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© colourboxAntibiotika bald nutzlos?
Penicillin & Co. galten jahrzehntelang als beruhigend wirksame Waffe gegen tödliche Bakterien. Diese goldenen Zeiten sind vorbei: Heute sterben Patienten an Infektionen, die Ärzte einst im Griff hatten. Der Horror ist menschengemacht.

Mit der herbstlichen Jahreszeit beginnt unweigerlich die Hochsaison für Antibiotika. Schnupfnasen und Halswehgeplagte bevölkern die Wartezimmer und erwarten eine schnelle Linderung ihrer Beschwerden. Das Kratzen im Hals soll aufhören, der Kopf nicht mehr brummen, die Nase endlich wieder frei sein - und zwar möglichst sofort. Nur allzu bereitwillig greifen die Hausärzte zum Rezeptblock und verschreiben ihre kleinen bunten Wunderpillen. Leider. Denn Antibiotika gegen meist virale Erkältungskrankheiten und grippale Effekte einzusetzen ist genauso unsinnig wie gefährlich. „Zwischen 40 bis 60 Prozent der Antibiotika-Rezepte in Deutschland sind Fehlverordnungen“, sagt Michael Kresken von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. Gegen Schnupfen, Bronchitis und Halsweh ist ein Antibiotikum medizinisch meist nicht indiziert. Dass Ärzte den Bakterienkiller trotzdem hemmungslos verschreiben liegt oftmals an ihrer Unwissenheit - und an einem falsch verstandenen Sicherheitsbedürfnis.

Wenn die Ärzte machtlos werden

Nicht nur, dass Antibiotika gegen Viren machtlos sind - die Folgen dieser leichtfertigen Verschreibungspraxis sind langfristig tödlich. „Durch ihren unsachgemäßen Einsatz verlieren unsere wirksamsten Waffen ihre Schlagkraft“, sagt Mathias Pletz. Er ist Leiter der Klinischen Infektiologie am Universitätsklinikum Jena. „Das post-antibiotische Zeitalter ist angebrochen.“

Ärzte wie Pletz sehen sich auch in deutschen Krankenhäusern immer häufiger einem Horror-Szenario gegenüber: Sie stehen am Bett eines Patienten und müssen mitansehen, wie dieser an besiegt geglaubten Infektionen, beispielsweise an einer Lungenentzündung, stirbt. „Manchmal sind wir so machtlos wie die Ärzte vor 70 Jahren“, sagt Pletz. Die Hilflosigkeit lässt Mediziner zum letzten Strohhalm greifen. „Wir importieren für manche Patienten inzwischen ältere Antibiotika aus dem Ausland, die in Deutschland nicht mehr zugelassen sind“, sagt Pletz. „Weil es oftmals die letzten Medikamente sind, die noch greifen.“

Antibiotikaeinsatz: Fluch und Segen zugleich

Besonders bitter ist, dass diese Situation menschengemacht ist. Denn Antibiotika sind selbstzerstörerisch: Je mehr sie eingesetzt werden, umso schwächer wird ihre Wirkung. Ein allzu sorgloser Umgang beschleunigt diesen fatalen Mechanismus. Mit dem Resultat, dass viele Bakterien inzwischen unempfindlich gegenüber den Wirkstoffen sind - sie haben die gefürchteten Resistenzen gegenüber Antibiotika entwickelt. „Die bakterielle Resistenzentwicklung läuft schneller als wir alle glauben“, sagt Pletz. Und auf jeden Fall schneller als die Entwicklung neuer Substanzen.

Wissenschaftler warnen davor, dass sich die Situation in den kommenden Jahren noch weiter zuspitzen wird, wenn im Umgang mit Penicillin & Co. nicht ein rigoroses Umdenken einsetzt. Denn Antibiotika ebnen multiresistenten Keimen gewissermaßen den Weg. „Sehr oft haben resistente Bakterienzellen schlechtere Überlebenschancen und gehen wieder verloren“, sagt Kresken. Erst wenn ein Antibiotikum sensible Bakterienzellen ausmerzt, können sich die resistenten vermehren und ihren Überlebensvorteil an die nachfolgenden Generationen vererben. Dann entsteht ein resistenter Bakterienstamm.

In den westlichen Bundesländern verordnen Ärzte deutlich mehr Antibiotika als in den neuen Bundesländern.

Gegen spezielle Darmkeime wirkt nur noch eine Antibiotikaklasse

„Gerade Breitbandantibiotika erschlagen eine Vielzahl unterschiedlicher Bakterien“, sagt Pletz. „Resistente Bakterien, die in einer gesunden Flora zahlenmässig keine Rolle spielen, weil sie meist viel langsamer wachsen, können sich dann ungehindert ausbreiten.“ Antibiotika bevorteilen sozusagen die resistenten Bakterien, in der Fachsprache nennt man das „selektionieren“. Um gegenzusteuern, gibt es bereits Bemühungen, kleine Laborgeräte für die Hausarztpraxis zu entwickeln, die vor Ort einen Blutwert bestimmen können. Das soll in Zukunft helfen, besser und schneller zwischen bakteriellen und viralen Infektionen zu unterscheiden.

Für Menschen mit einem intakten Immunsystem ist das meist noch kein Grund zur Sorge, weil die körpereigene Abwehr die Bakterien rasch bekämpft. „Problematisch wird es aber für Menschen mit geschwächter Abwehr“, sagt Kresken. Denn jeder resistente Mikroorganismus schränke die Therapiemöglichkeiten ein.

Nach den Carbapenemen gibt es nichts mehr

„Wir sind heute gezwungen, auf Zweite-Wahl-Antibiotika auszuweichen“, sagt Sören Gatermann, Leiter des Nationalen Referenzzentrumn (NRZ) für gramnegative Krankenhauserreger. Diese wirken insgesamt nicht so schnell und nicht so zuverlässig und haben häufig unangenehme Nebenwirkungen. „Die größten Sorgen bereiten uns Darmbakterien mit ESBL“, sagt Gatermann. Gegen diese Bakterien sei nur noch eine einzige Antibiotikaklasse wirksam, nämlich die Gruppe der Carbapeneme. Die Antibiotika dieser Wirkungsklasse werden daher zunehmend für im Krankenhaus erworbene Lungenentzündungen oder Harnwegsinfektionen eingesetzt. Und zwar inzwischen so häufig, dass sich auch dagegen bereits Resistenzen entwickeln - die sogenannten Carbapenemasen. Der entscheidende Unterschied zu ESBL besteht darin, dass Carbapenemasen eben auch gegen Carbapenem-Antibiotika wirken. „Diese Erreger sind auch gegen diese letzten Antibiotika unempfindlich. Danach gibt es nichts mehr.“ In den nächsten fünf bis zehn Jahren sei nicht mit der Entwicklung neuer Wirkstoffe zu rechnen.

Hoffnungsschimmer: MRSA-Stämme werden wieder sensibler

Dass die Lage nicht völlig hoffnungslos ist, zeigt die Entwicklung bei den gefürchteten MRSA-Keimen. „MRSA-Bakterien sind ein seit längerer Zeit bestehendes Problem gegen die es inzwischen neue Therapiemöglichkeiten gibt“, sagt Gatermann. Einige MRSA-Stämme reagieren inzwischen sogar wieder sensibler auf einige Antibiotika, die lange nicht eingesetzt wurden. Dass man Resistenzen auch wieder loswerden kann, ist ein Hoffnungsschimmer. „Wenn es gelingt, bestimmte Antibiotika eine längere Zeit nicht anzuwenden, dann haben die resistenten Bakterien keine Chance mehr und werden von den übrigen in Schach gehalten“, sagt Gatermann.