber so ebneten sie den Weg für die Bombardierung Libyens durch NATO-Kräfte.

Maelck: Und wenn Sie sich mit solchen Dingen beschäftigen, gehe ich davon aus, dass Sie dann diese Thesen auch jeweils belegen können?

Wisnewski: Ja, klar, man kann ja kaum etwas Unbelegtes schreiben, selbst wenn die Quelle nicht dabei steht, würde sich der Betroffene ja wehren, wenn das falsch wäre. Also, natürlich habe ich im Hintergrund ein großes Archiv bei meinen Recherchen, und natürlich werden auch im Text häufig die Quellen genannt.

Maelck: Nun gibt es ja eine von Ihnen kritisierte Art der Nachrichtenproduktion beziehungsweise Nichtnachrichtenproduktion, darüber schreiben Sie in Ihrem Buch. Welche Mechanismen und ungeschriebenen Gesetze vermuten Sie hinter dieser von Ihnen kritisierten Art der Auswahl bei der Kundgebung von Nachrichten?

Wisnewski: Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wer gibt denn hierzulande in der Presselandschaft den Ton an? Wir kennen ja dieses Sprichwort: »den Ton angeben«. Wenn also ein solcher Ton angeschlagen wird, dann singen alle im Chor mit. Und da gibt es ein paar, ich nenne die Zentralorgane, wie den Spiegel oder die Bild-Zeitung oder auch die Zeit in Hamburg, die also vorgeben, wie ein Thema zu behandeln ist - wie das »eingeschraubt« werden muss, wie man im Jargon sagt, und alle anderen machen dann republikweit mit, und es gibt kaum noch andere Standpunkte zu lesen oder zu hören.

Maelck: Ist das dann so etwas... würden Sie das journalistischen Herdentrieb nennen, dass die anderen dann sagen: Oh, das müssen wir auch unbedingt machen? Oder ist das einfach Faulheit?

Wisnewski: Es ist eine Mischung aus beidem oder aus drei Sachen: Faulheit, Zeitmangel und journalistischer Herdentrieb wirken da zusammen und gehen eine ungute Allianz ein. Meistens braucht es also nicht etwa den Druck von der Chefredaktion, dass ein Journalist so oder so schreibt. Sondern es reicht eigentlich, wenn bestimmte Leitmedien oder Zentralorgane ein gewisses journalistisches Klima erzeugen, so dass jeder weiß, wie ein Thema zu behandeln ist. Und erst dann, wenn ein Journalist versucht, dagegen zu schreiben, dann spürt er häufig plötzlich, wie seine Geschichte liegen bleibt - auf »Halde«, wie man so schön sagt - und einfach nicht ins Blatt kommt.

Maelck: Günter Grass hat ja unlängst im Angesicht der massiven medialen Kritik auf sein israelkritisches Gedicht von »Gleichschaltung« der Presse in Deutschland gesprochen. Was halten Sie von diesem Grassschen Urteil?

Wisnewski: Ja, ich kann das nur unterschreiben. Wir reden ja auch immer von dem so genannten »Mainstream«. Das ist so ein bisschen verharmlosend, als wäre das nur so ein Strom, von dem man aber durchaus auch abweichen könnte oder gegen den man schwimmen könnte. Aber in der journalistischen Praxis ist das kaum möglich, denn hier geht es ja auch um Honorare, um Jobs und um Gehälter, und wenn man sich hier nicht ganz schnell anpasst, dann wird man ganz schnell merken, wie weit man damit eigentlich noch kommen kann.

Maelck: Wenn wir über Honorare, Jobs und Gehälter sprechen: Es gibt ja einen Trend, dass immer weniger Journalisten immer mehr Arbeit erledigen müssen, weil gespart wird, besonders bei den Tageszeitungen sieht man das, weil denen ja auch die Werbekunden wegbrechen. Welchen Einfluss hat dieses Eingespare, welchen Einfluss haben diese Sparmaßnahmen auf unsere täglichen Nachrichten?

Wisnewski: Einen riesengroßen Einfluss, weil kein Journalist mehr Zeit hat, selber nachzudenken und selbst zu recherchieren. Er ist dazu verurteilt, aus der Futterkrippe der Nachrichtenagenturen zu fressen, wie DPA und Reuters zum Beispiel. Eine andere Möglichkeit hat er gar nicht, als dieses Fastfood in sich reinzuschlingen und sofort an die Leser und Hörer und Zuschauer weiterzugeben. Und daher ist das eine Möglichkeit, diese Journalistenherde zu kontrollieren, indem man sie möglichst knapp mit Geld und Zeit hält.

Maelck: Nochmal zum heutigen Tag der Pressefreiheit: Wir deutschen Journalisten schimpfen ja gerne über die Staatsmedien etwa in China, Aserbeidschan, in der Ukraine. Und dennoch: Wie steht es denn um die Pressefreiheit bei uns hierzulande in Deutschland? Wie lautet Ihre Diagnose?

Wisnewski: Ich bin der Meinung, dass es um die Pressefreiheit hierzulande ganz schlecht steht, was keiner eigentlich vermuten würde, weil wir haben ja die hehren Paragraphen im Grundgesetz, von freier Meinungsäußerung. Der Unterschied ist aber, dass bei uns keine offizielle Einschränkung der Pressefreiheit in der Form stattfindet wie in anderen Staatsmedien weltweit, sondern eine inoffizielle Einschränkung der Pressefreiheit, und zwar durch inoffizielle politische Verfolgung. Das heißt, wenn Sie unangenehme Standpunkte vertreten, bekommen Sie keine Aufträge mehr, verlieren möglicherweise Ihren Job, werden von anderen Medien verleumdet und sozusagen abgeschlachtet, in die Ecke gedrängt - und das nenne ich inoffizielle politische Verfolgung. Und das ist die Möglichkeit, hierzulande die Pressefreiheit einzuschränken.

Maelck: Ist diese inoffizielle politische Verfolgung ebenso schwer zu bekämpfen wie, sagen wir mal, die Zensur in diktatorischen Staaten?

Wisnewski: Nein, die ist sogar noch viel schwerer zu bekämpfen, weil die Zensur, die wirklich meinetwegen »verankert« ist in bestimmten Gesetzen in anderen Staaten - die kann ich sehen, die kann ich offen angreifen, da gibt es einen Paragraphen oder da gibt es Verordnungen oder da gibt es Befehle. Hier gibt es so etwas nicht, sondern das erfolgt ganz leise und inoffiziell, subkutan sozusagen, und das ist sehr viel schwerer, sich gegen so etwas zu wehren als in solchen Staaten, wo das offiziell festgelegt ist.

Maelck: Wie ist es bestellt um die Pressefreiheit in Deutschland: Ich war im Gespräch mit Gerhard Wisnewski, Autor des Buches Verheimlicht - vertuscht - vergessen. Was 2011 nicht in der Zeitung stand - anlässlich des heutigen Tages der Pressefreiheit haben wir miteinander gesprochen. Das Buch ist bei Knaur erschienen. Herr Wisnewski, herzlichen Dank für das Gespräch!

Wisnewski: Ich danke Ihnen.