andre mccollinc
© youtube/screenshot
Ein 16-jähriger Schüler wird an einen Tisch gefesselt. Er bekommt Elektroschocks - von seinen Lehrern. Diese Bestrafung wendet eine Schule in den USA bei verhaltensgestörten Kindern an. Die Opfer tragen bleibende Schäden davon.

New York - Es kostet einige Überwindung, dieses Video zu betrachten. Ein 16 Jahre alter Junge ist mit Ledergurten an einen Tisch gefesselt, auf seinem Kopf sitzt ein Helm, der ein wenig an die Kappen erinnert, die zum Tode Verurteilte auf dem elektrischen Stuhl tragen müssen. Um ihn herum stehen vier Erwachsene, der Junge schreit sich vor Schmerz die Lunge aus dem Hals.

Die Aufnahme wurde an einer Schule mitten in den USA gemacht, dem „Judge Rotenberg Center“ von Massachusetts, keine 200 Kilometer von New York entfernt. Das Center ist eine sonderpädagogische Einrichtung für Kinder mit Verhaltensstörungen - autistische Kinder, emotional verstörte Kinder, Kinder mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Die beliebteste therapeutische Maßnahme der Institution ist die Bestrafung mittels Elektroschock.

Der Junge auf dem Video heißt Andre McCollins, seine Mutter hat Klage gegen die Schule wegen Misshandlung eingereicht. McCollins, der sich geweigert hatte, seinen Mantel im Klassenraum abzulegen, erhielt als Strafe 31 Schocks. Nach dieser Erfahrung war er drei Tage lang katatonisch, verkrampfte also am ganzen Körper so stark, dass er auf die Intensivstation kam. Die Ärzte attestierten ihm, dass er von dem Trauma bleibende Schäden davon getragen habe.

Jetzt wollen Politiker des Staates Massachusetts die mit Millionen Dollar öffentlich geförderte Einrichtung schließen. Warum der Staat erst jetzt einschreitet, ist allerdings rätselhaft. Beschwerden gegen das 1971 gegründete Zentrum gibt es schon lange. Im Jahr 2010 nahm eine Kommission der Uno die Schule unter die Lupe und stufte die Praktiken dort als Folter ein.

Der Direktor und Gründer der Schule, Dr. Matt Israel, hält eine solche Charakterisierung freilich für übertrieben. Er nennt die Elektroschocks eine „überaus effektive Behandlungsmethode für Schüler mit emotionalen Schwierigkeiten und Verhaltensstörungen.“ Die Schocks selbst hält er für nicht schmerzhafter als einen Mückenstich und für völlig frei jeglicher Nebenwirkung. In jedem Fall sei die „Therapie“ deutlich schonender als eine medikamentöse Behandlung.

Das Rotenberg-Zentrum ist ein Ort der letzten Hoffnung für verzweifelte Eltern. Matt Israel nimmt jedes Kind auf, ganz egal aus wie vielen anderen Programmen es bereits verbannt wurde. 220.000 Dollar kassiert er dafür pro Schüler und Schuljahr, das Geld stammt zu 100 Prozent aus staatlichen Mitteln.

Für seine Bestrafungspraxis hat Israel ein perfides Überwachungssystem entwickelt. Jeder Schüler trägt einen Rucksack mit einer fünf Kilo-Batterie. Von dem Rucksack aus führen Drähte am Körper der Schüler entlang, die zu besonders sensibel Stellen führen. Wenn sich ein Schüler auffällig benimmt kann ein Lehrer per Fernbedienung sofort einen Schock auslösen. Eine solche Auffälligkeit kann das Erheben der Stimme oder lautes Fluchen sein.

Ehemalige Schüler beschreiben die Schocks als extrem schmerzhaft. Ein Reporter, der sich vor wenigen Jahren einen solchen Schock hat versetzen lassen, erinnert sich an „die längsten zwei Sekunden meines Lebens.“ Andre McCollins wies in den Armbeugen und an anderen Stellen schwere Verbrennungen auf.


Der ehemalige Schüler Rob Santana erinnert sich, dass er sich seine aggressiven Verhaltensweisen an der Schule verkniffen habe. Doch stattdessen habe er mehr als einmal an Selbstmord gedacht. Und seine psychischen Probleme, die von einer Kindheit in einem Drogenhaushalt stammen, plagen ihn auch im Erwachsenenleben noch, potenziert durch das Trauma von Rotenberg. So landete er mehrmals wegen tätlichen Angriffen im Gefängnis. Eine wirkliche Bestrafung war das für Santana jedoch nicht. „Im Rotenberg war es viel schlimmer als im Gefängnis. Es ist der schlimmste Ort auf dieser Erde.“