Einige der Hauptverdächtigen im Skandal um den jahrelang manipulierten Referenzzinssatz Libor haben inzwischen neue lukrative Jobs erhalten - bei Hedgefonds in der Schweiz. Damit zieht die Affäre weitere Kreise: Haben die Hedgefondsmanager vom Insiderwissen rund um die Zins-Tricksereien gewusst? Nun drohen Rekordstrafen und Festnahmen.

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Ein kleiner gelber Zettel klebte am Computermonitor in einem verwaisten Büro in Singapur. Darauf stand in Krakelschrift: »I'm sorry.« Mit dieser Botschaft gab der plötzlich spurlos verschwundene ehrgeizige Jungbanker seinen Mitarbeitern Rätsel auf. Noch ahnten sie nicht, dass an diesem Morgen des 23. Februar 1995 ein Banken-Crash ausbrechen würde, dessen Eruptionen die Märkte rund um die Welt schwer erschüttern sollten. Es war der Anfang vom Ende der britischen Traditionsbank Barings. Und der Chef der Niederlassung in Singapur, der Hals über Kopf die Flucht ergriffen hatte, war Nick Leeson. Sein Name steht bis heute für den spektakulären Zusammenbruch einer Bank, bei der sogar die Queen Konten unterhielt.

Über 17 Jahre danach sagte wieder ein Banker »sorry«. Dieses Mal war es Marcus Agius, Verwaltungsratschef der tief im Morast des Libor-Skandals steckenden Barclays Bank. Die Entschuldigung steht aber nicht auf einem kleinen Zettel, sondern immerhin auf Seite vier im aktuellen Jahresbericht des Geldinstituts. »Wir sind uns bewusst, dass wir unsere Kunden und Aktionäre enttäuscht haben«, heißt es dort.

Doch damit dürfte es nicht getan sein. Fast täglich kommen neue Details rund um die Manipulation des Referenzzinssatzes »London Interbank Offered Rate« (Libor) ans Tageslicht. Offenkundig gab es seit vielen Jahren eine institutsübergreifende Zins-Mafia, die wie selbstverständlich den Zinssatz steigen oder sinken ließ - gerade wie es für ihre aktuellen Geschäfte förderlich war. Nun drohen den beteiligten Banken Rekordstrafen in Milliardenhöhe, außerdem dürften schon bald die ersten Festnahmen erfolgen.

Unterdessen steht auch manchen Hedgefonds Ungemach ins Haus. Deren Manager gehören zwar nicht zum erlauchten Kreis jener Banker, die über die Höhe des Libor befinden, könnten aber mit den Tricksern aus den Geldhäusern gemeinsame Sache gemacht haben. Immerhin besteht der Verdacht, die Hedgefondsmanager hätten bei ihren teilweise hochspekulativen Handelsstrategien vom Insiderwissen, das ihnen über die Libor-Seilschaften zugeflossen ist, unmittelbar profitiert. So drohen unter Umständen manchen Hedgefonds hohe Strafzahlungen, was deren Investoren zunehmend nervös macht.

Fest steht: Viele Hedgefondsmanager kommen aus Großbanken, wo sie früher als Händler tätig waren. Wenig wahrscheinlich also, dass sie von den jahrelangen Zinsmanipulationen rein gar nichts mitbekommen haben sollen. Mehrere der im Libor-Skandal verdächtigten Ex-Banker haben mittlerweile neue, gut dotierte Jobs in Hedgefonds bekommen. Die Spur führt nach Genf, wie die Neue Zürcher Zeitung Ende Juli enthüllte. Danach ist Christian B., der als früherer Mitarbeiter der Deutschen Bank in die Libor-Affäre verwickelt sein soll, inzwischen in der Genfer Niederlassung des britischen Hedgefonds BlueCrest tätig. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte das Beschäftigungsverhältnis, erklärte aber, B. sei derzeit nicht zu sprechen.

Ebenfalls bei BlueCrest arbeitet Richard F., der ab 1998 zunächst für die Deutsche Bank und später für die Royal Bank of Scotland als Zinsderivate-Händler tätig war. Aktuell managt er das Portfolio bei BlueCrest. Mickael Z. arbeitete bis 2010 bei der Crédit Agricole und wechselte anschließend zum Schweizer Privatbankier Lombard Odier. Vor wenigen Tagen wurde er jedoch von seinem Arbeitgeber suspendiert, weil Z. ebenfalls an den Libor-Manipulationen beteiligt gewesen sein soll.

Sowohl B. als auch Z. gehören Berichten zufolge zum Netzwerk des ehemaligen Barclay-Händlers Philippe M., der eine führende Rolle im Libor-Skandal gespielt haben soll. Christopher C. schließlich war Manager bei der Citigroup und nach Ansicht der japanischen Finanzaufsicht an den Manipulationen des Yen-Libor beteiligt. Heute arbeitet er beim Hedgefonds Brevan Howard, der selbst im Verdacht steht, bei den Manipulationen mitgemischt zu haben.

Die Liste der angeblich in den Libor-Skandal verstrickten Banken wird derweil beinahe täglich länger. So wurde jetzt bekannt, dass die niederländische Rabobank, die derzeit intensiv um deutsche Kunden wirbt, zwischen 2008 und 2011 vier Händler wegen Libor-Manipulationen entlassen hat. Tatsächlich ist die Rabobank das einzige niederländische Geldinstitut, das Daten zur Berechnung des Referenzzinssatzes zur Verfügung stellt.

Getrickst wurde nicht nur beim Libor, sondern nach Erkenntnissen der EU-Kommission offenkundig auch bei seinem Pendant in der Euro-Zone, dem Euribor (Euro Interbank Offered Rate). Deshalb plant die deutsche Finanzaufsicht BaFin nun Sonderprüfungen. Zunächst müssen mehrere Geldhäuser, darunter die Landesbanken WestLB, BayernLB und LBBW sowie die teilverstaatlichte Commerzbank, ihre internen Prozesse zur Berechnung des Zinses und die entsprechenden Überwachungsmechanismen offen legen.

Banker und Hedgefondsmanager sehen also mit einigem Unbehagen den weiteren Ermittlungen im Zinsskandal entgegen. Mit einer Entschuldigung im Geschäftsbericht allein lässt sich die Sache jedenfalls nicht aus der Welt schaffen.