Die Lage in Syrien wird immer unberechenbarer. Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida vor. Experten befürchten eine Zunahme von Anschlägen.
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Der jüngste Selbstmordanschlag in Damaskus zeigt die zunehmende Skrupellosigkeit der Täter: Die Angreifer schlugen während des Berufsverkehrs zu und zündeten zunächst eine Bombe, um eine Menschenmenge anzulocken. Kurz danach zündeten sie ihren zweiten, viel stärkeren Sprengsatz und rissen damit 55 Menschen in den Tod. Viele fühlten sich angesichts dieser Taktik im Stil von Al-Kaida an das Nachbarland Irak erinnert.

Die Sorge wächst, dass sich der Konflikt in Syrien von den Forderungen des Arabischen Frühlings nach politischem Wandel entfernt und auf einen blutigen Aufstand zubewegt. «Syrien wird langsam aber sicher zu einem zweiten Irak», sagt Bilal Saab, ein Syrien-Experte am Monterey-Institut für Internationale Studien in Kalifornien.

Die Präsenz von Al-Kaida-Kämpfern und anderen Extremisten fügt dem Konflikt ein Element der Unberechenbarkeit hinzu, das die internationalen Bemühungen um ein Ende des Blutvergiessens erschweren könnte. Während die Grossmächte und UN-Beobachter in Syrien Druck auf Regierung und Opposition ausüben können, den Friedensplan des Sondergesandten Kofi Annan einzuhalten, haben sie keinerlei Einfluss auf militante Islamisten im Untergrund, die sich oft noch nicht einmal zu ihren eigenen Anschlägen bekennen.

Westliche Beobachter sagen, es gebe wenig Zweifel, dass Extremisten mit Verbindungen zu Al-Kaida seit Beginn des Aufstands gegen Präsident Baschar Assad vor 14 Monaten auf dem Vormarsch seien. Über die Zahl der Al-Kaida-Mitglieder, ihren Einfluss und ihre Aktivitäten in Syrien ist aber wenig bekannt. «Wir haben Geheimdienstinformationen, wonach es in Syrien eine Al-Kaida-Präsenz gibt, aber ehrlich gesagt haben wir keine guten Geheimdienstinformationen darüber, was genau sie machen», sagte US-Verteidigungsminister Leon Panetta am Donnerstag in Washington.

Ganze Serie von Anschlägen in syrischen Städten

Amateurvideos im Internet geben hin und wieder Hinweise auf extremistische Aktivitäten. Ein Video, das in dieser Woche ins Netz gestellt wurde, zeigt einen Anschlag in der nordsyrischen Stadt Idlib, der sich am 2. Mai ereignet haben soll. Darin ist ein weisser Kleinbus zu sehen, der auf einen Militärposten zurast und dort in einem riesigen Feuerball aufgeht. Soldaten werden in die Luft geschleudert. Im Februar rief Al-Kaida-Führer Ajman al Sawahri die Muslime in den Nachbarstaaten Syriens auf, sich an dem Aufstand zu beteiligen. Die Rebellen dürften sich nicht auf den Westen stützen.

Der Doppelanschlag vom Donnerstag war der fünfte in einer Serie grösserer Anschläge in syrischen Städten, die das Bild des Kampfes der Opposition gegen das Regime überschatten. Es war der bislang folgenschwerste.

Die Regierung und ihre Gegner werfen sich gegenseitig Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida vor. Der Vorsitzende des oppositionellen Syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun, beschuldigte die Regierung der Kooperation mit Al-Kaida, um die Anschläge in Damaskus auszuführen. Die Regierung setze die Gewalt ein, um den Aufstand zu diskreditieren. Der syrische UN-Botschafter Baschar Dscha'afari sagte vor dem Sicherheitsrat, Al-Kaida stecke gemeinsam mit nicht genannten ausländischen Regierungen hinter der Tat.

Rebellen nutzen Guerilla-Taktik

Der Führer der militanten libanesischen Hisbollah und Assad-Verbündete Scheich Hassan Nasrallah erklärte am Freitag, derartige Anschläge könnten Syrien zerreissen. Dieselben, die im Irak Tod und Zerstörung gebracht hätten, wollten heute Syrien zerstören.

Die UN unterstützen Annans Friedensplan, der eine Waffenruhe mit dem Ziel eines Dialoges und einer politischen Lösung des Konflikts vorsieht. Doch wurden die Bedingungen des Plans seit dessen Inkrafttreten am 12. April von beiden Seiten nie vollständig eingehalten. Die Präsenz internationaler Beobachter hat die Feindseligkeiten immerhin etwas eingedämmt. Nach UN-Angaben halten sich seit Freitag 145 Militärbeobachter der Vereinten Nationen und 56 zivile Mitarbeiter in Syrien auf.

dapd