Reinhard Boos tritt überraschend zurück. Der Verfassungsschutz-Präsident hat um seine Versetzung gebeten. Boos zieht damit Konsequenzen aus der Geheimdienst-Panne bei der Aufklärung des Skandals zur Zwickauer Neonazi-Zelle
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Reinhard Boos tritt überraschend zurück. Der Verfassungsschutz-Präsident hat um seine Versetzung gebeten. Boos zieht damit Konsequenzen aus der Geheimdienst-Panne bei der Aufklärung des Skandals zur Zwickauer Neonazi-Zelle.

Der sächsische Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos tritt wegen Pannen bei den Ermittlungen zur rechtsextremen Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zurück. Das teilte Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) am Mittwoch im Landtag in Dresden mit. Boos habe selbst um seine Versetzung zum 1. August gebeten. Nach Bundesverfassungsschutzchef Heinz Fromm und dem thüringischen Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Sippel scheidet mit Reinhard Boos binnen kurzer Zeit bereits der dritte Chef einer Geheimdienstbehörde wegen Pannen in den NSU-Ermittlungen vorzeitig aus dem Amt aus.

Erst jetzt NSU-Ermittlungsakten aufgetaucht

Nach Angaben von Landesinnenminister Ulbig sind erst jetzt Protokolle einer Telefonüberwachung des Bundesamtes für Verfassungsschutz von Ende 1998 im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen aufgetaucht. Das Parlament sei zwar über die Abhör-Aktion informiert worden, erklärte Ulbig. Neu sei aber, dass beim Verfassungsschutz noch Protokolle dazu existierten. Boos habe ihn am Dienstagabend darüber informiert. Dass die Existenz der Protokolle erst jetzt bekannt wurde, wertete Ulbig als eklatantes Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes. Es seien unverzüglich disziplinarische Untersuchungen eingeleitet worden. Über den konkreten Inhalt der Dokumente wurde zunächst nichts bekannt.

Sachsen setzt bei der Aufklärung der NSU-Morde unabhängigen Experten ein

Bislang hatte der Minister wiederholt beteuert, dass Sachsen alle Dokumente veröffentlicht habe. Boos sei tief enttäuscht, weil er in den vergangenen Monaten persönlich mit seinem Wort dafür eingestanden sei, dass offen, ehrlich und vollständig aufgeklärt werde. Unter diesen Umständen könne er das Amt nun nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiter führen, erklärte Boos und bat um seine Versetzung ab August.

Sachsens Innenminister Ulbig zollte Boos Respekt für diesen Schritt und erklärte, der Beamte sei außerordentlich integer und habe die Aufklärung im Fall der Zwickauer Zelle von Anfang an unterstützt. „Ich habe angeordnet, dass die Vorgänge unter Aufsicht meines Ministeriums unverzüglich gesichtet und den zuständigen Stellen, etwa dem Generalbundesanwalt, zur Verfügung gestellt werden“, sagte Ulbig weiter. Zudem werde er die Unterlagen auch den zuständigen Gremien auf Bundes- und Landesebene zukommen lassen, wo sich mehrere Untersuchungsausschüsse, Kommissionen und Sonderermittler der Aufklärung des Falles widmen. Der Innenminister kündigte die Einsetzung eines unabhängigen Experten an.

Grobe Ermittlungspannen

Der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie an neun Einwanderern und einer Polizistin war erst Jahre nach den Taten und nur durch Zufall aufgeflogen. Die Sicherheitsbehörden stehen wegen massiver Ermittlungspannen in dem Fall unter Druck. Vergangene Woche kündigte Bundesverfassungsschutz-Chef Heinz Fromm seinen Rückzug an, nachdem in seinem Haus Akten über die Thüringer Rechtsextremisten-Szene geschreddert worden waren. Die Unterlagen wurden ausgerechnet zu dem Zeitpunkt zerstört, als die Dimension des Falles bekannt wurde und die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zog. Fromm erklärte, er fühle sich hinters Licht geführt. Der Thüringer Verfassungsschutz-Chef Thomas Sippel wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil er nicht mehr das Vertrauen des Parlaments habe. Das Zwickauer Trio war Anfang 1998 in den Untergrund gegangen.

sp/jp/dpa/AFP/Reuters